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COVID-19 – Update: SARS-CoV2-Arbeitsschutzregel statt Arbeitsschutzstandard

Nachdem das BMAS im April 2020 gemeinsam mit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung den Arbeitsschutzstandard COVID 19 vorgestellt hatte, der die Anforderungen an den Arbeitsschutz in Zeiten der Corona-Krise formuliert hatte, konkretisiert nunmehr die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel für den gemäß § 5 Infektionsschutzgesetz festgestellten Zeitraum der epidemischen Lage von nationaler Tragweite (nachfolgend Epidemie) die Anforderungen an den Arbeitsschutz in Hinblick auf SARS-CoV-2. Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel wird von den beratenden Arbeitsschutzausschüssen beim BMAS gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ermittelt bzw. angepasst und vom BMAS im Gemeinsamen Ministerialblatt bekannt gegeben.

Rechtsqualität der Arbeitsschutzregel

Das Arbeitsschutzrecht wird – neben den Vorgaben der Berufsgenossenschaften (sog. „DGUV Vorschriften“) – im Wesentlichen durch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und die auf Basis dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen geregelt (z.B. Arbeitsstättenverordnung, Biostoffverordnung). Die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel ist weder ein Gesetz noch eine Rechtsverordnung und gilt daher nicht unmittelbar und zwingend. Es besteht auch keine Umsetzungspflicht aller Maßnahmen. Indes hat der Arbeitgeber anhand einer so genannten Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln, welche Risiken bei der Ausübung der jeweiligen Tätigkeit für die Beschäftigen bestehen. Hinsichtlich des Coronavirus ist konkret zu prüfen, bei welchen Arbeitsabläufen erhöhte Infektionsrisiken existieren. Die auf Grundlage dieser Gefährdungsbeurteilung zu treffenden Maßnahmen haben den Stand der Technik und der Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen (§ 4 Nr. 3 ArbSchG).

Wesentliche Maßnahmen

Ausgangspunkt für alle in der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel beschriebenen Maßnahmen bildet die Erkenntnis, dass das Coronavirus durch Aerosole übertragen wird. Daher geht es zuvorderst um eine Begrenzung der Kontakte zwischen Beschäftigten und die Reduzierung von Viren in der Arbeitsumgebung. Davon ausgehend werden zahlreiche potentielle Maßnahmen benannt und ausführlich beschrieben. Im Einzelnen:

  • Gestaltung der Arbeitsumgebung:

    Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5 Metern; Installation transparenter Abtrennungen zwischen Arbeitsplätzen; Sicherstellung ausreichender Schutzabstände im gesamten Betrieb; spezielle Reinigungs- und Abstandsvorgaben für Sanitärräume, Kantinen und Pausenräume (Hinweis auf die zwingenden Regelungen in der Arbeitsstättenverordnung)
  • Lüftung:

    Konkrete Vorgaben zur Belüftung von Räumen (Hinweis auf die zwingenden Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung); Hinweis auf den Betrieb von raumlufttechnischen Anlagen mit „geeigneten Filtern“ (umfassende Hinweise dazu enthalten die DGUV Regel 109-002 „Arbeitsplatzlüftung-Lufttechnische Maßnahmen“)
  • Einführung von Homeoffice unter Beachtung des Arbeitsschutz- und Arbeitszeitgesetzes
  • Spezielle Regeln zu Dienstreisen und Besprechungen
  • Reinigungs- und Verwendungshinweise für Arbeitsmittel und Werkzeuge
  • Anpassung der Arbeitszeit- und Pausengestaltung zur Vermeidung eines engen Zusammentreffens mehrerer Beschäftigter
  • Hinweis auf die angemessene Berücksichtigung möglicher psychischer Belastungen etwa durch lang andauernde hohe Arbeitsintensität in systemrelevanten Branchen sowie spiegelbildlich Kontaktbeschränkungen und soziale Isolation im Homeoffice
  • Konkrete Anweisungen zur Mund-Nasen-Bedeckung und persönlicher Schutzkleidung
  • Umfassende Hinweise zu der arbeitsmedizinischen Prävention, gerade bei besonders schutzwürdigen Beschäftigten
  • Regelungen zur Rückkehr zur Arbeit nach einer SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19-Erkrankung

Umsetzung nach Gefährdungsbeurteilung

Die vorstehend aufgelisteten Maßnahmen können und müssen nicht vollständig in jedem Betrieb umgesetzt werden. Um die Zweckmäßigkeit von Schutzmaßnahmen im Betrieb konkret feststellen zu können, ist daher vom Arbeitgeber zwingend eine Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG, § 4 BioStoffV, § 3 ArbStättV) durchzuführen. Hierbei bietet sich folgende Prüfungsreihenfolge an:

  • Feststellung der jeweiligen Arbeitsplätze als Bezugspunkt für die Beurteilung; Gleichartige Arbeitsplätze/Tätigkeiten können zusammengefasst werden
  • Ermitteln und Beurteilung der Gefährdungen:

    a) Besteht bei der konkreten Tätigkeit eine erhöhte Infektionsgefahr und woraus ergibt sich diese erhöhte Gefahr?

    b) Welche Personen sind besonders gefährdet (Anlehnung an die Hinweise des Robert Koch Institutes)?

    c) Wie hoch ist das potentielle Infektionsrisiko in Abhängigkeit von den Gegebenheiten des Arbeitsumfeldes (Räumlichkeit, Luftzirkulation, Anzahl Beschäftigte usw.)?
  • Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen

    a) Durch welche Maßnahmen kann das Risiko reduziert werden?

    b) Die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel bietet insofern wichtige Anhaltspunkte, gleiches gilt für die DGUV-Vorschriften
  • Durchführen der Maßnahmen

    a) Wie lässt sich die Maßnahme durchführen?

    b) Welche Einschränkungen gehen damit einher?

    c) Wie lange soll und muss die Maßnahme durchgeführt werden?

    d) Wer kontrolliert und dokumentiert die Durchführung der Maßnahme?

    e) Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen

    f) Wirkt die Maßnahme und kann das Ziel erreicht werden?
  • Dokumentation

    Die Gefährdungsbeurteilung und die jeweiligen Maßnahmen sind zu dokumentieren (§ 6 ArbSchG)

Betriebliche Mitbestimmung

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Die Mitbestimmung besteht „im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften“, also nur dort, wo eine Rahmenregelung den Betriebsparteien Auslegungsspielräume belässt. Der Betriebsrat ist folglich auch bei der Gefährdungsbeurteilung zu beteiligen, da das Arbeitsschutzgesetz das Verfahren der Beurteilung nicht im Detail regelt. Gegenstand der Mitbestimmung ist die Organisation und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung (z.B. mittels Checkliste, Software). Die Ermittlung und Bewertung der Gefährdungen hingegen obliegt allein dem Arbeitgeber. Der Betriebsrat ist erst wieder bei der Festlegung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen einzubinden. Da die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel keine verbindliche Rechtsverordnung darstellt und zudem in zahlreichen Bereichen einen Spielraum eröffnet, ist der Betriebsrat bei der Auswahl konkreter Maßnahmen zu beteiligen. Dies gilt beispielhaft für die konkrete Gestaltung der Arbeitsplätze (Ziffer 4.2.1), die Umsetzung des Tragens von Gesichtsmasken (Ziffer 4.2.13) oder des Belüftens von Räumen (Ziffer 4.2.3) ebenso wie für die Einführung von Homeoffice.

Hinweise für die Praxis

Der Stellenwert des Arbeitsschutzes ist derzeit enorm. Zugleich entfalten die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften eine Doppelwirkung, weshalb der Arbeitgeber auch zivilrechtlich gegenüber den Beschäftigten zur Einhaltung verpflichtet ist (§§ 618, 241 Abs. 2 BGB). Neben den branchenspezifischen und sehr detaillierten Vorgaben der Berufsgenossenschaften, werden mit der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel weitere konkrete Maßnahmen zum Arbeitsschutz aufgezeigt. Arbeitgeber sind gut beraten, die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel zur Kenntnis zu nehmen und – in Abstimmung mit dem Betriebsrat – bedarfsgerecht umzusetzen.

Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel enthält Konkretisierungen der Anforderungen der Verordnungen nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Bei Einhaltung dieser Konkretisierungen kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass die Anforderungen aus den Verordnungen erfüllt sind. Setzt der Arbeitgeber alternative Maßnahmen um, muss er im Zweifel beweisen, dass ein gleichwertiges Schutzniveau gewährleistet ist.

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