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Force Majeure – nach deutschem, französischem und US-amerikanischem Recht

Die COVID-19-Pandemie hat Auswirkungen auf unser gesamtes Leben und alle Bereiche der Wirtschaft. Wenn es darum geht, ob vor dem Hintergrund der Pandemie Verträge erfüllt oder angepasst werden müssen, fällt regelmäßig das Stichwort „höhere Gewalt“ bzw. „Force Majeure“. In diesem Beitrag möchten wir das Verständnis und die Rechtsfolgen von Force Majeure im deutschen, französischen und US-amerikanischen Recht darstellen.

1. Deutsches Recht

1.1 Gesetzliche Regelungen

Im deutschen Recht taucht der Begriff „höhere Gewalt“ in gesetzlichen Vorschriften zur Leistungsverweigerung, Auflösung oder Anpassung von Vertragsverhältnissen nicht auf. Man findet diesen Begriff nur vereinzelt in gesetzlichen Vorschriften, die ganz andere Sachverhalte regeln, z.B. in § 206 BGB (Verjährungshemmung bei höherer Gewalt), § 701 Abs. 3 BGB (keine Haftung des Gastwirts bei höherer Gewalt) oder § 7 Abs. 2 StVG (keine Haftung des KFZ-Halters bei höherer Gewalt).

1.2 Vertragliche Vereinbarungen

In Verträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen finden sich demgegenüber häufig Klauseln für den Fall „höherer Gewalt“; in der Regel sehen sie dann das Recht zur Leistungsverweigerung, Auflösung oder Anpassung des Vertrags vor. Was in diesen Fällen unter „höherer Gewalt“ zu verstehen ist, hat – mangels einer gesetzlichen Definition – die Rechtsprechung entwickelt: Sie versteht darunter ein

betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, dass nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen ist.

Unter diese Definition fallen nach dieser Rechtsprechung typischerweise Kriege und Naturkatastrophen, aber auch Epidemien und Seuchen wie das SARS-Virus oder Cholera. Auch die aktuelle COVID-19 Pandemie dürfte danach als Fall höherer Gewalt bewertet werden.

Uneingeschränkt zulässig und verbreitet ist es, in AGB-Klauseln zur Force Majeure den Begriff der höheren Gewalt zu konkretisieren, indem bestimmte Anwendungsfälle wie Unwetter oder Bürgerkriege ausdrücklich aufgezählt werden. Es ist auch möglich, den Begriff über die typischen Fälle hinaus zu erweitern, solange es sich um unvorhersehbare und unverschuldete Situationen handelt, z.B. unvorhersehbare Betriebsstörungen oder unvorhersehbare Rohstoffverknappungen.

Welche (rechtlichen) Konsequenzen gelten sollen, wenn ein Fall höherer Gewalt vorliegt, ist wiederum nicht gesetzlich geregelt. Vertraglich und in AGB werden häufig Leistungsverweigerungsrechte, das Recht zur Vertragsauflösung oder -anpassung oder der Ausschluss einer Haftung bei fehlendem Vorsatz vereinbart. Individuell können derartige Konsequenzen bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit und des Gesetzesverstoßes vereinbart werden. In AGB sind derartige Regelungen indes nur wirksam, wenn sie das Verschuldenserfordernis nicht aushebeln. Unwirksam ist daher eine AGB-Klausel, die im Fall von höherer Gewalt Schadensersatzansprüche vorsieht, auch wenn den anderen Vertragspartner keinerlei Verschulden trifft.

1.3 Vergleichbare Regelungen

Wenn es keine vertragliche Reglung zur „höheren Gewalt“ gibt, bleibt es bei den gesetzlichen Regelungen. Das sind im Wesentlichen § 275 BGB (Unmöglichkeit der Leistung) und § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage).

In der Regel liegt bei höherer Gewalt eine Unmöglichkeit der Leistung vor: Der Verkäufer ist nicht in der Lage, ein bestimmtes Produkt zum vereinbarten Zeitpunkt zu liefern. Dies kann sowohl auf objektiver als auch auf subjektiver Unmöglichkeit beruhen. Objektive Unmöglichkeit ist gegeben, wenn die Lieferung des jeweiligen Produktes für jedermann, also für alle Lieferanten unmöglich geworden ist, weil z.B. notwendige Vorprodukte aufgrund von Handelsbeschränkungen nicht mehr verfügbar sind. Von subjektiver Unmöglichkeit spricht man, wenn die Lieferung des Produktes nur für einen Lieferanten unmöglich ist, bspw. weil sein Betrieb unter Quarantäne gestellt wurde. Gemäß § 275 BGB wird der Lieferant in beiden Fällen von seiner Leistungspflicht befreit. Damit entfällt auch die Gegenleistungspflicht, typischerweise die Pflicht zur Zahlung der vereinbarten Vergütung. Ein Schadensersatzanspruch des Käufers besteht nicht, weil den Verkäufer kein Verschulden trifft.

Kann der Lieferant das Produkt erst zu einem späteren Zeitpunkt liefern, spricht man von vorübergehender Unmöglichkeit. Dann treten die beschriebenen Befreiungen von den Pflichten zur Leistung und zur Zahlung nur für den Zeitraum eintreten, in dem die Leistung unmöglich war. Sobald das Hindernis behoben wurde, kann die Leistung wieder verlangt werden. Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung steht dem Kunden jedoch nicht zu.

Eine Gleichstellung der vorübergehenden mit der dauernden Unmöglichkeit und deren Rechtsfolgen ist dann geboten, wenn es dem Kunden nicht zugemutet werden kann, am Vertrag bis zum Wegfall des Hindernisses festzuhalten. Das wird im Warenhandel typischerweise der Fall sein, da die Käufer hier kurzfristig umdisponieren müssen und nicht eine in der Zukunft liegende Leistung abwarten können. Am ehesten mit Force-Majeure-Vorschriften anderer Rechtsordnungen vergleichbar ist in Deutschland das Institut der Störung bzw. des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB): Haben sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss so schwerwiegend verändert, dass einer Vertragspartei das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann, kann diese Partei entweder die Auflösung des Vertrags oder seine Anpassung an die veränderten Umstände verlangen. Die Voraussetzungen dafür dürften aktuell in vielen Fällen gegeben sein. Durch die COVID-19-Pandemie haben sich die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in beispielsloser Weise geändert. Eine Störung der Geschäftsgrundlage ist daher denkbar.

1.4 Bedeutung für die COVID-19-Pandemie

Um die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Lieferverträge rechtlich zu beurteilen, sind zunächst die vertraglichen Regelungen des jeweiligen Liefervertrags daraufhin zu prüfen, ob eine (wirksame) Force-Majeure-Klausel vereinbart wurde. Gibt es eine solche Klausel, dürfte die COVID-19-Pandemie darunter fallen. Es gelten dann die in der Klausel getroffenen Rechtsfolgen. Zu beachten ist aber, dass die COVID-19-Pandemie als ein unvorhersehbares Ereignis höherer Gewalt nur für Verträge gelten kann, die vor deren Bekanntwerden – etwa bis Anfang März 2020 – geschlossen wurden.

Bei neueren Verträgen und bei solchen, die keine Force-Majeure-Klausel enthalten, ist zu prüfen, ob ein Fall subjektiver oder objektiver Unmöglichkeit vorliegt, wie es z.B. bei Betriebsschließungen oder Handelsembargos der Fall ist. Liegt kein solcher Fall vor, kommen zuletzt die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage zum Tragen. Auch diese verlangen ein unvorhersehbares Ereignis, weshalb eine Störung nur bei Verträgen vorliegen kann, die vor Anfang März 2020 geschlossen wurden. Bei Bejahung einer Störung der Geschäftsgrundlage kann der Liefervertrag entweder angepasst werden, also insbesondere die Lieferfrist geändert werden. Nur, wenn eine Anpassung für Lieferant oder Kunden nicht zumutbar ist, kann der Vertrag durch Rücktritt bzw. Kündigung beendet werden.

Ansprechpartner Deutsches Recht: Dr. Simone Jäger

2. Französisches Recht

2.1 Gesetzliche Regelungen

Anders als das deutsche BGB, enthält das französische Zivilgesetzbuch in Art. 1218 Code civil für das Vertragsrecht eine Definition von Force Majeure. Danach liegt höhere Gewalt vor, wenn

ein Ereignis, das außerhalb der Kontrolle des Schuldners liegt, das vernünftigerweise bei Vertragsschluss nicht vorhergesehen werden konnte und dessen Auswirkungen nicht durch angemessene Maßnahmen vermieden werden konnten, den Schuldner daran hindert, seine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.

Das französische Gesetz definiert den Begriff der Force Majeure nicht nur, es legt in Art. 1218 Abs. 2 Code civil auch die Rechtsfolgen bei Vorliegen von höherer Gewalt wie folgt fest:

Ist der Schuldner durch höhere Gewalt nur vorübergehend daran gehindert, seine Leistung zu erbringen, wird seine Leistungspflicht vorübergehend ausgesetzt, falls nicht die dadurch bedingte Verzögerung es rechtfertigt, den Vertrag aufzuheben.

Ist der Schuldner durch höhere Gewalt dauerhaft daran gehindert, seine Leistung zu erbringen, ist der Vertrag kraft Gesetzes aufgehoben und die Parteien müssen ihre jeweiligen vertraglichen Pflichten nicht mehr erbringen.

Für einen Liefervertrag bedeutet dies, dass der Verkäufer die bestellte Ware nicht mehr ausliefern und der Käufer den Kaufpreis nicht bezahlen muss, wenn der Verkäufer wegen höherer Gewalt beispielsweise die Ware bei seinem Zulieferer in China nicht beziehen kann, der aufgrund der COVID-19-Pandemie die bestellte Ware nicht produzieren und damit nicht liefern kann.

Für Verträge, die nach dem 1. Oktober 2016 (d.h. nach Inkrafttreten der Reform des französischen Vertragsrechts) in Kraft getreten sind, gilt nach Art. 1195 Code civil: Führt eine Veränderung der dem Vertrag zugrunde liegenden Umstände, die bei Abschluss des Vertrages nicht vorhersehbar war, dazu, dass die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen für eine Partei übermäßig kostenaufwendig wird, so kann die Partei, die dieses wirtschaftliche Risiko nicht willentlich übernommen hat, von ihrem Vertragspartner verlangen, dass der Vertrag neu verhandelt wird. Gelingt eine Neuverhandlung der Konditionen des Vertrags nicht, können die Parteien sich darauf einigen, den Vertrag aufzuheben, und zwar zu dem Zeitpunkt und den Bedingungen, auf die sie sich einvernehmlich verständigen. Kommt eine Einigung darüber nicht zustande, können die Parteien ein Gericht anrufen. Sofern eine Einigung nicht innerhalb einer angemessenen Frist zustande kommt, kann das Gericht auf Antrag einer Partei den Vertrag anpassen oder feststellen, dass dieser zu einem vom Gericht festgelegten Zeitpunkt und zu vom Gericht festgelegten Modalitäten beendet wird.

Art. 1195 Code civil sieht damit eine § 313 BGB vergleichbare Anpassung von Verträgen bei Wegfall oder wesentlicher Änderung der Geschäftsgrundlage vor. Die Regelung des französischen Zivilgesetzbuchs dürfte jedoch im Ergebnis über die deutsche Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hinausgehen. Bemerkenswert ist, dass sie bereits nach ihrem Wortlaut den Kostenfaktor und die wirtschaftlichen Risikoverteilung erwähnt, während nach den im deutschen Recht geltenden Grundsätzen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage die Unwirtschaftlichkeit eines Geschäfts nicht als Grund für eine Vertragsanpassung ausreicht. In der Regel wird man davon ausgehen, dass der Unternehmer in ganz erheblichem Umfang ein eigenes unternehmerisches Risiko zu tragen hat. Nur in ganz extremen Ausnahmefällen, wenn die Risikoverteilung durch ein Ereignis höherer Gewalt zwischen den Parteien so unangemessen verschoben wird, dass es der einen Partei nicht mehr zuzumuten ist, an dem Vertrag mit den ursprünglichen Konditionen festzuhalten, kommt eine Anpassung nach § 313 BGB in Betracht. Die Vorschrift ist restriktiv anzuwenden.

Für Verträge, die vor dem 1. Oktober 2016, abgeschlossen wurden, gilt die mit der Reform des französischen Vertragsrechts von 2016 eingeführte Regelung des Art. 1195 Code civil nicht. Ein Anspruch auf Anpassung oder Neuverhandlung der Konditionen des Vertrags besteht für diese Verträge nur dann, wenn der Vertrag eine Regelung enthält, die eine Vertragsanpassung ausdrücklich vorsieht (sog. clause d’imprévision / Hardship-Klausel). Andernfalls ist eine Vertragsanpassung nur im beiderseitigen Einvernehmen möglich. Ein einseitiger Anspruch einer Vertragspartei auf Vertragsanpassung nach Art. 1195 Code civil besteht in diesem Fall nicht.

2.2 Vertragliche Vereinbarungen

Die vom Gesetz vorgegebene Definition ist jedoch nicht zwingend; sie ist nicht Bestandteil des ordre public. Das bedeutet: Die Vertragsparteien können abweichend davon Fälle von Force Majeure vertraglich definieren und festlegen, was dann gelten soll, d.h. ob der Vertrag aufgehoben werden, vorzeitig zu einem bestimmten Termin enden, lediglich vorübergehend ausgesetzt oder gegebenenfalls mit modifizierten Konditionen fortgelten soll. Die für das jeweilige Vertragsverhältnis individuell passende Abwicklung in Fällen höherer Gewalt kann und sollte vertraglich geregelt werden.

2.3 Bedeutung für die COVID-19-Pandemie

Ist ein Unternehmen durch die COVID-19-Pandemie in der Situation, dass es Verträge nicht einhalten kann, lohnt es sich in jedem Fall, den Vertrag auf Möglichkeiten zu prüfen, sich von dem Vertrag oder den vereinbarten Konditionen zu lösen oder diese anzupassen. Hier kommt es ganz entscheidend darauf an, was die Parteien individuell vereinbart haben, welche Leistungen betroffen sind, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Ausgangslage der Vertrag abgeschlossen worden ist.

Jedenfalls bei Verträgen, die ab Anfang März 2020 abgeschlossen wurden, dürfte es schwierig werden, sich darauf zu berufen, man habe mit wirtschaftlichen Konsequenzen durch die COVID-19-Pandemie nicht gerechnet und nicht rechnen können. Spätestens ab dem 16.03.2020, den Zeitpunkt in dem in Frankreich per Dekret Ausgangsbeschränkungen verhängt wurden, waren die Risiken offensichtlich. Bereits Ende Februar 2020, am 28.02.2020, hatte der französische Wirtschaft-und Finanzminister Bruno Le Maire für das öffentliche Auftragswesen einen Fall von Force Majeure anerkannt.

Corona wird zunehmend als Grund vorgeschoben, um vertraglich vereinbarte Leistungen nicht erbringen zu müssen oder Verträge vorzeitig zu beenden. Auch in diesen Fällen lohnt es sich, genau hinzuschauen, ob überhaupt ein Fall von Force Majeure vorliegt.

Ansprechpartner Französisches Recht: Dr. Birgit Münchbach

3. US-amerikanisches Recht

3.1 Gesetzliche Regelungen

In den USA gibt es kein bundesweit einheitliches Zivilrecht. Jeder Bundesstaat besitzt eine große Autonomie, die weit über die Autonomie der deutschen Bundesländer hinausgeht. Um die rechtliche Zersplitterung zu vermindern, wurde bereits in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts der Entwurf eines landesweit einheitlichen Handelsrechts erarbeitet, der Uniform Commercial Code („UCC“). Der UCC stellt handelsrechtliche Grundsätze auf, ist aber in sich nicht abschließend, sondern wird durch das Recht der Bundesstaaten ergänzt. Nach mehreren Überarbeitungen im Laufe der Jahre ist der UCC mittlerweile in nahezu allen US-Bundesstaaten fast unverändert übernommen worden. Nur Louisiana hat größere Teile des UCC nicht in Kraft gesetzt. Hintergrund ist, dass das Recht von Louisiana nicht auf dem anglo-amerikanischen Fallrecht basiert, sondern auf dem französischen Code Civil – ein Relikt französischer Kolonialherrschaft.

Nach § 2-615 UCC Abs. a) stellen Lieferverzögerungen oder Lieferausfälle dann keinen Vertragsverstoß dar, wenn die zugrundeliegende Ursache ein Ereignis ist, dessen Nichteintritt dem Vertrag zwischen Lieferanten und Kunden als Grundannahme zugrunde lag:

Delay in delivery or non-delivery in whole or in part by a seller (…) is not a breach of his duty under a contract for sale if performance as agreed has been made impracticable by the occurrence of a contingency the non-occurrence of which was a basic assumption on which the contract was made (…).

(§ 2-615 UCC sec. A); „Commercial Impracticability“)

Insofern ähnelt die Regelung im US-Recht hinsichtlich ihrer Rechtsfolge dem deutschen Recht der Leistungsverweigerung bei Unmöglichkeit. Im Gegensatz zum deutschen Recht nennt das US-Recht jedoch einerseits explizit nur Lieferverzögerungen oder -ausfälle und stellt andererseits hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzung nicht auf den relativ harten deutschen Begriff der „Unmöglichkeit“ der Leistung ab, sondern nennt lediglich den Eintritt eines unvorhersehbaren, die Leistung hindernden Ereignisses. Umfasst sind damit beispielsweise auch unverhältnismäßige Kostensteigerungen hinsichtlich der Leistungserbringung.

Liegt ein derart unvorhergesehenes Ereignis vor, kann der Vertrag weder gekündigt noch angepasst werden; der Käufer hat (lediglich) keine Schadensersatzansprüche gegen den Verkäufer.

Bei nur teilweiser Beeinträchtigung der Lieferfähigkeit (zum Beispiel bei durch Rohmaterialengpässen ausgelöster Lieferknappheit) hat der Verkäufer gem. § 2-615 UCC Abs. b) eine Aufteilung seiner bestehenden Ressourcen nach „fairen und angemessenen“ Kriterien vorzunehmen. Interessant ist hierbei, dass der Lieferant die Verteilung der vorhandenen Waren nicht nur an solche Kunden vornehmen muss, die bereits verbindlich bestellt haben. Vielmehr kann er auch (i) seinen für die weitere Produktion notwendigen Eigenbedarf decken und (ii) solche Kunden berücksichtigen, die üblicherweise bei ihm bestellen, aber von denen im Zeitpunkt des Auftretens der Liefereinschränkungen keine verbindliche Bestellung vorliegt. Während die erstgenannte Ausnahme zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Produktionsfähigkeit Sinn macht, überrascht die zweite Ausnahme: So würde der Grundsatz der Vertrags- und Liefertreue Lieferanten in Deutschland dazu verpflichten, ihre vorhandenen Waren auf bereits getätigte Bestellungen (sprich: existente Einzelverträge) zu verteilen. Eine Miteinbeziehung und Gleichstellung Dritter, von denen im Einzelfall gerade gar keine Bestellung vorliegt, wäre aufgrund der damit verbundenen Schlechterstellung der existenten Vertragspartner zumindest dann problematisch, wenn der Dritte kein systemrelevantes Unternehmen (z.B. der Medizintechnik oder Nahrungsmittelversorgung) ist. Entsprechend missbrauchsanfällig erscheint das US-Recht an dieser Stelle: So könnten Unternehmen Warenlieferungen an kleine, weniger lukrative Kunden zugunsten zahlungskräftigerer (und ihre Berücksichtigung finanziell honorierender) Großunternehmen selbst dann noch weiter reduzieren, wenn seitens der kleinen Kunden seit längerer Zeit Bestellungen vorliegen, das Großunternehmen aber erst nach Entstehen des Lieferengpasses bestellt. Dass solche Gedankenspiele schnell Realität werden können, zeigt die aktuelle globale Konkurrenz bei der Beschaffung von Atemschutzmasken.

In vielen Bundesstaaten wird der Schutz von Schuldnern bei Leistungshindernissen je nach Lage des Einzelfalles und auf Grundlage des Rechts der einzelnen Staaten durch zwei weitere anerkannte Grundprinzipien ergänzt, die dem Vorwurf des Vertragsbruches entgegengehalten werden können: „Impossibility of Performance“ und „Frustration of Purpose“. „Impossibility of Performance“ erfasst Fälle, in denen die Erfüllung der Leistungspflicht objektiv unmöglich ist (z.B. Zerstörung eines zu liefernden Einzelstückes oder Illegalität der Leistungserbringung) und wird tendenziell sehr zurückhaltend angewendet. „Frustration of Purpose“ betrifft solche Fälle, in denen die Vertragsdurchführung zwar möglich, aber zumindest für eine Partei des Vertrages komplett sinnlos geworden ist.

3.2 Vertragliche Regelungen

Die Folgen des Auftretens eines Ereignisses höherer Gewalt richten sich auch auf Grundlage des US-Rechts primär danach, ob die Parteien einen solchen Fall bedacht und vertraglich geregelt haben. Zu Art und Inhalt solcher Klauseln gilt das zum deutschen Recht Gesagte. Insbesondere ist eine entsprechende Force Majeure-Klausel (ob in AGB oder in Individualverträgen) dahingehend zu prüfen, ob sie das konkret vorliegende Ereignis höherer Gewalt erfasst. Dies ist unproblematisch der Fall, wenn die Klausel offen formuliert ist, sprich allenfalls Beispiele höherer Gewalt aufzählt und generell auf die Unbeeinflussbarkeit der Ereignisse abstellt. Sofern die Klausel jedoch abschließend formuliert ist und als höhere Gewalt nur ganz bestimmte Ereignisse definiert, unter die das im Einzelfall vorliegende Ereignis nicht fällt, gilt – wie in dem Fall, dass gar keine vertragliche Regelung vorliegt –  dass sich die Rechtsfolge, sofern nicht die Ausnahmefälle der „Impossibility of Performance“ und „Frustration of Purpose“ greifen, nach dem UCC richtet.

3.3 Bedeutung für die COVID-19-Pandemie

Die Fälle, in denen eine Vertragsdurchführung im Sinne des zurückhaltend angewendeten Grundsatzes der „Impossibility of Performance“ aufgrund der Corona-Pandemie wirklich dauerhaft unmöglich geworden ist, dürften die Ausnahme sein. Auch der Sinn und Zweck eines Vertrages wird durch die Corona-Pandemie in der allermeisten Fällen wohl nicht im Sinne der „Frustration of Purpose“ tangiert: Zwar kann z.B. bei Geschäftsaufgabe infolge der Corona-Krise das Interesse des Bestellers an der Lieferung von (Industrie-)Gütern komplett entfallen – in diesen Fällen ist die durch das Abnahme- und Zahlungsverlangen bedrohte wirtschaftliche Existenz des Bestellers aber sowieso bereits zerstört. Bloße Schwierigkeiten des Bestellers beim Weiterverkauf dürften zudem die Kriterien der „Frustration of Purpose“ nicht erfüllen, da hierdurch die Übernahme wirtschaftlicher Risiken durch die Vertragsparteien nicht ersetzen werden soll. Ein Entfall des Leistungsinteresses auf Seiten des Lieferanten beruht hingegen in der Regel auf Unmöglichkeit der Leistung (dann „Impossibility of Performance“) oder unverhältnismäßigem Aufwand (dann greift die UCC-Regelung).

In den allermeisten Fällen wird daher § 2-615 UCC als Verteidigungsmöglichkeit bei corona-bedingten Force Majeure Fällen in Betracht kommen. Damit § 2-615 UCC (wie auch die vorgenannten Grundsätze der „Impossibility of Performance“ und „Frustration of Purpose“) überhaupt Anwendung findet, bedarf es derselben Voraussetzung wie im deutschen Recht, sprich der Unvorhersehbarkeit des eingetretenen Ereignisses. Auf die Corona-Pandemie angewendet gilt auch hier: Verträge, die vor 2020 geschlossen wurden, dürften unter die gesetzlichen Regelungen fallen. Ein ab März 2020 geschlossener Vertrag wäre hingegen in Kenntnis der Corona-Pandemie geschlossen – mit weitreichenden Folgen für den jeweiligen Lieferanten: Sofern keine spezifischen vertraglichen Regelungen zur Corona-Pandemie getroffen wurden, wird dieser bei Lieferschwierigkeiten im US-Recht (wie auch im deutschen Recht) nicht von seiner Lieferpflicht frei und sieht sich unter Umständen mit Schadensersatzansprüchen in Millionenhöhe konfrontiert. Angesichts der im Vergleich zu deutschen Verfahren exorbitanten Gerichts- und Anwaltskosten in den USA werden viele Lieferanten das Risiko einer gerichtlichen Klärung solcher Ansprüche nicht in Kauf nehmen wollen – stattdessen ist in solchen Fällen der außergerichtliche Vergleich häufig das Mittel der Wahl. Um das Entstehen einer solchen Zwangslage zu vermeiden, sollten bei Vertragsanbahnungen mit US-Kunden jetzt mehr denn je detaillierte vertragliche Vereinbarungen getroffen werden. Der hierfür erforderliche Aufwand erweist sich in vielen (Haftungs-)Fällen als hervorragende Investition.

Ansprechpartner US-amerikanisches Recht: Jonas Laudahn

4. Fazit

Eine Pandemie mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Lieferkette wird in Deutschland genauso wie in Frankreich und den USA als Fall von höherer Gewalt anzusehen sein. Eine gesetzliche Definition findet sich indes nur im französischen Recht.

Was gilt, wenn ein Fall von höherer Gewalt vorliegt, ergibt sich primär aus entsprechenden vertraglichen Regelungen. Fehlen vertragliche Klauseln zur höheren Gewalt, gibt es in Frankreich und den USA – anders als in Deutschland – gesetzliche Bestimmungen. In allen Rechtsordnungen lässt der unverschuldete Eintritt absolut unvorhersehbarer Ereignisse die Leistungspflicht eines Schuldners zumindest zeitweise entfallen, ohne dass der andere Vertragspartner Schadensersatzansprüche geltend machen könnte. Die Unterschiede liegen im Detail.

Auf höhere Gewalt kann sich sicher niemand berufen, der ab Anfang März 2020 eine vertragliche Beziehung eingegangen ist. Ab diesem Zeitpunkt war die Pandemie in Deutschland, Frankreich und in den USA vorhersehbar.

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