tobias lenz vertragsrecht p.jpgJerome Nimmesgern

Coronavirus und die Absage von Großveranstaltungen

Das Coronavirus breitet sich weiter aus. Wegen der möglichen Ansteckungsgefahr hat Bundesgesundheitsminister Spahn am 08.03.2020 öffentlich empfohlen, dass Großveranstaltungen ab 1.000 Teilnehmern abgesagt werden. Die Entscheidung liegt jeweils bei den Ländern und den zuständigen Gesundheitsämtern. In einigen Bundesländern sind Großveranstaltungen, wie Messen, bereits abgesagt oder verschoben worden.

Die Absage einer Großveranstaltung führt beim Veranstalter in der Regel zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen. Das gilt auch für Aussteller und Kunden, die bereits Miete für Standplätze entrichtet oder Hotelzimmer gebucht haben. Welche rechtlichen Handlungsoptionen haben die Beteiligten nach der Absage von Großveranstaltungen?

Vertragliche Ansprüche: Coronavirus als Fall höherer Gewalt?

Höhere Gewalt ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) – eine gesetzliche Regelung hierzu gibt es nicht – ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis, das nicht in die Risikosphäre einer Vertragspartei fällt.

Zunächst gilt es, die vertraglichen Vereinbarungen und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Vertragspartners (z.B. des Veranstalters, Ausstellers, Spediteurs, Hotelbetreibers) in den Blick zu nehmen: In vielen Verträgen und AGB wird der Begriff der höheren Gewalt in einer Klausel (teilweise auch Force Majeure- Klausel oder Acts of God- Klausel genannt) definiert (z. B. Terror, Kriege, behördliche Anordnungen oder Epidemien). Oft enthalten die Klauseln auch Fristen oder bestimmte Handlungspflichten, die beachtet werden müssen (z.B. die Einleitung schadenmindernder Maßnahmen).

Ist eine Epidemie im Vertrag oder in den wirksam einbezogenen AGB als Fall höherer Gewalt ausdrücklich genannt, oder ist die Aufzählung der Fälle höherer Gewalt in den Vertragsunterlagen nicht abschließend (z.B. durch den Regelungszusatz „insbesondere“), bleibt zu klären, ob das Coronavirus tatsächlich einen Fall höherer Gewalt darstellt.

Nach der Bewertung der World Health Organization (WHO), der eine Indizwirkung zukommen kann, handelt es sich bei dem Coronavirus um eine Epidemie. Das deutsche Bundesgesundheitsministerium spricht bereits von einer Pandemie. Es spricht einiges dafür, das Coronavirus als Fall höherer Gewalt einzustufen. Epidemien und Seuchen sind im deutschen Reiserecht bereits als höhere Gewalt angesehen worden (AG Augsburg, Urteil vom 09.11.2004 – 14 C 4608/03: SARS-Virus; AG Homburg, Urteil v. 2. September 1992 – 2 C 1451/92-18 Cholera).

Auch behördliche Anordnungen, wie z.B. Embargos, die aufgrund des Coronavirus getroffen werden, können einen Fall höherer Gewalt darstellen.

Eine allgemeingültige Aussage, dass das Coronavirus oder behördliche Anordnungen, die aufgrund dessen getroffen werden, stets Fälle höherer Gewalt darstellen, kann allerdings nicht getroffen werden, da alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssen. Insbesondere wird zu prüfen sein, ob das Coronavirus sich unmittelbar oder nur mittelbar auf die Beziehungen der Vertragsparteien ausgewirkt hat.

Welche gesetzlichen Handlungsspielräume bestehen?

Haben die Parteien im Vertrag keine Regelungen getroffen, die es erlauben, das Coronavirus oder auf diesem basierte behördliche Anordnungen als Fall höherer Gewalt auszulegen, sind folgende gesetzlichen Handlungsoptionen denkbar:

Kann ein Vertragspartner seine Leistung aufgrund der Auswirkungen des Coronavirus oder weil es ihm behördlich untersagt ist, nicht mehr oder nur noch mit schlechthin unzumutbarem (Mehr)Aufwand erbringen, liegt ein Fall der sog. „Unmöglichkeit“ vor, § 275 BGB. Das hat zur Folge, dass der Veranstalter von seiner Leistungspflicht (z.B. das zur Verfügung stellen von Messeplätzen) und der Aussteller von seiner Pflicht zur Mietzahlung frei wird. Die Leistung kann in diesen Fällen von beiden Vertragsparteien verweigert werden.

Daraus folgt zwar nicht, dass keine Schadenersatzansprüche (z.B. wegen vergeblicher Investitionen im Vertrauen auf das Stattfinden der Veranstaltung) gegenüber dem jeweiligen Schuldner in Betracht kommen können. Dazu müsste der Schuldner allerdings die Unmöglichkeit der Leistung schuldhaft herbeigeführt haben. Das wird bei einer Epidemie in aller Regel nicht der Fall sein.

Braucht der Schuldner aufgrund von Unmöglichkeit nicht zu leisten, kann der Gläubiger vom Vertrag zurücktreten, § 326 Abs. 5 BGB. Bei Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen sind die empfangenen Leistungen der Parteien, z.B. verauslagte Mietkosten, zurück zu gewähren.

Eine Loslösung vom Vertrag kommt bei Dauerschuldverhältnissen über eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 BGB oder im Falle von bestellten Werkleistungen (z.B. Aufbau von Messeständen) nach § 648a BGB in Betracht. Bei einer solchen Kündigung kann der leistende Unternehmer die Vergütung verlangen, die auf den bis zur Kündigung erbrachten Teil des Werks entfällt, z.B. der Aufsteller die Materialkosten.

Schließlich kann eine Anpassung oder ein Rücktritt vom Vertrag aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) – je nach Einzelfall – möglich sein. Voraussetzung ist eine schwerwiegende Veränderung der Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind. Die Anpassung des Vertrags kann in Betracht kommen, wenn der verpflichteten Partei das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann. Wenn auch eine Anpassung des Vertrages unzumutbar ist, kann der Vertrag durch eine Rücktrittserklärung beendet werden. Das Coronavirus bzw. auf diesem beruhende behördliche Anordnungen dürften grundsätzlich einen möglichen Fall des § 313 BGB darstellen können. Allerdings gilt auch in diesem Zusammenhang, dass es auf die Gegebenheiten im Einzelfall ankommt, insbesondere, ob tatsächlich das Festhalten am Vertrag unzumutbar oder dieser beispielsweise nicht doch durch Mehrkosten noch durchführbar ist. Die Gerichte stellen regelmäßig hohe Anforderungen an die Unzumutbarkeit.

Wer trägt die Kosten für stornierte Hotelbuchungen?

Mit der Absage von Großveranstaltungen geht in der Regel auch die notwendige Stornierung von Hotelbuchungen einher.

Die Absage bzw. Verschiebung einer Veranstaltung berechtigt den Hotelgast jedoch grundsätzlich nicht zur kostenfreien Stornierung seiner Buchung. Das Hotel hat Anspruch auf die vereinbarten Übernachtungskosten unter Abzug ersparter Aufwendungen (ein Abzug von bis zu lediglich 10% der Übernachtungskosten wird bei einem Hotel der gehobenen Klasse von der Rechtsprechung noch als angemessen erachtet). Denn ob eine Veranstaltung stattfindet oder nicht, fällt grundsätzlich in den alleinigen Risikobereich des Gastes. Das Coronavirus wirkt sich in diesen Fällen in der Regel nur mittelbar aus. Ob die Absage/Verschiebung der Veranstaltung aufgrund einer Coronavirus-bedingten Gesundheitsgefahr, einer behördlichen Anordnung oder aus sonstigen Gründen erfolgt, ist aus Sicht des Hotelbetreibers, der seine Leistung nach wie vor erbringen kann, unerheblich.

Nur wenn die jeweilige Veranstaltung Grundlage des Vertrages zwischen Hotel und Beherbergten war, könnte ein Wegfall der Geschäftsgrundlage (nach § 313 BGB) in Betracht kommen. Das ist für solche Fälle denkbar, in denen vom Hotel ein spezielles „Messe-Packet" verkauft worden ist und eine kostenfreie Stornierung gegen Aufpreis nicht angeboten wurde.

Kontaktaufnahme mit dem Vertragspartner

Die Vertragsparteien sind grundsätzlich dem jeweiligen Vertragspartner gegenüber zur Schadenminderung verpflichtet. Dazu kann es vertraglich näher ausgestaltete Handlungsanweisungen geben. Es sollte daher frühestmöglich mit dem jeweiligen Vertragspartner Kontakt aufgenommen werden, um gemeinsame Lösungsmöglichkeiten auszuloten bzw. etwaige Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen.

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