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Coronavirus: Auswirkungen auf die Justiz

Die Auswirkungen des Coronavirus auf das öffentliche Leben nehmen täglich zu. Während die Rechtspflege zu Beginn der Krise im Vergleich zu vielen Unternehmen eher zurückhaltend reagierte, was die Maßnahmen zur Vermeidung von Sozialkontakten betrifft, ist das Thema nun auch dort angekommen. Im Folgenden wird behandelt, welche Möglichkeiten sich im Rahmen von (Zivil-)prozessen bieten, um zur Verlangsamung der Virusausbreitung beizutragen.

Kein „Stillstand der Rechtspflege“

Von einer Unterbrechung der Verfahren vor den Zivilgerichten, die gem. § 245 ZPO bei Kriegen oder „anderen Ereignissen“ von Gesetzes wegen eintreten würde, kann man zum jetzigen Zeitpunkt (Stand 18.02.2020) wohl (noch) nicht ausgehen. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Gerichtsorganisation für einen unabsehbaren Zeitraum vollständig lahmgelegt ist. Auch wenn vielerorts aktuell der Sitzungsbetrieb eingestellt wird und die Gerichtsgebäude für den Publikumsverkehr gesperrt sind, dürfen Richter und Rechtspfleger weiterhin zur Arbeit gehen oder aus dem Homeoffice arbeiten und erhalten damit den Gerichtsbetrieb aufrecht.

Selbst wenn ein Gericht auf Anordnung der zuständigen Behörde vollständig geschlossen werden sollte, würde dies voraussichtlich für einen bestimmten Zeitraum erfolgen und wäre damit kein unabsehbarer Zustand. Zudem ist es im durch die richterliche Unabhängigkeit für die Justizverwaltung nur de facto oder mittelbar möglich, die Rechtspflege durch die Richter einzuschränken. Erst bei einem „Lockdown“ dergestalt, dass die Bürger auf unbestimmte Zeit zu Hause bleiben müssten, nicht mehr zur Arbeit gehen dürften und infolge dessen auch Richter tatsächlich nicht mehr arbeiten, könnte ein Stillstand der Rechtspflege eintreten - mit der Folge erheblicher Rechtsunsicherheit: Denn der Stillstand würde auch kraft Gesetzes wieder enden, möglicherweise sogar mit regionalen Unterschieden. Wann welche Fristen an welchem Gericht nach der Unterbrechung infolge des Stillstands weiterlaufen würden, dürfte daher nur sehr schwer zu bestimmen sein.

Großzügige Terminverlegungen und Fristverlängerungen

Um soziale Kontakte auf Reisen zu Gerichtsterminen und im Gerichtssaal selbst zu vermeiden, werden derzeit viele zeitnah anstehende Termine verlegt. Dies kann bei Annahme eines erheblichen Grundes - der ohne weiteres vorliegt - von Amts wegen erfolgen (§ 227 Abs. 1 ZPO) oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten beschlossen werden. Dabei empfehlen mehrere Rechtsanwaltskammern (vgl. die Mitteilung der RAK Düsseldorf), dass Gerichte entsprechende Anträge wohlwollend prüfen sollen.

Was die Verlängerung laufender oder neu zu setzender Fristen betrifft, ist angesichts der aktuellen Lage ebenfalls ein großzügiger Maßstab angezeigt, um den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der Bundesregierung Rechnung zu tragen. Entsprechendes gilt im Hinblick auf Wiedereinsetzungsanträge, die ggf. nach versäumten Fristen infolge personeller Engpässe in Kanzleien erforderlich werden.

Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung und schriftliches Verfahren

Sollen Verfahren nicht verzögert werden, bietet es sich an – soweit technisch realisierbar – gem. § 128a ZPO auf Videokonferenztechnik zurückzugreifen, damit sich Richter, Parteien, Bevollmächtigte, Zeugen und Sachverständige während der Verhandlung an verschiedenen Orten aufhalten können. Allerdings ist nur ein geringer Teil der deutschen Gerichtssäle mit der dafür erforderlichen Technik ausgestattet.

Termine, die quasi entbehrlich sind (z.B. wenn bei klarer Rechtslage lediglich Anträge gestellt werden), können mit Einverständnis der Parteien gem. § 128 Abs. 2 ZPO durch eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ersetzt werden. Anders als in der bisherigen Praxis ist davon auszugehen, dass Anregungen insoweit künftig zunehmen.

Ausblick

Wie einem Tweet des kommissarischen Vorsitzenden des Rechtausschusses zu entnehmen ist, erwägt der Bundestag aktuell die Wiedereinführung von „Gerichtsferien“. Eine entsprechende Vorschrift gab es bereits bis 1996, wonach zwischen 15. Juli und 15 September lediglich in „Feriensachen“ (d.h. insbesondere eilige Angelegenheiten) Termine abgehalten und Entscheidungen erlassen wurden; zudem wurden Fristen in diesem Zeitraum gehemmt.

Die Wiedereinführung von „Gerichtsferien“ erscheint angesichts der aktuellen Coronakrise in der Tat als eine sehr pragmatische Lösung mit einem erheblichen Maß an Rechtssicherheit für die Praxis. Fraglich ist allerdings, wie kurzfristig die Politik in der Lage ist dies umzusetzen. Auf das Eintreten eines Stillstands der Rechtspflege kann man sich nicht verlassen. Vielmehr sollten Termine verlegt, Fristen großzügig verlängert und Wiedereinsetzungsanträge wohlwollend gewährt werden. Von Verfahren per Videokonferenz sowie von schriftlichen Verfahren sollte verstärkt Gebrauch gemacht werden.

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