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Insolvenzrechtlicher Rang des Urlaubsabgeltungsanspruchs bei Inanspruchnahme der Arbeitsleistung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 25.11.2021 (Az. 6 AZR 94/19) entschieden, dass in der Insolvenz des Arbeitgebers der Anspruch des Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung vollständig als Masseverbindlichkeit zu berichtigen ist, falls der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter) die Arbeitsleistung zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch in Anspruch genommen hat.

Sachverhalt

Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger wurde als Arbeitnehmer von der Beklagten als damalige starke vorläufige Insolvenzverwalterin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Arbeit herangezogen. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses waren noch Urlaubsansprüche offen. Mit seiner Klage hat er für diese die Zahlung einer Abgeltung in Höhe von 3.391,30 Euro brutto als Masseverbindlichkeit verlangt. Die Beklagte hat dies als nunmehrige (nicht mehr vorläufige) Insolvenzverwalterin abgelehnt, weil es sich nur um eine zur Insolvenztabelle anzumeldende Insolvenzforderung handle.

In den Vorinstanzen hatte der Kläger keinen Erfolg; das BAG gab der Revision des Klägers indessen statt.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des Sechsten Senats des BAG ist die streitbefangene Urlaubsabgeltung ist in voller Höhe als Masseverbindlichkeit zu berichtigen. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO sehe die Begründung von Masseverbindlichkeiten vor, „soweit“ der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Entscheide sich der sog. starke vorläufige Insolvenzverwalter für die Inanspruchnahme der Arbeitskraft eines Arbeitnehmers, habe er alle Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen.

Hiervon umfasst seien nicht nur Ansprüche, welche unmittelbar auf einer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung beruhen, sondern auch solche, denen keine unmittelbare Wertschöpfung für die Masse gegenübersteht.

Der vollen Berichtigung als Masseverbindlichkeit stehe auch nicht entgegen, dass der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts bzgl. der vergleichbaren Regelung in § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO in der Vergangenheit von einer nur anteiligen Zuordnung der „geldwerten Urlaubsansprüche“ ausgegangen war (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 97/06 -). Denn auf Anfrage des in der vorliegenden Rechtssache erkennenden Sechsten Senats hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts erklärt, an dieser Auffassung nicht festzuhalten (BAG 16. Februar 2021, 9 AS 1/21).

Hinweis für die Praxis

Mit seiner Entscheidung stärkt des BAG die Position von Arbeitnehmern insolventer Arbeitgeber konsequent, indem es bei Inanspruchnahme der Arbeitsleistung durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter alle Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis zugunsten des Arbeitnehmers für Masseverbindlichkeiten erklärt. Dies hat die Folge, dass diese Verbindlichkeiten privilegiert aus der Masse befriedigt werden und nicht zur Insolvenztabelle als Insolvenzforderung anzumelden sind; letzteres führt in der Praxis regelmäßig zu einer weit niedrigeren Realisierungsquote, die bei Insolvenzforderungen häufig nicht einmal 5% erreicht.

Mag man dieses Ergebnis im Sinne des Arbeitnehmerschutzes – und indirekt zudem der Motivation von Arbeitnehmern, trotz Insolvenz des Arbeitgebers diesem weiterhin die Treue zu halten und Arbeitsleistung zu erbringen – auch gutheißen, lässt sich andererseits allerdings ebenso kritisieren, dass dies spiegelbildlich zu einer Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger führt.

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