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Überstundenvergütung

Das LAG Niedersachsen hat mit Urteil vom 06.05.2021 (5 Sa 1292/20) entschieden, dass das Urteil des EuGH vom 14.05.2019 (C-55/18 „Deutsche Bank“) keine Aussagekraft für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess im Hinblick auf die Frage der Anordnung, Duldung oder Betriebsnotwendigkeit von Überstunden entfalte.

Sachverhalt

Das LAG Niedersachsen hatte über die Berufung gegen ein Teilurteil des Arbeitsgerichts Emden zu entscheiden. Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der bis zum 30.09.2019 als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten gearbeitet hatte. Der Kläger machte Überstundenvergütung für einen Zeitraum von 1,5 Jahren auf Basis von der Beklagten erstellter technischer Zeitaufzeichnungen geltend. Ob diese Aufzeichnungen zur Erfassung der vergütungspflichtigen Arbeitszeit erstellt worden waren, war zwischen den Parteien streitig. Das ArbG Emden hatte der Klage insoweit stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei in europarechtskonformer Auslegung des § 618 BGB zur Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten des Klägers verpflichtet gewesen. Da sie dieser Verpflichtung nach ihrem eigenen Vortrag nicht nachgekommen sei, reichten die vorgelegten technischen Aufzeichnungen als Indiz für die geleistete Arbeitszeit aus. Diese Indizien habe die Beklagte nicht, z. B. durch Darlegung von Pausenzeiten, entkräften können.

Entscheidungsgründe

Das Berufungsreicht teilt diese Auffassung nicht. Anders als das erstinstanzliche Gericht misst das LAG Niedersachsen dem für großes Aufsehen sorgende Urteil des EuGH vom 14.05.2019 keine Aussagekraft für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess im Hinblick auf die Frage der Anordnung, Duldung oder Betriebsnotwendigkeit von Überstunden bei. Dem EuGH komme keine Kompetenz zur Entscheidung über Fragen der Vergütung zu, wie sich aus Art. 153 AEUV ergebe. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Überstundenvergütung habe der Kläger daher nicht dargelegt, die Klage war mithin abzuweisen. Die Revision zum BAG wurde ausdrücklich zugelassen.

Hinweise für die Praxis

Das LAG Niedersachsen hat – einstweilen – das deutsche Verständnis von der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess wieder hergestellt (vgl. v.a. BAG, Urt. v. 10.04.2013, 5 AZR 122/12, DB 2013, 2089). Danach setzt der Anspruch auf Vergütung von Überstunden nebst der Leistung voraus, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind. Für eine ausdrückliche Anordnung von Überstunden muss der Arbeitnehmer vortragen, wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat. Für die von ihm zu tragende Darlegungs- und Beweislast gilt des Weiteren: soweit der Arbeitnehmer die konkludente Anordnung behauptet, muss er darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte. Hinsichtlich der ausdrücklichen oder konkludenten Billigung muss der Arbeitnehmer darlegen, wer wann auf welche Weise zu erkennen gegeben hat, mit der Leistung welcher Überstunden einverstanden zu sein. Soweit der Arbeitnehmer vorträgt, die Überstunden seien geduldet worden, muss er darlegen, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden künftig zu unterbinden. Insoweit muss der Arbeitnehmer vortragen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll und dass es im Anschluss daran zu einer weiteren Überstundenleistung gekommen ist. Erst wenn dieses feststeht, muss der Arbeitgeber darlegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstundenleistung ergriffen hat.

Diese Grundsätze hatte das ArbG Emden in mehreren Entscheidungen unter Hinweis auf das „Arbeitszeit-Urteil“ des EuGH in Frage gestellt. Danach müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Beschäftigten geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Das ArbG Emden sah den Arbeitgeber daher nach Art. 31 Abs. 2 GRCh in der Pflicht, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung zu implementieren. Das LAG Niedersachsen hat dieser Bewertung nunmehr eine Abfuhr erteilt. Abzuwarten bleibt, ob das BAG dem zustimmt.

Ungeachtet dessen ist das Bedürfnis nach der Revision des ArbZG unverkennbar. Das BMAS hatte auch ein Rechtsgutachten zu der Frage erstellen lassen, welcher Änderungsbedarf sich aus dem Urteil für das deutsche Recht ergibt und inwieweit es einer Novellierung des Arbeitszeitgesetzes bedarf, um den Vorgaben des EuGH Rechnung zu tragen (vgl. Bayreuther, NZA 2020, 1). Nicht zuletzt wegen der im März 2020 aufgetretenen Corona-Pandemie ist der Gesetzgeber seither jedoch nicht weiter aktiv geworden. Vor der nächsten Legislaturperiode ist hiermit auch nicht mehr ernsthaft zu rechnen.

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