Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Betriebsübergang und Personalgestellung nach Tarifvertrag

Bei einem Betriebsübergang können die Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 6 BGB dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebsübernehmer widersprechen. Der bisherige Betriebsinhaber bleibt Arbeitgeber und muss das dadurch entstehende Problem unter Beachtung aller kündigungsschutzrechtlichen Schutzbestimmungen lösen. Im Bereich des öffentlichen Dienstes gibt es tarifvertraglich die Möglichkeit der dauerhaften Personalgestellung, mit dem diese Problematik bisher sehr einfach gelöst werden konnte. Ob dies nach den Bestimmungen der Europäischen Union auch zukünftig so bleibt, steht auf dem Prüfstand.

Sachverhalt

Dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Juni 2021 (6 AZR 390/20) liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Klägers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft im Wege der Personalgestellung bei einem Drittunternehmen zu erbringen, nachdem sein Aufgabenbereich zu diesem verlagert worden ist.

Der Kläger ist bei der beklagten GmbH seit April 2000 beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus, deren Trägerin und einzige Gesellschafterin eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist. Sie besitzt keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in der für kommunale Arbeitgeber geltenden Fassung Anwendung.

Im Juni 2018 gliederte die Beklagte verschiedene Aufgabenbereiche, zu denen auch der Arbeitsplatz des Klägers gehört, auf eine neu gegründete Service GmbH aus. Die Ausgliederung führte zu einem Betriebsteilübergang. Der Kläger widersprach nach § 613a Abs. 6 BGB dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Service GmbH. Seit Juni 2018 erbringt er allerdings auf Verlangen der Beklagten seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung im Wege der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD bei dieser GmbH. Sein dortiger Arbeitseinsatz ist auf Dauer angelegt. Das zwischen ihm und der Beklagten vereinbarte Arbeitsverhältnis besteht jedoch mit dem bisherigen Inhalt fort. Der Service GmbH obliegt nur das fachliche und organisatorische Weisungsrecht gegenüber dem Kläger. Inhaltsgleiche Regelungen bestehen in den Tarifverträgen für die Tarifbereiche des Bundes und der Länder.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, sein Einsatz bei der Service GmbH verstoße gegen Unionsrecht. Bei der Personalgestellung i.S.v. § 4 Abs. 3 TVöD handele es sich um eine dauerhafte und damit nach der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung. Die Beklagte hat demgegenüber gemeint, die Personalgestellung sei bereits aufgrund der Bereichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) keine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Vorabentscheidungsersuchen

Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit Beschluss den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung zweier Fragen zur Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG ersucht und das Revisionsverfahren bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:

  • Findet Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit Anwendung, wenn – wie in § 4 Abs. 3 TVöD bestimmt – Aufgaben eines Arbeitnehmers zu einem Dritten verlagert werden und dieser Arbeitnehmer bei weiter bestehendem Arbeitsverhältnis zu seinem bisherigen Arbeitgeber auf dessen Verlangen die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft bei dem Dritten erbringen muss und dabei dem fachlichen und organisatorischen Weisungsrecht des Dritten unterliegt?
  • Sofern die Frage zu 1. bejaht wird: Ist es mit dem Schutzzweck der Richtlinie 2008/104/EG vereinbar, wenn wie durch § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG die Personalgestellung im Sinne von § 4 Abs. 3 TVöD aus dem Anwendungsbereich der nationalen Schutzvorschriften bei Arbeitnehmerüberlassung herausgenommen wird, sodass diese Schutzvorschriften auf die Fälle der Personalgestellung nicht anzuwenden sind?

Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob die Personalgestellung i.S.v. § 4 Abs. 3 TVöD unter den Schutzzweck und damit in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie fällt. Wenn dies zuträfe, käme es für die Entscheidung darauf an, ob die Leiharbeitsrichtlinie eine Bereichsausnahme wie die in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG geregelte zulässt. Die Beantwortung dieser Fragen betrifft die Auslegung des Unionsrechts, die in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fällt.

Hinweis für die Praxis

Sollte der europäische Gerichtshof die Richtlinie für den Bereich der dauerhaften Personalgestellung im öffentlichen Dienst als anwendbar ansehen und die Bereichsausnahme des deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes als richtlinienwidrig, fiele die tarifvertraglich eingeräumte Möglichkeit der Dauergestellung weg. Dadurch würden Betriebs- und Betriebsteilübergänge bei öffentlichen Arbeitgebern denselben, beschränkenden Regelungen unterworfen wie im Bereich der Privatwirtschaft.

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