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Einziehung eines aus der Gesellschafterliste bereits gelöschten Geschäftsanteils

Als Gesellschafter einer GmbH gelten nur die in die Gesellschafterliste eingetragenen Personen (§ 16 GmbHG). Diese Legitimationswirkung ist von der materiellen Rechtslage unabhängig. Die materielle und die formelle Gesellschafterstellung können also – zugunsten wie zulasten der betroffenen Gesellschafter – auseinanderfallen.

Ausgangspunkt: Legitimationswirkung der Gesellschafterliste

Die Gesellschafterliste einer GmbH ist von entscheidender Bedeutung dafür, wer Gesellschafterrechte ausüben darf. Denn (nur) wer in die in das Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste eingetragen ist, gilt im Verhältnis zur GmbH als Gesellschafter (§ 16 Abs. 1 GmbHG, sog. Legitimationswirkung). Anders herum: Wer nicht in die Gesellschafterliste eingetragen ist, wird nicht als Gesellschafter behandelt. Diese Personen müssen also insbesondere nicht zu Gesellschafterversammlungen geladen werden und können keine Gesellschafterrechte (insbesondere Teilnahme-, Rede- und Stimmrechte in einer Gesellschafterversammlung) ausüben.

Von dieser formellen Legitimationswirkung der Gesellschafterliste ist die materielle Rechtslage zu unterscheiden, also die Eigentümerstellung an den Geschäftsanteilen und die damit verknüpfte Möglichkeit, diese insbesondere abzutreten, zu verpfänden oder in sonstiger Weise zu belasten. Formelle und materielle Gesellschafterstellung können voneinander abweichen. In der Praxis kommt es häufig zu solchen Abweichungen, jedenfalls für kürzere Übergangszeiträume. Es kann ein Gesellschafter also seine Anteile materiell-rechtlich verloren haben (z.B. durch Einziehung), aber trotzdem noch in die Gesellschafterliste eingetragen und damit zur Ausübung von Gesellschafterrechten berechtigt sein (sog. positive Legitimationswirkung; so war es beispielsweise im vom BGH am 20.11.2018 entschiedenen Fall, Az. II ZR 12/17). Umgekehrt kann ein Gesellschafter zu Unrecht aus der Gesellschafterliste gelöscht worden sein und damit Gesellschafterrechte verlieren, obwohl er materiell-rechtlich nach wie vor Inhaber der Geschäftsanteile ist (sog. negative Legitimationswirkung). Diese tiefgreifende Folge gilt im Grundsatz sogar dann, wenn die Gesellschaft weiß, dass die Gesellschafterliste falsch ist (mit einigen Ausnahmen unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben, beispielsweise wenn die Gesellschaft entgegen einer gerichtlichen Entscheidung die Aufnahme der unzutreffenden Gesellschafterliste im Handelsregister herbeigeführt hat).

Auch bei Anteilsabtretungen ist die Gesellschafterliste jedenfalls kurze Zeit unrichtig, wenn noch der bisherige Gesellschafter eingetragen ist, der Geschäftsanteil aber schon auf den Erwerber übergegangen ist. Für diese Fälle sieht das Gesetz allerdings eine Sonderregelung vor (§ 16 Abs. 1 S. 2 GmbHG): Wenn unverzüglich nach der Anteilsübertragung die neue Gesellschafterliste hinterlegt wird, wirkt die dadurch entstehende Legitimationswirkung auf vorher bereits vorgenommene Rechtshandlungen des Erwerbers zurück.

Das Urteil des BGH vom 10.11.2020 (Az. II ZR 211/19): Löschung aus der Gesellschafterliste trotz unwirksamer Einziehung

Mit dem Auseinanderfallen von formeller und materieller Gesellschafterstellung hat sich kürzlich auch der BGH erneut beschäftigt. Die Gesellschafterversammlung einer GmbH hatte dort die Einziehung eines Geschäftsanteils beschlossen. Obwohl die Einziehung unwirksam war (was jedoch erst viel später gerichtlich festgestellt wurde), war der Gesellschafter über Jahre hinweg nicht mehr in der Gesellschafterliste der GmbH aufgeführt. Sein (nicht mehr ausgewiesener) Geschäftsanteil wurde trotzdem in einem zweiten Einziehungsbeschluss noch einmal eingezogen. Der BGH bestätigte, dass ein solches Vorgehen möglich sei. Nur weil der Anteil aus der Gesellschafterliste formell gelöscht sei, sei er nicht zugleich materiell-rechtlich untergegangen. Wenn – wie im entschiedenen Fall – die Gesellschafterliste unrichtig sei, könne über den zu Unrecht gelöschten Geschäftsanteil ein weiterer Einziehungsbeschluss gefasst werden. Dies gelte zumindest dann, wenn die Wirksamkeit einer vorangegangenen Einziehung zweifelhaft sei.

Praxishinweis: Die Gesellschafterliste nicht unterschätzen!

Der BGH unterscheidet in seinem Urteil streng zwischen der formellen, in der Gesellschafterliste ausgewiesenen und der materiellen Gesellschafterstellung. Er kommt damit richtigerweise zu dem Ergebnis, das ein zu Unrecht aus der Gesellschafterliste gelöschter Geschäftsanteil (nochmals) eingezogen werden kann. Es muss in diesem Fall nicht erst eine „Zwischenliste“ eingereicht werden, in welcher der nochmals einzuziehende Geschäftsanteil zwischenzeitlich erneut aufgeführt ist. Für die Praxis erleichtert dies die Abwicklung, wenn unklare Einziehungsbeschlüsse vorsorglich wiederholt werden. Einziehungsbeschlüsse sollten nichtsdestotrotz sorgfältig gestaltet werden; die saubere Einreichung der hieraus resultierenden Gesellschafterlisten ist sicherzustellen.

Nach wie vor bleiben zudem einige Fragen rund um die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste ungeklärt, denn das Urteil des BGH betraf ausdrücklich nur die besondere Situation mit dem hinsichtlich seiner Wirksamkeit unklaren Einziehungsbeschluss. Ob man generell (also über Einziehungskonstellationen hinaus) gegen nicht in die Gesellschafterliste eingetragene, materiell berechtigte Personen vorgehen kann, hat der BGH aber ausdrücklich offengelassen. Unklar ist zudem weiterhin, ob die Gesellschaft einen materiell berechtigten Gesellschafter freiwillig als Gesellschafter behandeln darf, auch wenn er nicht mehr in der Gesellschafterliste steht oder sie den Gesellschafter ignorieren muss.

Das Urteil zeigt zudem wieder einmal, welche große Bedeutung der Eintragung in die Gesellschafterliste zukommt. Denn obwohl der betroffene Gesellschafter zu Unrecht aus der Gesellschafterliste gelöscht worden war, konnte er wegen der negativen Legitimationswirkung der Gesellschafterliste über mehrere Jahre hinweg seine Gesellschafterrechte nicht ausüben. Diese gravierende Rechtsfolge kann häufig nur über ein Vorgehen im einstweiligen Rechtsschutz vermieden werden, in dem der Gesellschaft durch einstweilige Verfügung die Hinterlegung einer geänderten Gesellschafterliste untersagt wird.

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