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Führt Spitzelei am Arbeitsplatz zu einer fristlosen Kündigung?

Die gezielte Durchsuchung eines Dienstcomputers nach privater Korrespondenz eines Arbeitskollegen sowie deren Sicherung und Weitergabe an Dritte kann "an sich" ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung sein. Im Einzelfall kann die Trennung jedoch am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz scheitern. Dies entschied das Arbeitsgericht Aachen in seinem Urteil vom 22.04.2021 (8 Ca 3422/20).

Sachverhalt

Dem Urteil des Arbeitsgerichts Aachen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin, Verwaltungsmitarbeiterin eines Kirchenkreises, hatte zur Erfüllung ihrer Tätigkeit Zugriff auf den Dienstcomputer des Pastors. Als sie dessen E-Mail-Postfach im November 2019 nach einer Rechnung durchsuchte, fand sie eine an den Pastor gerichtete E-Mail des Superintendenten, aus der sich ergab, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Anlass hierzu war der Verdacht eines strafrechtlich relevanten Verhaltens gegenüber einer suizidgefährdeten Frau, die sich im Asyl des Kirchenkreises befand. Die Mitarbeiterin stand mit dieser Frau in einem engen Austausch. Sie fürchtete, aufgrund der Belästigung durch den Pastor könne die Frau einen Suizidversuch unternehmen. Um Schaden abzuwenden durchsuchte sie daraufhin den PC des Pastors nach möglichen Beweisen. Sie fand in einer ungesicherten Datei tatsächlich einen privaten Chatverlauf zwischen dem Pastor und der Frau, speicherte diesen auf einem USB-Stick und übergab ihn an die Staatsanwaltschaft. Als der Kirchenkreis hiervon erfuhr, kündigte er das Arbeitsverhältnis fristlos.

Entscheidungsgründe

Das Arbeitsgericht Aachen entschied, dass kein wichtiger Grund für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung gegeben war. Hierfür, so die Kammer, kämen an sich zwar das rechtswidrige Durchsuchen des PC eines Kollegen nach privater Korrespondenz und deren Sicherung, die Weitergabe des Datenträgers an die Staatsanwaltschaft sowie das „diesbezügliche Verhalten“ der Klägerin in einer Gesamtschau in Betracht. Insbesondere rechtswidrige Datenverarbeitungen eines Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis, die mit Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Arbeitskollegen einhergehen, seien an sich dazu geeignet, bei entsprechender Schwere des Verstoßes den Ausspruch einer fristlosen Kündigung zu tragen. Dies gelte selbst dann, wenn die in Rede stehenden Daten nicht dem Schutzbereich des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen unterliegen. So habe die Klägerin ihre arbeitsvertraglichen Kompetenzen deutlich überschritten und ihre Schutz- und Rücksichtnahmepflichten bei der ihr anvertrauten Nutzung des Dienstcomputers verletzt, als sie einen erkennbar privaten Ordner des Pastors öffnete, die umfangreichen privaten Chatverläufe zwischen ihm und der Frau zur Kenntnis nahm, diese kopierte und an die Staatsanwaltschaft weitergab. Dies gelte, obgleich der Ordner nicht besonders zugriffsgeschützt gewesen sei, da die Klägerin den grundsätzlich ihrem Kollegen zugeordneten Dienstcomputer nur insoweit nutzen durfte, als dies zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten nötig war. Gleichwohl sei der Ausspruch einer fristlosen Kündigung nach einer Gesamtwürdigung der gegenläufigen Interessen unverhältnismäßig. Die Klägerin, so das Arbeitsgericht, sei fest davon ausgegangen, dass ihr Kollege die Frau in ihrer verzweifelten Situation massiv bedrängt und so ihr Leben gefährdet habe. Es komme nicht entscheidend darauf an, ob die Situation tatsächlich so verzweifelt war, wie sich dies für die Klägerin dargestellt habe. Die Berücksichtigung ihrer subjektiven Sicht relativiere sowohl die Schwere ihres Verstoßes gegen Schutz- und Rücksichtnahmepflichten im Umgang mit personenbezogenen Daten als auch den Grad ihres Verschuldens in einer rechtlich komplexen Situation. Es könne keine Rede davon sein, dass die Klägerin ihren Arbeitgeber durch ihr Verhalten vorsätzlich habe schädigen wollen. Selbst bei (unterstellt) bedingt vorsätzlichem Handeln handele es sich unter Berücksichtigung der aus Sicht der Klägerin auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nicht um einen besonders gravierenden arbeitsvertraglichen Verstoß.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung zeigt, wie hoch die Hürden der Rechtsprechung für den Ausspruch einer wirksamen fristlosen Kündigung sind. Arbeitgeber sind gut beraten, nicht nur den Kündigungsgrund „an sich“ sauber festzustellen und zu dokumentieren, sondern auf zweiter Stufe auch eine umfassende Abwägung der schützenswerten Interessen des betroffenen Arbeitnehmers an der Fortsetzung seiner Beschäftigung gegenüber ihrem Interesse an einer umgehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorzunehmen. In verfassten Betrieben sollte diese Abwägung zudem vollumfänglich in der Betriebsratsanhörung enthalten sein. Dies schützt vor dem Einwand im Kündigungsschutzprozess, der Arbeitgeber habe nicht oder nicht hinreichend gewichtet. Ob die Trennungsentscheidung auf Grundlage der Abwägung einer rechtlichen Prüfung standhält, liegt in den meisten Fällen gleichwohl letztendlich im Ermessen der Arbeitsgerichte.

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