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Mietminderung wegen Lockdown bald nicht mehr Ausnahme, sondern Regelfall?

Das Landgericht Stuttgart folgt mit einer aktuellen Entscheidung vom 19.11.2020 einer Riege landgerichtlicher Urteile, denen zufolge Gewerbemieter während eines Lockdowns grundsätzlich dazu verpflichtet sind, die vereinbarte Miete zu zahlen. Nur in Ausnahmefällen soll ihnen ein Recht zur Mietminderung zustehen. Die Politik will das gesetzlich verankerte Regel-Ausnahme-Verhältnis nun offenbar umkehren.

Bisher: Grundsätzlich kein Minderungsrecht während Lockdown

Das Landgericht Stuttgart führt in einem Urteil vom 19.11.2020 (11 O 215/20) die Linie der Landgerichte Heidelberg (Urteil vom 30.07.2020 – 5 O 66/20), Frankfurt (Urteil vom 02.10.2020 – 2-15 O 23/20) und Zweibrücken (Urteil vom 11.09.2020 – HK O 17/20) fort. Sie alle vertreten die Ansicht, dass Gewerbemieter trotz Corona-bedingter staatlicher Beschränkungen in aller Regel dazu verpflichtet sind, die vereinbarte Miete zu zahlen. Können sich Gewerbemieter nicht ausnahmsweise auf eine ausdrückliche mietvertragliche Vereinbarung zur Risikoverteilung stützen (z.B. Haftungsbeschränkungen, Force-Majeure-Klausel etc.), so haben sie grundsätzlich kein Recht zur Mietminderung.

Anders als das Landgericht München I, das unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts eine andere Auffassung vertrat (LG München I, Urteil vom 22.09.2020 – 3 O 4495/20), folgt die Mehrheit der Landgerichte dem Kurs des Bundesgerichtshofs. Der Bundesgerichtshof wies in einer Reihe von Entscheidungen das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache grundsätzlich dem Mieter zu (BGH, Urteil vom 16.02.2000 – XII ZR 279/97). Der Mieter muss hiernach das Risiko tragen, dass es durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung seines Gewerbebetriebs kommen kann und sich dadurch seine Gewinnerwartung nicht erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2011 – XII ZR 189/09). Lediglich in extremen Ausnahmefällen, beispielsweise wenn die Existenz des Mieters bedroht ist, kann der Mieter eine Anpassung des Mietvertrags aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage verlangen. Die Hürden für die Annahme einer Störung der Geschäftsgrundlage sind allerdings hoch. Der Mieter muss darlegen und beweisen, dass ausnahmsweise eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt und er zur Minderung der vereinbarten Miete berechtigt ist.

Ausblick: Umkehr des gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnisses?

Bundesjustizministerin Lambrecht hat im November 2020 eine Initiative zur Stärkung der Rechte von Gewerbemietern gestartet und eine gesetzliche Klarstellung angeregt, dass Corona-bedingte Beschränkungen „regelmäßig die Störung der Geschäftsgrundlage für ein Mietverhältnis“ nach sich ziehen. In einer Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 13. Dezember 2020 wurde dieser Vorstoß aufgegriffen und folgender Beschluss gefasst:

Für Gewerbemiet- und Pachtverhältnisse, die von staatlichen Covid-19 Maßnahmen betroffen sind, wird gesetzlich vermutet, dass erhebliche (Nutzungs-) Beschränkungen in Folge der Covid-19-Pandemie eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen können.

Selbstverständlich hat dieser im Rahmen der Telefonkonferenz gefasste Beschluss entgegen seiner Formulierung keine Gesetzeskraft. Im Gegenteil: Aus dem Beschluss geht einmal mehr hervor, dass es nach aktueller Gesetzeslage gerade Sache des Mieters ist, den Ausnahmefall einer Störung der Geschäftsgrundlage darzulegen und zu beweisen. Folglich kann der Beschluss lediglich als Anregung für eine Gesetzesvorlage mit dem Ziel der gesetzlichen Änderung dieses Zustandes verstanden werden. Ob eine entsprechende Gesetzesänderung im Parlament mehrheitsfähig ist, wird sich zeigen. Vermieterverbände laufen bereits jetzt dagegen Sturm.

Inwieweit die Gerichte im Lichte der jüngsten Entwicklungen weiterhin dem vermieterfreundlichen Kurs des Bundesgerichtshofs folgen werden, ist offen. Für Mieter wie Vermieter dauern die bestehenden Unsicherheiten weiter fort. Es dürfte deshalb umso ratsamer sein, bei Corona-bedingten Zahlungsschwierigkeiten des Mieters aufeinander zuzugehen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Beim Abschluss neuer Mietverträge sollte unbedingt eine konkrete Regelung für den Umgang mit Corona-bedingten oder anderweitigen staatlichen Beschränkungen getroffen werden.

Die sich an den vorliegenden Artikel anschließende Entwicklung der Thematik Mietminderung während des Lockdowns finden Sie hier:

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