Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Entgelterhöhung durch Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats zum Dienstplan?

Das Arbeitsgericht Mannheim (Urteil vom 09.07.2021, 12 Ca 29/21) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern für das Ableisten von Diensten nach § 10 Abs. 11 Satz 2 TV-Ärzte/VKA einen um 10% höheren Zuschlag erhalten, wenn der Betriebsrat dem vom Arbeitgeber aufgestellten Dienstplan nicht zugestimmt hat.

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Zuschlagshöhe der von der Klägerin geleisteten Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienste.

Die Beklagte betreibt ein Universitätsklinikum. Die Klägerin ist bei der Beklagten als Fachärztin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (im Folgenden: TV-Ärzte/VKA) Anwendung. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat, dessen Mitglied die Klägerin ist.

Die Klägerin hat Ruf- und Bereitschaftsdienste geleistet. Den Dienstplänen, die der Beklagten für die entsprechenden Zeiträume erstellt und vorgelegt hatte, hat der Betriebsrat nicht zugestimmt. Das Mitbestimmungsverfahren ist auch im Nachhinein, nicht bis zum Abschluss durchgeführt worden.

Entscheidungsgründe

Die Klage hatte vor dem Arbeitsgericht in vollem Umfang Erfolg.

Die Klägerin habe gemäß § 10 Abs. 11 Satz 2 TV-Ärzte/VKA Anspruch auf die von ihr geltend gemachten Zuschläge, denn in den Monaten in der die Dienste geleistet worden waren, seien die Dienstpläne bezüglich der Bereitschafts- und Rufbereitschaftsdienste nicht spätestens einen Monat vor Beginn des jeweiligen Planungszeitraums im Sinne von § 10 Abs. 11 Satz 1 TV-Ärzte/VKA aufgestellt gewesen. Die Lage der Bereitschafts- und Rufbereitschaftsdienste sei nach § 10 Abs. 11 Satz 1 Halbsatz 1 TV-Ärzte/VKA in einem Dienstplan zu regeln. Für den Fall, dass der Dienstplan nicht gemäß § 10 Abs. 11 Satz 1 Halbsatz 2 TV-Ärzte/VKA spätestens einen Monat vor Beginn des jeweiligen Planungszeitraums aufgestellt worden ist, erhöhe sich gemäß § 10 Abs. 11 Satz 2 TV-Ärzte/VKA die Bewertung des Bereitschaftsdienstes gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 TV-Ärzte/VKA für jeden Dienst des zu planenden Folgemonats um 10%.

Nach Auffassung der Kammer sei ein Dienstplan „aufgestellt“ in diesem Sinne, wenn ein verbindlicher und in verfassten Betrieben mitbestimmter Dienstplan vorliege, was sich aus der Auslegung der tariflichen Norm ergebe. Bei der Formulierung „aufgestellt“ handele es sich nicht um einen feststehenden Rechtsbegriff. Der Begriff „aufstellen“ beschreibe aber in sämtlichen, ihm zugeschriebenen möglichen Bedeutungen das Ergebnis eines in sich abgeschlossenen Prozesses (etwa: einen Kandidaten aufstellen, einen Posten aufstellen, eine Mannschaft aufstellen, ein Programm aufstellen, einen Rekord aufstellen). In betriebsratslosen Betrieben sei das Aufstellen eines verbindlichen Dienstplanes gleichbedeutend mit dessen Erstellung durch den Arbeitgeber. In Betrieben, in denen ein Betriebsrat gewählt ist, sei unter Berücksichtigung der Systematik der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten der Prozess des „Aufstellens“ eines Dienstplanes indessen erst dann abgeschlossen und damit verbindlich, wenn eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat herbeigeführt worden sei.

Die von der Beklagten geäußerte Befürchtung, der Betriebsrat könne durch eine bewusste Verzögerung bei der Aufstellung von Dienstplänen das Anfallen von Zuschlägen steuern, teile die Kammer nicht. Den Betriebsrat treffe vielmehr nach § 74 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 BetrVG eine Mitwirkungspflicht. Danach haben die Betriebsparteien über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen. Das gesetzliche Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit sei Maßstab dafür, wie die Betriebsparteien ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Das von der Beklagten angeführte Argument, § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA müsse für betriebsratslose Betriebe und für solche, in denen ein Betriebsrat gewählt sei, einheitlich dahin ausgelegt werden, dass es auf das Mitbestimmungsverfahren nicht ankomme, überzeuge nicht. In betriebsratslosen Betrieben könne ein Dienstplan vielmehr einseitig und verbindlich vom Arbeitgeber aufgestellt werden; in Betrieben mit Betriebsrat sei dies – wie bereits ausgeführt – nicht möglich.

Hinweis für die Praxis

Die vom Arbeitsgericht postulierte, sozusagen »selbstverständliche« Ungleichbehandlung von Betrieben mit und ohne Betriebsrat ist nach der Tarifnorm nicht zwingend. Wenn es Sinn und Zweck der erhöhten Zahlungsverpflichtung ist, den Arbeitgeber zum rechtzeitigen Aufstellen des Dienstplanes anzuhalten, kann es in diesem Zusammenhang nur auf die Umstände ankommen, die der Arbeitgeber auch selbst autark beeinflussen und steuern kann. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht zutreffend, wenn auf arbeitszeitrechtliche Mängel des aufgestellten und dem Betriebsrat vorgelegten Dienstplans im konkreten Fall hingewiesen wird. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts beschränkt sich nämlich nicht auf Fälle, in denen lediglich arbeitszeitrechtliche Mängel beanstandet werden. Vielmehr stellt das Arbeitsgericht auf das Mitbestimmungsverfahren insgesamt ab, das bekanntlich bei der Dienstplangestaltung keine bloße Rechtskontrolle ist, sondern echtes Mitgestalten.

Insoweit hilft auch der Verweis darauf, dass das Mitbestimmungsverfahren auch zeitlich nachrangig abschließend durchgeführt werden könnte, nicht weiter. Bleibt der Betriebsrat in seiner Ablehnung »standhaft«, müsste die Einigungsstelle angerufen werden. Angesichts der dadurch bekanntlich auf Arbeitgeberseite ausgelösten Kostenbelastung, ist dies keine tragfähige Alternative.

Die Auffassung des Arbeitsgerichts, es bestehe angesichts der gesetzlichen Verpflichtungen der Betriebsparteien und damit auch des Betriebsrats nicht die Gefahr, dass durch missbräuchliche Verhaltensweise die Vergütungsansprüche der Beschäftigten erhöht würden, erscheint – mit Verlaub – ein wenig weltfremd.

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