Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Können Ärzte nebenberuflich als selbstständige Honorarkräfte im Notarztdienst tätig werden?

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte die Frage zu entscheiden, ob ein in einem Vollzeitarbeitsverhältnis stehender Arzt daneben als freiberufliche unselbständige Honorarkraft im Rettungsdienst als Notarzt tätig werden kann, oder ob es sich dabei um eine abhängige und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt. Letzteres hat das BSG bejaht.

Sachverhalt

Der Entscheidung des BSG liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der klagende Landkreis ist öffentlich-rechtlicher Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes einschließlich der notärztlichen Versorgung (Rettungsdienstträger) sowie Leistungserbringer im Rettungsdienst in Hessen. Der bei der Malteser Hilfsdienst gGmbH seit Januar 2017 vollzeitbeschäftigte Beigeladene war seit August 2016 als Notarzt im Rettungsdienst für den Kläger tätig. Die insoweit abgeschlossene "Honorarvereinbarung" sieht ua vor, dass der Beigeladene "freiberuflich tätig", "nicht in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden" und "in seiner Verantwortung in Diagnostik und Therapie unabhängig" ist, die von der Leitstelle angezeigten Rettungseinsätze zu leisten hat und eine Vergütung von brutto 35 Euro je geleistete Stunde erhält. Die Dienste wurden auf einem Online-Portal ausgeschrieben und konnten vom Beigeladenen frei ausgewählt werden. Während einer übernommenen Schicht hielt er sich in der von der Stadt Fulda unterhaltenen Rettungswache auf. Nach Alarmierung durch die zentrale Leitstelle, die den gesamten Einsatz lenkte, wurde er von einem Fahrer in einem Notarztfahrzeug der Stadt Fulda an den Einsatzort gebracht. Die Einsätze hatte der Beigeladene nach einheitlichen Vorgaben zu dokumentieren.

Die beklagte DRV Bund stellte die Versicherungspflicht des Beigeladenen in den Zweigen der Sozialversicherung aufgrund seiner abhängigen Beschäftigung als Notarzt fest. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat dieses Urteil sowie die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass keine Versicherungspflicht bestehe. Der Beigeladene sei zwar engmaschig in die Organisation des Rettungsdienstes eingegliedert gewesen und habe hierbei zahlreiche Vorgaben beachten müssen. Das ergebe sich jedoch aus regulatorischen Bestimmungen. Wegen dieser Regularien habe der Beigeladene arbeitsteilig mit weiteren, am Rettungseinsatz beteiligten Personen zusammenwirken müssen und fehle es an einem unternehmerischen Risiko. Die übrigen beteiligten Personen seien zudem nicht bei dem Kläger, sondern der Stadt Fulda beschäftigt gewesen, die auch die Betriebsmittel (Rettungswache, Fahrzeuge, Ausrüstung) gestellt habe. Damit scheide auch die Eingliederung des Beigeladenen in die betriebliche Organisation des Klägers aus.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 7 Abs 1 SGB IV. Die Einsätze des Beigeladenen dienten der Erfüllung einer eigenen Verpflichtung des Klägers als Leistungserbringer für die notärztliche Versorgung und gehörten mithin zu dessen regulärem Betrieb. In diesen sei der Beigeladene eingegliedert gewesen. Die Vorgaben durch regulatorische Bestimmungen änderten daran nichts.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten war erfolgreich. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts sei der beigeladene Arzt als Notarzt im Rettungsdienst abhängig beschäftigt und damit versicherungspflichtig gewesen. Für die Beurteilung würden keine anderen Maßstäbe gelten als der Senat bereits zur vergleichbaren Tätigkeit von Honorarärzten im Krankenhaus entschieden hat (zB BSG Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R - BSGE 128, 191 = SozR 4-2400 § 7 Nr 42). Danach sei eine Gesamtwürdigung maßgeblich, in der insbesondere die Eingliederung in die Arbeitsorganisation in den Blick zu nehmen sei. Denn auch bei eingeschränktem Weisungsrecht könne die Dienstleistung fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird und sich daher als "funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess" darstelle. Bei Vertragsgestaltungen, in denen – wie hier – die Übernahme einzelner Dienste jeweils frei vereinbart wird, sei dabei auf die jeweiligen Einzelaufträge abzustellen. Das Weisungsrecht habe zumindest insoweit bestanden, als die Leitstelle den Einsatz lenkte und dem Notarzt den Einsatzort zuwies, an den er sich so schnell wie möglich zu begeben hatte. In die Arbeitsorganisation des klagenden Landkreises sei er eingegliedert gewesen, weil er zur Erbringung der Notarzttätigkeit Arbeitsmittel nutzte und mit Personal arbeitsteilig zusammenwirkte, das zu dessen Rettungsdienstbetrieb gehörte. Der Landkreis habe als Träger und Erbringer des bodengebundenen Rettungsdienstes (§ 5 Abs 1 HRDG) zum einen die dazu notwendigen Einrichtungen, Betriebsmittel und das weitere Personal bei der Stadt Fulda beschafft und zum anderen die notärztlichen Leistungen durch den Beigeladenen erbracht. Dass diese Einbindung des Notarztes in die "Rettungskette" zum einen "in der Natur der Sache" des Notarzteinsatzes liegt und zum anderen den regulatorischen Vorgaben entspricht, führe nicht dazu, dass diese Aspekte bei der Gesamtwürdigung außer Acht zu lassen seien.

Von der aufgrund abhängiger Beschäftigung bestehenden Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung sei der beigeladene Arzt auch nicht befreit gewesen. Da die Tätigkeit systematisch und strukturell auf ständige Wiederholung angelegt gewesen sei, habe es sich um eine regelmäßige Beschäftigung gehandelt (ohne zeitliche Begrenzung), die allein der Fallgruppe der Entgeltgeringfügigkeit nach § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV zuzuordnen sei. Die danach entscheidende Entgeltgrenze sei überschritten worden, sodass keine Versicherungsfreiheit aufgrund geringfügiger Beschäftigung bestanden habe. Eine Versicherungsfreiheit aufgrund einer berufsmäßig ausgeübten unständigen Beschäftigung nach § 27 Abs 3 Nr 1 SGB III scheide aus, weil die Tätigkeit als Notarzt im Rettungsdienst gegenüber der ebenfalls ausgeübten Angestelltentätigkeit nicht den zeitlichen oder wirtschaftlichen Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit gebildet habe und daher keine Berufsmäßigkeit vorgelegen habe. Die ab 11. April 2017 geltende Vorschrift des § 23c Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB IV regele ausschließlich die Beitragspflicht, die hier nicht Streitgegenstand gewesen sei.

Hinweis für die Praxis

Das Bundessozialgericht setzt damit die Linie seiner Rechtsprechung zu verschiedenen Punkten fort und bekräftigt sie. Die selbstständige ärztliche Tätigkeit auf Honorarbasis wird danach außerhalb bzw. neben den seit langem anerkannten Fallgruppen selbständiger ärztlicher Tätigkeit, insbesondere als niedergelassener Arzt, sozialrechtlich weitestgehend ausgeschlossen.

Bestätigt hat das Gericht auch seine Spruchpraxis dazu, dass auf Dauer bzw. Regelmäßigkeit angelegte Tätigkeiten nicht nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV zeitgeringfügig sein können, sondern in dieser Konstellation allenfalls eine Entgeltgeringfügigkeit in Betracht kommt.

Bei der Entscheidung über das Ob und Wie in der Zusammenarbeit mit ärztlich tätigen Personen Sollte diese sozialgerichtliche Rechtsprechung bedacht und strikt beachtet werden.

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