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Entgeltanspruch bei arbeitgeberseitig angeordneter Quarantäne

Das Arbeitsgericht Dortmund hat mit Urteil vom 24.11.2020 (Az. 5 Ca 2057/20) entschieden, dass Arbeitnehmer ihren Vergütungsanspruch behalten, wenn sie auf Aufforderung des Arbeitgebers eine zweiwöchige Quarantäne absolvieren. Das gilt zumindest dann, wenn der Arbeitnehmer zuvor nicht wissentlich in ein Corona-Risikogebiet eingereist war.

Sachverhalt

Der Kläger befand sich im Zeitraum zwischen dem 11.03.2020 und dem 15.03.2020 in einer Ferienwohnung mit Selbstverpflegung in Tirol in Österreich. Nach der Rückkehr teilte die beklagte Arbeitgeberin dem Kläger mit, er solle zwei Wochen zur Hause bleiben und in Quarantäne gehen, da Tirol am 13.03.2020 als Risikogebiet vom RKI aufgelistet worden sei. Dieser Aufforderung der Beklagten kam der Kläger nach. Die Beklagte verrechnete daraufhin die durch die Quarantäne ausgefallenen Arbeitsstunden mit entsprechenden Positivsalden des Arbeitszeitskontos des Klägers.

Mit der Klage verfolgt der Kläger die Wiedergutschrift des abgezogenen Betrages auf seinem Arbeitszeitkonto. Dazu trägt er vor, die Quarantäne von zwei Wochen sei nicht behördlich angeordnet, sondern allein arbeitgeberseitig verhängt worden. Zudem habe am 11.03.2020, als er nach Tirol gefahren sei, noch keine Einstufung des RKI als Risikogebiet vorgelegen. Die Beklagte habe auch nicht berücksichtigt, dass er sich in seiner Ferienwohnung aufhielt, so dass ein erhöhtes Infektionsrisiko ohnehin nicht bestanden habe.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Gesundheitsschutz anderer Arbeitnehmer habe im Vordergrund gestanden. Die Hochrisikolage habe ihr keine andere Ermessensentscheidung möglich gemacht als die Verhängung der zweiwöchigen Quarantäne. Die Gefahren von Reisen nach Tirol seien schon Wochen vor dem 13.03.2020 bekannt gewesen. Das Verhalten des Klägers sei daher zumindest grob fahrlässig gewesen.

Das Arbeitsgericht Dortmund hat der Klage auf Wiedergutschrift der ausgefallenen Arbeitsstunden stattgegeben. Gegen das Urteil hat die Beklagte die Berufung beim Landesgericht Hamm (Az. 10 Sa 53/21) eingelegt.

Entscheidungsgründe

Das Gericht begründet die Entscheidung insbesondere mit der Betriebsrisikolehre gemäß § 615 S. 3 BGB. Danach können Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung auch dann verlangen, wenn die Arbeit ausfällt und der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

Im Fall einer Quarantäneanordnung werde der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der gesetzlichen Risikoverteilung nur dann von der Vergütungspflicht frei, wenn die zuständige Gesundheitsbehörde die Quarantäne anordnet. Beschließe ein Arbeitgeber dagegen aus eigenem Antrieb, einen Arbeitnehmer zum Schutz der sonstigen Belegschaft in „Quarantäne“ zu schicken, trage er nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre das Vergütungsrisiko. Dies gelte selbst dann, wenn die Störung – wie im Fall des Coronavirus – nicht aus einer vom Arbeitgeber beeinflussbaren Gefahrensphäre stamme.

Anderes könne nur dann gelten, wenn der Arbeitnehmer „quasi sehenden Auges“ entgegen einer Einstufung des RKI ein Risikogebiet aufsuche. Eine solche Konstellation habe aber nicht vorgelegen, da am 11.03.2020, dem Reisebeginn nach Tirol, zwar Diskussionen über Aufenthalte und Reisen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland schon geführt worden seien, das RKI aber Tirol zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Risikogebiet eingestuft habe. Darüber hinaus sei auch in diesen Fällen zu berücksichtigen, dass eine Ferienwohnung mit Selbstversorgung deutlich weniger Infektionsrisiko biete als beispielsweise der Aufenthalt in einem stark frequentierten Hotel oder Gasthof.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung betrifft mit der Lohnfortzahlung bei Quarantäne-Maßnahmen ein Thema, das derzeit wieder an Aktualität gewinnt. Die Bundesregierung hat erst kürzlich bestimmt, dass ab dem 30. März sämtliche Flugreisende nach Deutschland vor Antritt ihres Fluges einen anerkannten Corona-Test durchführen müssen. Fällt der Test positiv aus, wird die Reise verweigert und Urlauber müssen sich noch am Urlaubsort in Quarantäne begeben. Hier wird sich die Frage nach der Lohnfortzahlung im Besonderen stellen, da regelmäßig auch die Arbeit im Homeoffice keine greifbare Option darstellt.

Eine Entschädigung nach § 56 IfSG wird in diesen Fällen nicht gewährt, da keine Quarantäne-Anordnung einer inländischen Behörde vorliegt. Der Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber gemäß § 616 BGB setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die (vorübergehende) Leistungsverhinderung nicht selbst verschuldet hat. Insoweit wird unterschieden: Reist der Arbeitnehmer wissentlich in ein Risikogebiet, gilt eine nachfolgende Quarantäne regelmäßig als selbstverschuldet; eine Lohnfortzahlung scheidet dann aus. War das Ziel dagegen bei Reiseantritt nicht als Risikogebiet ausgewiesen (wie derzeit Mallorca), können Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet sein, ohne einen Entschädigungsanspruch gegen die Behörden zu haben. Das Risiko des Arbeitsausfalls geht dann zu ihren Lasten.

Ob ein quarantänebedingter Arbeitsausfall infolge der Urlaubsreise sonstige arbeitsvertragliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechtfertigt, ist noch weitgehend ungeklärt. Auch insoweit dürfte aber maßgeblich sein, inwieweit den Arbeitnehmer ein erhöhter Verschuldensvorwurf trifft, etwa weil er vermeidbar in ein Risikogebiet gereist ist.

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