D&O-Versicherungsschutz gegen Ansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG?
Ansprüche gegen GmbH-Geschäftsführer auf Ersatz von nach Eintritt der Insolvenzreife der GmbH geleisteten Zahlungen (§ 64 S. 1 GmbHG) sind im Regelfall vom Versicherungsschutz einer D&O-Versicherung erfasst. Dies entschied der BGH und schaffte damit für viele Geschäftsführer (wie auch für Vorstände von Aktiengesellschaften) ein Stück Rechtssicherheit.
Hintergrund: Ansprüche gegen den Geschäftsführer/Vorstand wegen Zahlungen nach Insolvenzreife
Leistet ein Geschäftsführer einer GmbH nach Eintritt der Insolvenzreife (also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) Zahlungen, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind, ist er gegenüber der GmbH zum Ersatz dieser Zahlungen verpflichtet (§ 64 S. 1 GmbHG). Die Ersatzpflicht besteht unabhängig davon, ob bei der GmbH durch die Zahlung ein Schaden entstanden ist; bereits die Masseschmälerung zu Lasten der Insolvenzgläubiger löst die Ersatzpflicht aus. Diese Haftung besteht entsprechend für Vorstände von Aktiengesellschaften (§ 92 Abs. 2 AktG). Da der Eintritt der Insolvenzreife nicht immer rechtzeitig bemerkt wird, ist die Haftung des Geschäftsführers in der Praxis einer der vom Insolvenzverwalter am häufigsten geltend gemachten Ansprüche. Zwar können dem Anspruch ausdifferenzierten Einwendungen entgegenhalten werden (z.B. Verhinderung des unkontrollierten Zusammenbruchs der Gesellschaft durch die Zahlung, werthaltige Gegenleistungen und Besonderheiten bei der Zahlung der Arbeitnehmeranteile von Sozialabgaben und Lohnsteuer). Für den betroffenen Geschäftsführer/Vorstand kann die Geltendmachung der Schadensansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG gleichwohl kritisch werden, denn je nach dem Umfang der geleisteten Zahlungen können die daraus erwachsenden Ersatzansprüche schnell ein erhebliches Ausmaß erreichen.
Versicherungsschutz für Ansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG?
Wenn Ansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG geltend gemacht werden, hofft der Geschäftsführer bzw. Vorstand auf seine D&O-Versicherung. Diese ersetzt – einfach gesprochen – Vermögensschäden, die der Geschäftsführer bzw. Vorstand im Rahmen seiner organschaftlichen Tätigkeit für die Gesellschaft verursacht hat. Gerade für die Haftung des Geschäftsführers nach § 64 S. 1 GmbHG bzw. des Vorstands nach § 92 Abs. 2 AktG wuchs in den vergangenen Jahren allerdings die Unsicherheit, ob die D&O-Versicherung ersatzpflichtig ist. Es gab einige Urteile, die einer solchen Ersatzpflicht kritisch gegenüberstanden (beispielsweise OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.07.2018, Az. 4 U 93/16). Begründet wurde dies häufig damit, dass die Versicherungsbedingungen nur die Einstandspflicht für „Schadensersatzansprüche“ vorsehen, der Anspruch nach § 64 S. 1 GmbHG aber ein „schadensunabhängiger Ersatzanspruch eigener Art“ zugunsten der Insolvenzgläubiger sei. Nun hat auch der BGH – im Ergebnis zugunsten der betroffenen Geschäftsführer und Vorstände – zum Versicherungsschutz der D&O-Versicherung bei Ansprüchen nach § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG Stellung genommen.
Das Urteil des BGH vom 18.11.2020 (Az. IV ZR 217/19)
Hintergrund des vom BGH entschiedenen Falles war ein Insolvenzsachverhalt. Der Geschäftsführer einer GmbH hatte trotz Insolvenzreife Zahlungen geleistet. Er wurde vom Insolvenzverwalter der GmbH auf Ersatz dieser Zahlungen nach § 64 S.1 GmbHG in Anspruch genommen. Zugunsten des Geschäftsführers war schon mehrere Jahre vor der Insolvenz eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Unternehmensleiter von Gesellschaften mit beschränkter Haftung („D&O-Versicherung“) abgeschlossen worden. Der Geschäftsführer trat seine Ansprüche gegen die Versicherung an die GmbH ab. Infolgedessen stritten der Insolvenzverwalter der GmbH und die Versicherung darüber, ob die D&O-Versicherung für Ersatzansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG einstandspflichtig ist. Zunächst unterlag der Insolvenzverwalter. In letzter Instanz entschied jedoch der BGH im Wege einer detaillierten Vertragsauslegung, dass auf Grundlage der „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten“ (ULLA) Ansprüche der GmbH gegen den Geschäftsführer auf Ersatz von Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife von der D&O-Versicherung zu ersetzen waren. Der BGH verwies den Fall im Ergebnis allerdings wegen einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung an das Berufungsgericht zurück.
Anmerkung: Erleichterung für Geschäftsführer und Vorstände
Der BGH hat mit einer nachvollziehbaren Auslegung der Versicherungsbedingungen eine klare Aussage zum D&O-Versicherungsschutz für Ansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG getroffen. Nach der verständlichen und praxisnahen Auffassung des Gerichts konnten die Versicherungsbedingungen aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers nur so verstanden werden, dass sie auch den Schutz für Ersatzansprüche eigener Art (wie den aus § 64 S. 1 GmbHG) umfassen, weil diese vom verständlichen Versicherungsnehmer üblicherweise als „Schadensersatzanspruch im weitesten Sinne“ verstanden würden. Sinn und Zweck einer D&O-Versicherung sprächen – und auch da ist dem BGH Recht zu geben – ebenfalls für die Einbeziehung von Ansprüchen nach § 64 S. 1 GmbHG in solche D&O-Versicherungen. Denn einem Geschäftsleiter ist kaum gedient mit einer Haftpflichtversicherung, die große Schäden bzw. Ansprüche aus komplexen Haftungsvorschriften aus dem Versicherungsschutz ausschließt.
Die Entscheidung des BGH ist eine Erleichterung für Geschäftsführer und Vorstände. Diese können nun davon ausgehen, dass – freilich nur bei fahrlässigen Verstößen gegen § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG – ihre D&O-Versicherung Ersatzansprüche wegen Zahlungen nach Insolvenzreife im Regelfall ausgleichen muss. Nichtsdestotrotz sollte dies nicht blindlings angenommen werden. Geschäftsführer und Vorstände, zu deren Gunsten eine D&O-Versicherung abgeschlossen wurde oder wird, sollten sich dieses Problemkreises vielmehr nach wie vor bewusst sein und die konkrete Versicherungsklausel prüfen. Denn jede Versicherungsklausel kann im Einzelfall anders lauten und daher auch anders auszulegen sein als die im vom BGH entschiedenen Fall.
8. Januar 2021