Stefan Daub, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass wenn ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis kündigt und er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird, dies den Beweiswert einer vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern kann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.

Sachverhalt

Dem Urteil des BAG vom 08.09.2021 (5 AZR 149/21) liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin war bei der Beklagten seit Ende August 2018 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 08.02.2019 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 22.02.2019 und legte der Beklagten eine auf den 08.02.2019 datierte und als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Beklagte rechnete die Vergütung zwar für die Zeit vom 01. bis zum 07.02.2019 ab und überwies der Klägerin den daraus resultierenden Nettobetrag, diese aber nicht für den Zeitraum vom 08. bis 22.02.2019.

Die Klägerin hat geltend gemacht, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-Out gestanden.

Das Arbeitsgericht Braunschweig und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen haben der auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 08.02.2019 bis zum 22.02.2019 gerichteten Zahlungsklage stattgegeben.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg.

Die Klägerin hat die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit zwar mit einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen, die das gesetzlich vorgesehene Beweismittel ist. Dessen Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und diese im Streit auch beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Gelingt dem Arbeitgeber dies, muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Der Beweis kann in diesem Fall insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen.

Die Beklagte hat nach diesen Grundsätzen allein durch die Koinzidenz zwischen der Kündigung vom 08.02.2019 zum 22.02.2019 und der am 08.02. bis zum 22.02.2019 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert.

Da die Klägerin im weiteren Lauf des Prozesses ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit auch nach Hinweis des BAG nicht hinreichend konkret nachgekommen ist, konnte das BAG die Klage abweisen.

Hinweis für die Praxis

In der Praxis ist es für Arbeitgeber regelmäßig schwierig, den Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, da eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach der ständigen Rechtsprechung des BAG das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist (vgl. z.B. bereits BAG 26.02.2003, 5 AZR 112/02). Ein Tatrichter kann somit „normalerweise“ den Beweis, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt, als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt.

Das BAG hat im Streit zu Recht erkannt, dass der Normalfall mit Blick auf die Koinzidenz eben nicht vorlag. Die Arbeitnehmerin wäre nicht daran gehindert gewesen, den Beweis auf andere Art zu erbringen, sie hat aber wohl nicht entsprechend hinreichend vorgetragen und evtl. auch keine Beweisanträge gestellt (die Entscheidung des BAG liegt derzeit nur als Pressemitteilung vor), weshalb das BAG die Klage abweisen konnte, ohne den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuweisen. Ist der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund „tatsächlicher Umstände“ erschüttert, trägt ein Arbeitnehmer nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzung und damit auch dafür, dass eine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit gem. § 3 Abs. 1 EFZG vorliegt (vgl. hierzu auch BAG 11.12.2019, 5 AZR 505/18).

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