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Fortführungsprognose eines Startups bei voraussichtlichen Zahlungen eines Investors

Startups können sich im Rahmen der Überschuldungsprüfung unter bestimmten Voraussetzungen darauf berufen, dass ein Investor Finanzmittel in Aussicht gestellt hat (Beschluss des OLG Düsseldorf vom 20.07.2021, Az. 12 W 7/21).

Hintergrund: Fortführungsprognose im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung

Der Geschäftsführer einer GmbH muss der Gesellschaft solche Zahlungen erstatten, die er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft leistet. Eine „Überschuldung“ liegt vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den konkreten Umständen überwiegend wahrscheinlich. Diese Wahrscheinlichkeit (sog. „positive Fortführungsprognose“ bzw. „Fortbestehensprognose“) hat der BGH in ständiger Rechtsprechung entwickelt. Insbesondere muss eine Prognose über die künftigen Geschehensabläufe ergeben, dass das Unternehmen mittelfristig zahlungsfähig ist. Die Finanzkraft und die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens müssen aus dem Unternehmenskonzept erkennbar sein. Für diese Voraussetzungen trägt der in Anspruch genommene Geschäftsführer der GmbH die Beweislast.

Im Sachverhalt des OLG Düsseldorf hatte eine GmbH seit ihrer Gründung im Jahr 2014 von einem Investor in regelmäßigen Abständen befristete Darlehen zur Verfügung gestellt bekommen. Am 31.12.2015 wies die Gesellschaft einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von EUR 620.200,00 auf. Sie war damit unstreitig bilanziell überschuldet. Dennoch nahm der Geschäftsführer weitere Zahlungen vor, die der Investor bereit war zu finanzieren, soweit ein realistischer Finanzplan vorliege. Dies war jedenfalls bis September 2016 der Fall.

Der Insolvenzverwalter nahm den Geschäftsführer auf Erstattung der für die GmbH getätigten Zahlungen mit der Begründung in Anspruch, die GmbH sei seit Januar 2016 wegen Überschuldung insolvenzreif gewesen. Der Geschäftsführer lehnte dies ab, da gerade keine insolvenzrechtliche Überschuldung vorgelegen habe. Durch die Zusage des Investors sei die Zahlungsfähigkeit sichergestellt gewesen, wodurch insgesamt bis September 2016 eine ausreichende Fortbestehensprognose bestanden habe.

Der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 20.07.2021, Az. 12 W 7/21

Das OLG Düsseldorf hat die Beschwerde abgewiesen, da im Zeitpunkt der Zahlungen durch den Geschäftsführer eine positive Fortführungsprognose bestanden habe. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf müsse man die vom BGH aufgestellten Grundsätze über die positive Fortführungsprognose bei Startups entsprechend anpassen. Start-ups seien in einer Anfangsphase zwar meist nicht aus sich heraus ertragsfähig, jedoch seien in derartigen Fällen operative Geschäftschancen nicht auf Dauer ausgeschlossen. Es liege in der Natur eines solchen Unternehmens, dass es zunächst Schulden mache und von regelmäßiger Zuführung von Eigen- oder Fremdkapital abhängig sei. Insofern müssen – so das OLG Düsseldorf – für die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum ebenso Finanzierungszusagen von Gesellschaftern oder Dritten mitbeachtet werden. Schon der BGH habe die Ertragsfähigkeit bei Startups nicht als Voraussetzung für eine positive Fortführungsprognose angesehen (BGH, Urteil vom 14.05.2007 – II ZR 48/06).

Es genüge bereits die dokumentierte Zahlungszusage des Investors. Dem steht auch die von dem Investor geforderte Bedingung, realistische Planungen vorzulegen und den Liquiditätsbedarf nachzuweisen, nicht entgegen.

Anmerkung

Die insolvenzrechtlichen Haftungsrisiken für Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von Startups sind bekanntlich nicht zu unterschätzen und bei solchen Unternehmen gedanklich sicher überdurchschnittlich präsent.

Bilanzielle Überschuldung dürfte nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein bei Startups. Umso größere Bedeutung kommt Aspekten wie möglichst eigenkapitalschonenden Finanzierungen, qualifizierten Rangrücktrittsvereinbarungen und sauber dokumentierter kontinuierlicher Liquiditätsplanung zu. Wer diesbezüglich regelmäßig „hart am Wind segelt“, braucht Rechtssicherheit auch und gerade als Grundlage für den nicht immer leichten Dialog mit den Investoren im Ringen um den Zeitpunkt für die nächste Eigenkapitalfinanzierungsrunde oder kurzfristige (Wandel-)Darlehen zur Überbrückung.

Sind Fremdkapital-Investoren nicht bereit, einen qualifizierten Rangrücktritt mit der Gesellschaft zu vereinbaren, bleibt in der Überschuldungssituation nur die richtige (und belastbare) Einschätzung der Fortführungsprognose. Besonders im Hinblick auf die möglichen schwerwiegenden Rechtsfolgen, die auf Geschäftsführer in solchen Situationen zukommen, sollte eine Fortführungsprognose stets in enger regelmäßiger Abstimmung mit fachlich kompetenten Beratern beurteilt werden. Nicht nur formal von Bedeutung ist hier auch die saubere Dokumentation.

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