

Quarantäne schließt Entgeltfortzahlung nicht aus
Das Arbeitsgericht Aachen hat mit Urteil vom 11.03.2021 (Az. 1 Ca 3196/20) entschieden, dass die gegenüber einem arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer nach dem IfSG angeordnete Quarantäne einen Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 EFZG nicht ausschließt.
Sachverhalt
Dem Urteil des Arbeitsgerichts Aachen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der bei der Beklagten langjährig beschäftigte Kläger war im Zeitraum vom 19.05. bis 01.06.2020 unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen arbeitsunfähig erkrankt. Für denselben Zeitraum, konkret vom 19.05. bis 02.06.2020, ordnete das zuständige Gesundheitsamt gegenüber dem Kläger eine häusliche Absonderung (Quarantäne) vor dem Hintergrund der bestehenden COVID-19-Pandemie an.
Zu seiner Erkrankung trug der Kläger vor, er habe während seiner Spätschicht am Nachmittag des 18.05.2020 starke Kopf- und Magenschmerzen bekommen. In der Nacht seien Schüttelfrost und Fieber hinzugekommen. Wegen andauernder Symptome sei er vom Arzt am 22.05.2020 weiterhin arbeitsunfähig krankgeschrieben worden. Der vom Arzt durchgeführte COVID-19-Test sei negativ gewesen. Der Arzt habe ihn darauf hingewiesen, sich trotz des negativen Ergebnisses weiterhin zuhause aufzuhalten und sich online beim Gesundheitsamt zu registrieren, was er getan habe. Daraufhin sei die Quarantäne (teils mit Rückwirkung) angeordnet worden.
Die Beklagte zahlte an den Kläger zunächst für den gesamten Zeitraum Entgeltfortzahlung. Im Juli 2020 korrigierte die Beklagte die Abrechnungen, indem sie die Entgeltfortzahlung abzog und eine Entschädigung nach dem IfSG berücksichtigte. Mit der Klage bei dem ArbG Aachen machte der Kläger nun den Differenzbetrag geltend.
Der Kläger ist der Auffassung, der Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei vorrangig vor einem Entschädigungsanspruch nach dem IfSG. Die Beklagte wendet dagegen ein, die für einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung erforderliche Monokausalität liege nicht vor. Beim Zusammentreffen von Erkrankung und Quarantäne fehle es bereits an einer Arbeitsunfähigkeit im Sinne des EFZG.
Das ArbG Aachen hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.
Entscheidungsgründe
Nach Auffassung des Gerichts schließt die Anordnung der Quarantäne den Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 EFZG nicht aus. Der Entgeltfortzahlungsanspruch bestehe zwar grundsätzlich nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung sei. Bei der Prüfung dieser Monokausalität eröffne sich ein Spannungsfeld mit der zeitgleich gegenüber dem Kläger angeordneten Quarantäne. Nach Auffassung der Kammer steht diese der Monokausalität und dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung aber nicht entgegen.
Zunächst bedinge die vorliegend angeordnete Quarantäne nicht zwangsläufig eine Unmöglichkeit der Arbeitsleistung nach § 275 Abs. 1 BGB. Vielmehr hänge dies davon ab, ob die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht auch aus dem Homeoffice erbracht werden könne. Eine unmittelbare Unmöglichkeit sei nur dann gegeben, wenn die betroffene Person ihre Wohnung verlassen müsse, um die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen.
Aber auch dann, wenn die Anordnung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung mit sich bringe, ergebe sich der Vorrang der Entgeltfortzahlung aus der Regelung in § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG. Dieser Anspruch setze bereits seinem Wortlaut nach voraus, dass die betroffene Person einen „Verdienstausfall“ erleide, mithin aufgrund der Quarantäne-Anordnung keine Vergütung erhalte. Der Anspruch solle damit bereits seinem Wortlaut nach nur subsidiär eingreifen, wenn der Verdienst kausal aufgrund der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen entfalle. Es entstehe aber grundsätzlich eben kein Verdienstausfall, wenn im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gemäß § 3 Abs. 1 EFZG die Vergütungspflicht bestehen bleibe.
Dem Vorrang des Entgeltfortzahlungsanspruches entspreche es schließlich auch, dass der Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG im Fall der Quarantäne nur für „Ausscheider“, „Ansteckungsverdächtige“ und „Krankheitsverdächtige“ geregelt wurde, nicht hingegen für „Kranke“, obwohl diesen gegenüber die Maßnahmen nach § 28 ff. IfSG ebenso angeordnet werden können.
Hinweise für die Praxis
Die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen beschäftigen die Arbeitsgerichte weiterhin mit bislang ungeklärten Fragestellungen. Vor allem die vor dem Jahr 2020 in der Praxis weitgehend unbekannte Thematik der gesundheitsbehördlichen Quarantäne-Anordnung führt vielfach zu Anspruchskonkurrenzen, die einer Auflösung bedürfen. Erst kürzlich hat das ArbG Bonn (Urteil vom 07.07.2021 – 2 Ca 504/21) eine Entscheidung zum Verhältnis von Quarantäne und Erholungsurlaub getroffen.
Die Entscheidung des ArbG Aachen verdient Zustimmung. Der Grundsatz der Monokausalität der Entgeltfortzahlung gilt auch sonst nicht absolut, sondern bedarf jeweils einer tragfähigen Begründung. Das ArbG Aachen hat bei Zusammentreffen zweier Hinderungsgründe für die Arbeitsleistung dem Interesse der Allgemeinheit an einer schonenden Gewährung staatlicher Leistungen den Vorrang gegeben. Dies ist im Ergebnis gut vertretbar, wenn auch für die Arbeitgeberseite mit erhöhten Kosten verbunden.
6. September 2021