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Maskenpflicht am Arbeitsplatz trotz Attest

Das Arbeitsgericht Siegburg hat mit Urteil vom 16. Dezember 2020 (Az. 4 Ga 18/20) bestätigt, dass Arbeitgeber das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung oder eines Gesichtsvisiers während der Arbeitszeit anordnen dürfen. Der einstweilige Verfügungsantrag eines Arbeitnehmers, der ein ärztliches Attest gegen die Maskenpflicht vorgelegt hatte, wurde zurückgewiesen.

Sachverhalt

Der Verfügungskläger erbringt als Mitarbeiter der Rathausverwaltung seine Tätigkeit überwiegend im Büro. Anfang Mai 2020 hatte die Verfügungsbeklagte das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung in den Räumlichkeiten des Rathauses für Besucher und Beschäftigte angeordnet. Der Verfügungskläger legte daraufhin ein ärztliches Attest vor, demzufolge er aufgrund einer – nicht näher benannten – Erkrankung vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes befreit sei. Die auf Bitten der Verfügungsbeklagten durchgeführte arbeitsmedizinische Untersuchung des Verfügungsklägers durch das Werksarztzentrum ergab, dass das vorgelegte Attest „nach den Darstellungen des Mitarbeiters nachvollziehbar“ sei.

Im Oktober 2020 wurde der Verfügungskläger aufgefordert, anstelle der Mund-Nase-Bedeckung ein Gesichtsvisier zu tragen, und zwar in Gemeinschaftsräumen, bei Betreten der Flure oder des WC sowie der Teeküche und des Pausen- und Druckerraums. Auch gegen diese Anordnung legte der Verfügungsbeklagte ein ärztliches Attest vor, das ihn vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes „oder alternativen Gesichtsvisieren jeglicher Art“ befreite. Die Verfügungsbeklagte teilte daraufhin mit, sie halte an der Dienstanweisung fest; der Verfügungskläger müsse ein Gesichtsvisier tragen. Eine Weiterbeschäftigung ohne Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes oder Gesichtsvisiers wurde abgelehnt.

Mit Antragsschrift vom 7. Dezember 2020 begehrte der Verfügungskläger seine Beschäftigung sowie die Feststellung, dass er nicht verpflichtet sei, ein Gesichtsvisier oder eine Mund-Nasen-Bedeckung beim Betreten des Rathauses und bei Gängen über die Flure und in Gemeinschaftsräumen zu tragen. Hilfsweise verlangte er die Beschäftigung im Homeoffice. Er ist der Auffassung, durch die Atteste ausreichend dargetan zu haben, dass ihm aus gesundheitlichen Gründen das Tragen sowohl einer Mund-Nasen-Bedeckung als auch eines Gesichtsvisiers nicht zuzumuten sei. Die Verfügungsbeklagte meint, dass sie den Verfügungskläger nur unter Einhaltung der geltenden Hygienebestimmungen weiterbeschäftigen müsse, zumal an der Richtigkeit der erteilten Atteste erhebliche Zweifel bestünden.

Das Arbeitsgericht Siegburg hat die Anträge des Verfügungsklägers zurückgewiesen. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des Gerichts überwiegt der Gesundheits- und Infektionsschutz aller Mitarbeiter und Besucher des Rathauses der Verfügungsbeklagten das Interesse des Verfügungsklägers an einer Beschäftigung ohne Gesichtsvisier oder Mund-Nase-Abdeckung. Im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht sei der Arbeitgeber zu Schutzmaßnahmen gegenüber seinen Arbeitnehmern verpflichtet (§ 618 BGB). Er habe deshalb die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten. In der gegenwärtigen Pandemielage bedeute dies, dass der Arbeitgeber sicherzustellen habe, dass die Arbeitnehmer – und bei einer Behörde auch die Bürgerinnen und Bürger – an ihren Arbeitsplätzen einem nur geringen bis gar keinem Infektionsrisiko ausgesetzt werden. Die Anordnung sei deshalb vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO umfasst.

Das Gericht äußerte zudem Zweifel an der Richtigkeit des vorgelegten ärztlichen Attests. Diesem komme ein überaus geringer Beweiswert zu, da ohne jegliche weiteren Ausführungen, eine Befreiung von der Tragepflicht „Gesichtsvisiere jeglicher Art“ attestiert werde. Dabei sei die rechtliche Situation nicht vergleichbar mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der ein hoher Beweiswert zukomme. Vorliegend sei Ziel des Verfügungsklägers, mithilfe der ärztlichen Bescheinigungen einen rechtlichen Vorteil zu erwirken. In derartigen Konstellationen müsse der Arbeitgeber aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen selbständig zu prüfen.

Der Antrag auf Einrichtung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes wurde mit Hinweis auf eine fehlende Anspruchsgrundlage verneint.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil bestätigt die bisherige Rechtsprechungslinie zum verpflichtenden Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung. Bereits im Oktober hatte das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 15. Oktober 2020 – 42 Ga 13034/20) den Antrag einer Flugsicherheitsassistentin abgelehnt, die bei ihrer Tätigkeit statt Mund-Nasen-Schutz einen Gesichtsschutzschirm tragen wollte. Zuvor hatte das OVG Münster entschieden, eine Befreiung von der Maskenpflicht an Schulen durch ärztliches Attest setze voraus, dass sich aus dem Attest nachvollziehbar ergebe, welche konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf Grund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung alsbald zu erwarten seien und woraus diese im Einzelnen resultieren (Beschluss vom 24. September 2020 – 13 B 1368/20). Das Arbeitsgericht Siegburg hat diesen Gedanken nun auf das Arbeitsverhältnis übertragen.

Dem Gesundheitsschutz der Allgemeinheit wird in der Pandemie damit bislang der klare Vorrang vor Individualrechten eingeräumt. Mit einer Neujustierung dürfte frühestens dann zu rechnen sein, wenn die Infektionslage grundlegend anders beurteilt wird. Gegenwärtig dürfte für Arbeitgeber das größere rechtliche Risiko jedenfalls nicht in der Durchsetzung einer Maskenpflicht liegen, sondern vielmehr in der Unterlassung hinreichender Schutzvorkehrungen. Darauf deutet nicht zuletzt auch der Hinweis des Arbeitsgericht Siegburg auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers hin.

Kritikwürdig erscheint indes die Abschwächung der Nachweisfunktion des ärztlichen Attests. Die Anforderung, das Attest müsse überprüfbare Angaben enthalten, versetzt Arbeitnehmer in die Situation, zur Wahrung ihrer Rechte gesundheitssensible Daten offenbaren zu müssen. Davon dürfte aus naheliegenden Gründen in vielen Fällen abgesehen werden. Um aus medizinischen Gründen vom Tragen eines Mund-Nase-Schutzes befreit zu werden, ist dieser Schritt aber derzeit wohl unumgänglich. Dabei ist im Einzelnen noch ungeklärt, ab welchem Grad der gesundheitlichen Beeinträchtigung eine Befreiung allgemein als zulässig anerkannt wird.

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