Keine Sozialplanabfindung bei abschlagsfreier Rente
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat mit Urteil vom 08.12.2020 (Az.: 2 Sa 152/20) entschieden, dass eine Regelung in einem Sozialplan, nach der Arbeitnehmer, welche eine abschlagsfreie Rente erhalten können, keine Sozialplanabfindung erhalten, zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG bewirkt, diese jedoch nach § 10 S. 3 Nr. 6 i. V. m. § 10 S. 2 AGG gerechtfertigt ist.
Sachverhalt
Der Kläger war bei der Beklagten, die ein Logistikunternehmen betreibt, als Kommissionierer in einem Depot beschäftigt. Die Beklagte schloss mit dem Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich betreffend die Schließung diverser Depots. Darunter fiel auch das Depot, in dem der Kläger beschäftigt war und ein daraus resultierender Abbau von 24 Stellen. Auf dieser Grundlage kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen zum 30.04.2020. Zum Ausgleich bzw. zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern aufgrund der in dem Interessenausgleich beschriebenen Maßnahmen entstehen schloss die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat einen Sozialplan, welcher Abfindungsregelungen enthält. Die Basisabfindung bemisst sich nach der Formel: „Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt x 0,6“. Für „rentennahe Mitarbeiter“, die innerhalb einer Frist von höchstens 24 Monaten im Anschluss an die fristgerechte Beendigung des Arbeitsverhältnisses Altersrente jedweder Art (außer Erwerbsunfähigkeitsrente) auch mit Abschlägen beziehen können, findet sich eine Sonderregelung, nach der diese eine geringere Abfindung erhalten. Keine Abfindung erhalten nach dem Sozialplan u. a. „Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt des Ausscheidens eine unbefristete oder ungekürzte Rentenleistung durch die gesetzliche Rentenversicherung erhalten bzw. erhalten könnten und keinen Antrag auf eine solche Altersrente stellen, obwohl die Voraussetzungen erfüllt sind.“ Der Kläger bezieht in unmittelbarem Anschluss an die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses seit dem 01.05.2020 nach einer Wartezeit von 45 Jahren eine Altersrente für langjährig versicherte ohne Rentenabschläge. Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Abfindung in Höhe der Basisabfindung. Dies lehnte die Beklagte unter Berufung auf die nach Ihrer Ansicht wirksame Ausschlussregelung im Sozialplan bei Bezug ungekürzter Altersrente ab. Das Arbeitsgericht Stralsund hat die Klage abgewiesen. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern als unbegründet verworfen.
Entscheidungsgründe
Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung der begehrten Abfindung aus dem Sozialplan zusteht, weil die Betriebsparteien für Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt des Ausscheidens eine unbefristete oder ungekürzte Rentenleistung durch die gesetzliche Rentenversicherung erhalten, wirksam von den Abfindungsleistungen des Sozialplans ausgeschlossen sind. Da den Betriebsparteien bei der Beurteilung des Ausmaßes der mit einer Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer und der Festlegung eines angemessenen Nachteilsausgleich ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könnten diese grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang bzw. in welcher Weise sie die entstandenen Nachteile ausgleichen oder mildern wollen. Die Betriebsparteien seien nicht gehalten, alle denkbaren Nachteile zu entschädigen. Dies gelte jedenfalls innerhalb der Grenzen von Recht und Billigkeit nach § 75 Abs. 1 BetrVG und unter Berücksichtigung der Funktion eines Sozialplans nach § 112 Abs. 1 BetrVG. Zu beachten sei deshalb insbesondere der Gleichbehandlungsgrundsatz, dem wiederum der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu Grunde liege. Dieser ziele darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen bei vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrundes sei vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck. Dieser bestehe gemäß § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG in dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die dem Arbeitnehmer infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Dieser Zweck werde nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes auch durch eine im Sozialplan vorgesehene Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes verfolgt, welche kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit geleisteten Dienste darstelle, sondern künftige wirtschaftliche Nachteile ausgleichen oder doch mildern solle. Ihren bei der tatsächlichen Einschätzung der mit der Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Folgen bestehenden weiten Beurteilungsspielraum haben die Betriebsparteien nicht überschritten, indem sie für rentennahe Arbeitnehmer eine modifizierte Abfindung und für durch eine ungekürzte Rente versorgte Arbeitnehmer gar keine Abfindung vorgesehen haben. Sowohl bei dem modifizierten Abfindungsanspruch für rentennahe Arbeitnehmer als auch bei dem Ausschluss eines Abfindungsanspruches im Falle ungekürzten Rentenbezuges handele es sich um eine angemessene und erforderliche Maßnahme im Sinne von § 10 S. 2 AGG. Der Ausschluss von Arbeitnehmern, die abschlagsfreie Altersrente beziehen können von dem Bezug von Abfindungsleistungen ist notwendig, weil dieser Arbeitnehmer anderenfalls entgegen dem Zweck der Sozialplanleistungen gegenüber jüngeren Arbeitnehmern überproportional begünstigt worden wären. Im Gegensatz zu solchen, jüngeren Arbeitnehmern seien die Arbeitnehmer, welche eine Altersrente für langjährig Versicherte nach § 236 Abs. 1 S. 2 SGB VI beziehen könnten, hinreichend wirtschaftlich abgesichert. Auch die Differenzierung zwischen modifizierten Abfindungsleistungen für rentennahe Arbeitnehmer und dem Ausschluss von Abfindungsleistungen für Arbeitnehmer mit der Möglichkeit zum abschlagsfreien Bezug einer ungekürzten Altersrente bewege sich im Rahmen des den Betriebsparteien zustehenden Beurteilungsspielraums gemäß § 10 S. 3 Nr. 6 2. Alt. AGG. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass die von dem Kläger bezogene Altersrente für langjährig Versicherte geringfügig niedriger ausfalle, als eine Regelaltersrente nach Einzahlung weiterer Rentenversicherungsbeiträge durch eine fortgesetzte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, denn die Betriebsparteien seien nicht gehalten, jeglichen Nachteil durch die Betriebsänderung auszugleichen bzw. abzumildern.
Hinweise für die Praxis
Das Landesarbeitsgericht hat sich mit seinem Urteil der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss v. 07.05.2019, Az.: 1 ABR 54/17) angeschlossen und damit für weitere Rechtssicherheit bei der Gestaltung von Sozialplänen gesorgt. Dies liegt nicht nur im Interesse der Betriebsparteien, sondern dient auch der Vermeidung von Streitigkeiten bei den Arbeitsgerichten über entsprechende Regelungen in Sozialplänen.
2. März 2021