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Auslegung eines Kündigungsschreibens

Das LAG Hamm hat mit Urteil vom 16.06.2021 (Az.: 10 Sa 122/21) entschieden, dass dann, wenn ein Arbeitgeber fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin kündigt und als Beendigungstermin ein konkretes Datum mit versehentlich zu lang gewählter Kündigungsfrist benennt, die Auslegung nach dem Empfängerhorizont trotz des erkennbaren, schnellstmöglichen Beendigungswillens des Arbeitgebers die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst zu dem genannten Datum ergeben kann.

Sachverhalt

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz allein noch um die Dauer der einzuhaltenden ordentlichen Kündigungsfrist, nachdem die Unwirksamkeit der primär ausgesprochenen fristlosen Kündigung vom 14.02.2020 zwischen den Parteien nicht mehr im Streit steht.

Im Arbeitsvertrag war die Geltung der gesetzlichen Kündigungsfristen vereinbart, wonach vier Wochen zum 15.03.2020 tatsächlich die nach dem Gesetz einzuhaltende Kündigungsfrist gewesen wären. Aufgrund eines Vorfalls mit strafrechtlichem Bezug kündigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 14.02.2020 mit folgendem Wortlaut:

„Hiermit kündige ich das zwischen uns bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin, das ist der 30. April 2020.“

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 14.02.2020 sein Ende gefunden habe, jedoch mangels Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung zum 30.04.2020. Soweit die Beklagte in der Berufung lediglich noch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 15.03.2020 hinaus angegriffen hat, so hatte die Berufung keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Ansicht des LAG habe die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf des 30.04.2020 beendet. Die explizite Benennung des Datums stelle bei der Auslegung den überwiegenden Gesichtspunkt dar.

1. Es sei nun einmal so, dass die Beklagte ausdrücklich den 30.04.2020 als den nächstmöglichen Kündigungstermin genannt habe. Die konkrete Datumsangabe könne nicht einfach ausgeblendet werden. Damit unterscheide sich der vorliegende Fall auch im entscheidenden Punkt von den Kündigungsschreiben, in denen gerade kein Datum genannt werde. Denn dort wo kein Kündigungsdatum genannt sei, könne auch weder eine berechtigte Fehlvorstellung der Arbeitnehmerin noch ein schützenswertes Vertrauen auf die Erklärung der Arbeitgeberin entstehen. Sei hingegen ein Datum genannt, könne dies nicht später einfach so wieder revidiert werden.

2. Der reine Wortlaut des Kündigungsschreibens offenbare auch einen streitentscheidenden Widerspruch dahingehend, dass der nächstmögliche Termin rechtlich der 15.03.2020 wäre, hingegen der 30.04.2020 ausdrücklich genannt wird.

Denn würde man gedanklich in dem Kündigungsschreiben die Wendung „zum nächstmöglichen Termin“ durch den nach dem Gesetz korrekten Termin des 15.03.2020 ersetzen, so ergäbe sich ein Widerspruch, der letztlich nur in Richtung des 30.04.2020 sachgerecht aufzulösen sei. Eine Auslegung dahingehend, das Arbeitsverhältnis ende allein zum 15.03.2020 lasse sich angesichts der weiteren Wendung „das ist der 30. April 2020“ nicht vertreten. Eine Kündigung mit zwei Alternativterminen würde die gesamte Kündigung mangels Bestimmtheit unwirksam werden lassen, was erkennbar erstrecht nicht dem tatsächlichen Willen der Beklagten entsprechen könne und auch kein sachgerechtes Auslegungsergebnis darstelle.

3. Auch wenn die Klägerin vorliegend natürlich gewusst habe, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis möglichst unmittelbar und fristlos beenden wollte, ihr Wille also insoweit bestens bekannt war, ändere dies nichts daran, dass die Klägerin gleichwohl das Kündigungsschreiben (nur) so verstehen musste, dass das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2020 sein Ende finden soll, falls die Klägerin aus welchen Gründen auch immer mit ihrer außerordentlichen fristlosen Kündigung nicht durchdringen sollte.

Allen bisher ergangenen Entscheidungen sei – soweit ersichtlich – gemein, dass der Arbeitgeber entweder gar keine Kündigungsfrist bzw. keinen -termin nannte oder aber einen solchen, bei dem die Kündigungsfrist letztlich zu kurz gewählt war.

Die Besonderheit des vorliegenden Falles liege aber darin, dass die Beklagte zu ihren Lasten einen Kündigungstermin mit zu langer Kündigungsfrist genannt habe, an dem sie sich nun nicht mehr festhalten lassen möchte, da sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses so schnell wie möglich angestrebt habe. Dass die Klägerin vorliegend eine Verschlechterung erfahre, indem sie trotz der Nennung des 30.04.2020 eine Verkürzung der Kündigungsfrist um rund sechs Wochen auf den 15.03.2020 hinnehmen müsste, sei jedoch weder mit dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes noch mit der Konzeption des Arbeitsrechts als Arbeitnehmerschutzrecht vereinbar.

Hinweise für die Praxis

Wenn eine Kündigung mit einer zur kurzen Kündigungsfrist ausgesprochen wird, so ist zunächst im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob der Kündigende nicht doch die einschlägige Kündigungsfrist wahren wollte. Hierfür kann beispielsweise sprechen, wenn in dem Kündigungsschreiben auf die gesetzliche oder tarifliche Kündigungsfrist Bezug genommen wird. Auch eine Kündigung „zum nächstzulässigen Termin“ ist möglich, wenn dem Erklärungsempfänger die Dauer der Kündigungsfrist bekannt oder für ihn bestimmbar ist (BAG 20. Juni 2013 – 6 AZR 805/11, Rn. 15).

Vorliegend bestand die Besonderheit, dass die Kündigungsfrist durch den Arbeitgeber nicht zu kurz gewählt worden ist, sondern letztlich zu lang. Während die Rechtsprechung bei zu kurzen Kündigungsfristen regelmäßig durch Auslegung die zutreffende Kündigungsfrist ermittelt, was im Ergebnis zu einer Besserstellung des Arbeitnehmers in Form eines verlängerten Bestandsschutzes führt, gilt nicht entsprechendes bei einer zu lang gewählten Kündigungsfrist. Denn würde in einem solchen Fall eine Verkürzung auf die zutreffende Kündigungsfrist vorgenommen werden, so wäre dies mit der Konzeption des Arbeitsrechts als Arbeitnehmerschutzrecht nicht in Einklang zu bringen.

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