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Rechtskräftige Stattgabe einer Kündigungsschutzklage schließt Anfechtung des Arbeitsvertrags aus

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 18.02.2021 (6 AZR 92/19) entschieden, dass die Rechtskraft eines der Klage stattgebenden Urteils im Kündigungsschutzprozess die Möglichkeit ausschließt, den Arbeitsvertrag durch die Anfechtung der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung wieder zu beseitigen.

Sachverhalt

Dem Urteil des BAG liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Zwei ordentliche arbeitgeberseitige Kündigungen des seit dem 01.12.20214 bestehenden Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien durch die Beklagte zum 20.05.2015 und zum 30.09.2015 wurden rechtskräftig für unwirksam erklärt. Das Arbeitsverhältnis war seit dem 04.05.2015 außer Vollzug gesetzt.

Gegenstand des nachfolgenden Prozesses, in dem die vorliegende BAG-Entscheidung erging, waren eine von der Beklagten erklärte betriebsbedingte Kündigung vom 24.02.2017 zum 31.05.2017 und eine am 03.05.2017 erklärte außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31.08.2017 sowie ferner eine von der Beklagten mit Schreiben vom 24.04.2017 erklärte Anfechtung ihres Arbeitsvertragsangebots vom 27.11.2014.

Das Arbeitsgericht Stuttgart hielt die Anfechtung sowie die Kündigung vom 03.05.2017 für unwirksam und gab der Klage insoweit statt; die Kündigung vom 24.02.2017 hielt es für wirksam und wies die Klage insoweit ab. Gegen dieses Urteil des Arbeitsgerichts legte die Beklagte nur bezüglich der Anfechtung vom 27.04.2017 Berufung ein und stellte hilfsweise einen Auflösungsantrag gegen Abfindungszahlung. Der Kläger legte hinsichtlich der Kündigung vom 03.05.2017 Berufung ein und machte geltend, dass auch diese Kündigung unwirksam sei.

In seiner Berufungsentscheidung hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) die Klage – soweit sie noch Gegenstand des Berufungsverfahrens war – insgesamt mit der Begründung abgewiesen, die Anfechtung habe das Arbeitsverhältnis rückwirkend mit Ablauf des 03.05.2015 aufgelöst.

Entscheidungsgründe

Mit seiner Revision begehrte der Kläger u.a. weiterhin die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigungen vom 24.02.2017 und vom 03.05.2017 sowie der Anfechtung vom 27.04.2017. Das BAG hielt die Revision des Klägers für begründet, soweit sich der Kläger gegen die Kündigung vom 24.02.2017 und die Anfechtung vom 27.04.2017 wendete; im Übrigen blieb die Revision des Klägers mangels Beschwer des Klägers erfolglos.

Mit der – mangels diesbezüglicher Berufung der Beklagten – rechtskräftigen Feststellung des Arbeitsgerichts, dass die Kündigung vom 03.05.2017 das Arbeitsverhältnis weder außerordentlich noch ordentlich zum 31.08.2017 aufgelöst hat, stehe zugleich fest, dass das Arbeitsverhältnis vor oder bis zum 31.08.2017 auch nicht aufgrund irgendeines anderen Umstands geendet, sondern an diesem Tag noch bestanden hat.

Entgegen der Annahme des LAG sei das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die am 27.04.2017 von der Beklagten erklärte Anfechtung ihres Angebots auf Abschluss des Arbeitsverhältnisses vom 27.11.2014 beseitigt worden. Denn die damit angestrebte Nichtigkeit dieser Willenserklärung könne unabhängig davon, ob der geltend gemachte Anfechtungsgrund tatsächlich vorliege, allein aufgrund der Rechtskraft der Entscheidung über die Kündigung vom 03.05.2017 nicht eintreten. § 142 Abs. 1 BGB, der die Wirkung der Anfechtung regelt, enthalte als gesetzliche Grundentscheidung die Wertung, dass eine erfolgreich angefochtene Willenserklärung als nicht abgegeben gelte und die Rechtslage insoweit korrigiert werde. Das gelte auch im Arbeitsverhältnis, wenngleich im Regelfall im Arbeitsverhältnis durch eine wirksame Anfechtung des Arbeitsvertragsangebots das Arbeitsverhältnis nur mit Wirkung für die Zukunft („ex nunc“) ab Zugang der Anfechtungserklärung oder mit dem Zeitpunkt seiner Außervollzugsetzung beseitige.

Mit der Rechtskraft der arbeitsgerichtlichen Entscheidung hinsichtlich der Kündigung vom 03.05.2017 stehe zugleich fest, dass sowohl im Zeitpunkt des Zugangs dieser Kündigung als auch bis zum vorgesehenen Beendigungstermin der hilfsweisen ordentlichen Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat. Daher könne als Rechtsfolge der Anfechtung vom 27.04.2017 nicht mehr fingiert werden, dass das Angebot zum Abschluss des Arbeitsvertrags im Jahr 2014 nicht abgegeben worden ist und der Arbeitsvertrag deshalb beseitigt worden ist. Die gesetzliche Wertung, wonach die angefochtene Erklärung im Wege der Fiktion endgültig und grundsätzlich mit Wirkung für die Vergangenheit („ex tunc“) kassiert wird, laufe ins Leere, weil – rechtskräftig – feststehe, dass zu allen möglichen Wirkungszeitpunkten der auf die Beseitigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Anfechtung ein Arbeitsverhältnis noch bestand. Die Rechtslage könne daher nicht mehr mittels Anfechtung korrigiert werden. Es sei dabei auch unerheblich, aus welchem Grund die Anfechtung erfolgt ist oder ob der Anfechtungsgegner schutzwürdig sei.

Hinweis für die Praxis

Wendet man die Entscheidung des BAG konsequent an, ist eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses immer dann ausgeschlossen, wenn im Verlauf des Arbeitsverhältnisses eine rechtskräftige Entscheidung über den Bestand des Arbeitsverhältnisses ergeht, was nicht nur in Kündigungsschutzprozessen, sondern auch bei Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Befristung des Arbeitsverhältnisses der Fall ist. Soweit eine Bestandsschutzklage rechtskräftig abgewiesen wird und damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststeht, hat dies für den Arbeitgeber freilich keine Auswirkungen. Anders ist die Situation aber, wenn – wie im entschiedenen Fall – einem Bestandsschutzantrag stattgegeben wird. Dann ist eine Anfechtung von vorne herein nicht mehr möglich, unabhängig von der etwaigen späteren Entdeckung von möglichen Anfechtungsgründen durch den Arbeitgeber. Kommt eine Anfechtung in Betracht, ist Arbeitgebern daher dringend anzuraten, eine rechtskräftige Entscheidung über jedweden in Betracht kommenden Beendigungstatbestand unbedingt zu vermeiden, unabhängig davon, wie gering die Erfolgsaussichten auch sein mögen, was im entschiedenen Fall durch eine umfassende Berufung der Beklagten möglich gewesen wäre. Allerdings hat sich das BAG vorliegend nicht damit auseinandergesetzt, dass bereits im Vorprozess über die Kündigungen aus dem Jahr 2015 rechtskräftig der damalige Bestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt worden war, sodass eine Anfechtung nach der Begründung des BAG bereits daran hätte scheitern müssen. Im Ergebnis kam es im entschiedenen Fall hierauf nicht an. Arbeitgebern ist jedoch zu raten, bereits bei der ersten Bestandsschutzstreitigkeit mit einem Arbeitnehmer zugleich sorgfältig zu prüfen, ob eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses in Betracht kommt, die dann vor einer rechtskräftigen Entscheidung im Bestandsschutzprozess erklärt werden müsste.

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