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Auch nach Neuregelung hohe Hürden für Mietminderung wegen Lockdown

Seit der Gesetzgeber in Rekordzeit noch vor dem Jahresende 2020 einen regierungsseitigen Vorstoß zur vermeintlichen Stärkung der Rechte von Gewerbemietern umgesetzt hat, fragen sich Mieter und Vermieter, ob sich nun Mietminderungen in Zeiten Corona-bedingter staatlicher Beschränkungen leichter durchsetzen lassen.

Der am 31. Dezember 2020 in Kraft getretene Art. 240 § 7 EGBGB basiert auf einem in einer Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 13. Dezember 2020 gefassten Beschluss, der wiederum auf einer Initiative von Bundesjustizministerin Lambrecht fußt. Dieser Initiative ging eine Reihe landgerichtlicher Urteile voraus, die sich auf die Seite der Vermieter schlugen und den Mietern kein Recht auf Mietminderung wegen Corona-bedingter staatlicher Maßnahmen zusprachen.

1.     Grundsatz: Gewerbemieter zur Mietzahlung verpflichtet

Die im Jahr 2020 mit Corona-Fällen befassten Landgerichte entschieden zumeist, dass Gewerbemietern nach den allgemeinen und mietrechtlichen Gewährleistungs- und Gestaltungsrechten während des Lockdowns grundsätzlich kein Recht zur Mietminderung zusteht. Existiert keine ausdrückliche Risikozuweisung zulasten des Vermieters, stellen öffentlich-rechtliche Beschränkungen keinen zur Minderung berechtigenden Mangel der Mietsache dar. Ein solcher Mangel würde nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2011 – XII ZR 189/09) voraussetzen, dass Beeinträchtigungen an der Mietsache selbst vorliegen. Dies ist bei Corona-bedingten staatlichen Beschränkungen regelmäßig nicht der Fall. Die staatlichen Beschränkungen beeinträchtigen grundsätzlich nicht die Mietsache selbst, sondern sie regeln lediglich deren Verwendung. Das Verwendungsrisiko trägt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der Mieter. Er muss damit rechnen, dass es durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung seines Gewerbebetriebs kommen kann und sich dadurch seine Gewinnerwartung nicht erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2011 – XII ZR 189/09).

2.     Ausnahmefall: Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage

Schon im Herbst 2020 kristallisierte sich heraus, dass Gewerbemieter wegen Corona-bedingter Beschränkungen lediglich in extremen Ausnahmefällen eine Anpassung des Mietvertrags verlangen können. Die rechtliche Basis eines solchen Anpassungsanspruchs bildet die sogenannte Störung der Geschäftsgrundlage. Um einen Anpassungsanspruch als Folge einer Störung der Geschäftsgrundlage zu erreichen, muss der Mieter grundsätzlich drei hohe Hürden überspringen und Folgendes nachweisen:

  • Erstens müssen sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert haben.
  • Zweitens hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten.
  • Drittens muss es dem Mieter unzumutbar sein, am unveränderten Vertrag festzuhalten.

Während die erste Hürde nach Ansicht der mit Corona-Fällen befassten Landgerichte für Gewerbemieter möglicherweise zu bezwingen gewesen wäre, stellten jedenfalls die zweite und erst recht die dritte Hürde zumeist unüberwindbare Hindernisse dar. Hier entschieden sich die Rechtsstreitigkeiten im vergangenen Jahr. Die Gerichte sahen es in den von ihnen entschiedenen Fällen im Regelfall als zumutbar an, dass Gewerbemieter selbst bei massiven Umsatzrückgängen am unveränderten Mietvertrag festhalten müssen. Den Mietern wurde entgegengehalten, dass sie zunächst alle sich bietenden umsatzerhöhenden Maßnahmen (Gutscheine, Rabatte etc.) ausschöpfen und gegebenenfalls neue Umsatzalternativen erschließen müssen (Stichwort: Onlinevertrieb statt stationärer Handel), bevor eine Anpassung des bestehenden Mietvertrags überhaupt in Betracht kommt. Weiter wurde ins Feld geführt, dass auch finanzielle Hilfsangebote zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen (Kurzarbeitergeld, Reduzierung der Umsatzsteuer etc.) oder sonstige staatliche Erleichterungen zu berücksichtigen sind, bevor ein Mietvertrag angepasst werden kann.

Diese vermieterfreundliche Rechtsprechung vor Augen, sollte durch die Initiative von Justizministerin Lambrecht Gewerbemietern unter die Arme gegriffen und ihre Position gestärkt werden.

3.     Neue gesetzliche Regelung: Lediglich erste von drei Hürden zu Fall gebracht

Ergebnis der Gesetzesinitiative ist der neue Art. 240 § 7 EGBGB, durch den nach dem Willen des Gesetzgebers bestehende Unsicherheiten beseitigt und die Verhandlungsposition der Gewerbemieter gestärkt werden sollen, vgl. Bundestags-Drucksache 19/25322, Seite 14. Die neue Vorschrift stellt eine widerlegliche Vermutung dafür auf, dass sich ein Umstand, der zur Grundlage eines Gewerbemietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn die vermieteten Gewerberäume infolge Corona-bedingter staatlicher Beschränkungen nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind. Damit wird klargestellt, dass Gewerbemietern die Geltendmachung eines Anspruchs auf Vertragsanpassung aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage wegen Corona-bedingter staatlicher Einschränkungen grundsätzlich offen steht. Die neue Regelung bringt die erste der drei vom Mieter bei Geltendmachung eines Vertragsanpassungsanspruch zu überwindenden Hürden zu Fall. Weder an der zweiten noch an der dritten Hürde, die einem Anpassungsanspruch entgegenstehen, rüttelt die neue Regelung.

Insbesondere sollen durch die neue Regelung allgemeine und mietrechtliche Gewährleistungs- und Gestaltungsrechte von der neuen Gesetzesregelung nicht angetastet werden, wie es in der Gesetzesbegründung heißt. Klargestellt wird lediglich, dass öffentlich-rechtliche Beschränkungen abhängig von den Umständen des Einzelfalls und den konkreten vertraglichen Vereinbarungen auch einen Mangel im Sinne des § 536 BGB darstellen können. Dies war auch bisher schon der Fall. Eine Abkehr von der vermieterfreundlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der dem Bundesgerichtshof folgenden, mit Corona-Fällen befassten Landgerichte lässt sich aus der Gesetzesbegründung nicht herauslesen. Einschneidende Änderungen ergeben sich durch die neue Regelung im Ergebnis nicht und sollen sich ausweislich der Gesetzesbegründung auch gar nicht ergeben.

4.     Ausblick: Weiterhin hohe Hürden zur Mietminderung

Enthält der Mietvertrag keine konkrete Risikozuweisung zulasten des Vermieters, so können Gewerbemieter auch zukünftig lediglich in extremen Ausnahmefällen auf Basis der Störung der Geschäftsgrundlage mit einem Anspruch auf Vertragsanpassung ins Rennen gehen. Selbst wenn ein Gewerbemieter ausnahmsweise einen Anspruch auf Vertragsanpassung erfolgreich geltend machen kann, heißt das nicht, dass er das Rennen für sich entschieden hat. Dann geht es in die nächste, vielleicht sogar entscheidende Runde: Folgt aus der Vertragsanpassung, dass die Miete gemindert werden darf oder besteht lediglich ein Recht zur Stundung? Sollte ein Stundungsrecht bestehen: Stundung mit Zinsen oder ohne? Sollte ein Minderungsrecht bestehen: Minderung um 10 %, um 20 % oder gar mehr?

Alles in allem wurde durch die neue gesetzliche Regelung die bisherige vermieterfreundliche Rechtsprechung eher zementiert als aufgebrochen. Erste Erfahrungen aus der Praxis belegen, dass sich seit Einführung der Gesetzesänderung die Verhandlungsposition von Gewerbemietern gegenüber ihrem Vermieter nicht unbedingt verbessert hat.

Die sich an den vorliegenden Artikel anschließende Entwicklung der Thematik Mietminderung während des Lockdowns finden Sie hier:

Erste OLG lehnen Mietminderung wegen Lockdown ab, vom 11.03.2021

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