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Außerordentliche Kündigung wegen Drohung mit Krankschreibung

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern (04.05.2021 – 5 Sa 319/20) hat entschieden, dass die Drohung, sich krankschreiben zu lassen, falls die Schichteinteilung nicht wie gewünscht erfolgt, eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht darstellt, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Die Klägerin steht bei der Beklagten, die eine Bäckerei mit vier Filialen betreibt, seit über zehn Jahren beanstandungsfrei in einem Beschäftigungsverhältnis. Die Klägerin hatte die Beklagte gebeten, in einer bestimmten Woche nicht in die Spätschicht eingeteilt zu werden. Nachdem diesem Wunsch nicht entsprochen wurde, reichte die Klägerin ankündigungsgemäß eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein. Zudem kündigte die Klägerin das bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich aufgrund schon länger bestehender Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitarbeiterinnen. Daraufhin kündigte die Beklagte ihrerseits der Klägerin fristlos, woraufhin die Klägerin Kündigungsschutzklage erhob.

Das ArbG Schwerin gab der Kündigungsschutzklage statt. Eine Pflichtverletzung der Klägerin sei nicht erwiesen. Es sei nicht auszuschließen, dass die Klägerin tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert gewesen sei, in der Spätschicht zu arbeiten.

Entscheidungsgründe

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern sah die außerordentliche Kündigung seinerseits zwar grundsätzlich als begründet an, wies die Berufung der Beklagten dennoch zurück, da die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin ausfalle.

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten sei unwirksam und habe das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Zwar habe die Klägerin ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Drohung mit einer Krankschreibung erheblich verletzt, da sie die Beklagte hierdurch in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt und versucht habe, eine Änderung des Dienstplans zu erzwingen. Versuche der Arbeitnehmer, einen ihm nicht zustehenden Vorteil durch eine unzulässige Drohung zu erreichen, so verletze er bereits hierdurch seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht, die es auch verbiete, die andere Seite unzulässig unter Druck zu setzen.

Durch die Ankündigung einer Krankschreibung bei objektiv nicht bestehender Erkrankung im Zeitpunkt der Ankündigung bringe der Arbeitnehmer zum Ausdruck, dass er bereit sei, notfalls seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen. Hierdurch verletze der Arbeitnehmer seine aus der Rücksichtnahmepflicht folgende Leistungstreuepflicht erheblich. Zugleich werde durch die Pflichtverletzung das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit und Loyalität des Arbeitnehmers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt. Hierin liege ein die außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigender verhaltensbedingter Grund. Eine vorausgehende Abmahnung sei entbehrlich.

Unter Abwägung der wechselseitigen Interessen sei es der Beklagten dennoch zumutbar, das Arbeitsverhältnis noch rund einen Monat bis zum Datum der Eigenkündigung fortzusetzen. Das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiege insofern nicht das Interesse der Klägerin an einer Fortführung des Arbeitsverhältnisses bis zum Datum der Eigenkündigung. Es sei insofern auch zu beachten, dass es sich bei der Androhung um eine spontane und unüberlegte Reaktion gehandelt habe, in der sich letztlich die schon länger schwelenden Spannungen zwischen den Mitarbeiterinnen entladen hätten. Zudem habe das Arbeitsverhältnis zuvor annähernd zehn Jahre lang beanstandungsfrei bestanden. Mit Störungen des Betriebsfriedens oder der betrieblichen Abläufe sei in der verbleibenden Zeit des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechnen gewesen.

Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des LAG liegt im Wesentlichen auf der Linie des BAG (vgl. etwa 12.03.2009 – 2 AZR 251/07). Die Realisierung einer zuvor angedrohten Krankschreibung mit dem Zweck ein bestimmtes Verhalten des Arbeitgebers zu erzwingen, stellt eine schwere Pflichtverletzung dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Der Arbeitnehmer bringt hierdurch zum Ausdruck, dass er bereit ist, sich durch den Missbrauch der Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes einen ihm nicht zustehenden Vorteil zu verschaffen und entzieht dem für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Vertrauensverhältnis die Grundlage. Überdies beeinträchtigt der Arbeitnehmer mit seinem Verhalten auch in schwerwiegender Weise auch die Interessen der Kollegenschaft, die infolge derartigen Verhaltens mit Misstrauen des Arbeitgebers rechnen müssen (so zu recht bereits LAG Köln 17.04.2002 – 7 Sa 462/0). Ob vor diesem Hintergrund jedoch auch das BAG eine Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugunsten der Klägerin entschieden hätte, kann in Frage gestellt werden.

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