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COVID-19 – Aufsichtsratswahlen

Gegenwärtig laufen in vielen Unternehmen die Wahlen der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) und dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) bzw. steht die Einleitung der Wahl bevor. Eine „Notfallgesetzgebung“ für die laufenden oder gerade anstehenden Aufsichtsratswahlen der Arbeitnehmer ist derzeit nicht Gegenstand der politischen Diskussion. Die beteiligten Unternehmen, Wahlvorstände, Betriebsräte und Gewerkschaften sind demnach aufgerufen, gemeinsam zu erörtern und zu entscheiden, wie mit der Wahl der Arbeitnehmer verfahren werden soll.

Die Wahl kann zum einen fortgeführt bzw. eingeleitet werden. Zu denken ist zum anderen an die Aussetzung und Unterbrechung der bereits eingeleiteten Wahl sowie an deren Abbruch. In der letztgenannten Alternative, also bei Verschiebung, Unterbrechung oder Abbruch der Aufsichtsratswahl der Arbeitnehmer gilt zu bedenken, dass die Mandate der aktuellen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (möglicherweise) enden werden, ohne dass neue Arbeitnehmervertreter gewählt wurden. Dann sollte entsprechend § 104 AktG die gerichtliche Ersatzbestellung durch Antrag beim zuständigen Registergericht in Betracht gezogen werden, welches die freien Aufsichtsratsplätze nach freiem Ermessen – regelmäßig aber nach den ihm (einvernehmlich) unterbreiteten Vorschlägen besetzt. Idealerweise erfolgt eine einvernehmliche Abstimmung des Vorschlags zur registergerichtlichen Ersatzbestellung zwischen Geschäftsleitung, den Betriebsratsgremien sowie den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften.

Die Fortführung oder (geplante) Einleitung der Wahl sieht sich in den Zeiten der Pandemie tatsächlichen Problemen bei der Stimmabgabe (Stichwort Infektionsschutz) ausgesetzt, zumal das Sammeln von Stützunterschriften erschwert sein kann. Diesen Problemen kann ggf. durch die inzwischen allgemein bekannten Regelungen zu Abständen, Hygiene, Maskenpflicht etc. begegnet werden. Zu bedenken gilt jedoch ein mögliches Anfechtungsrisiko, weil Beschäftigte gar nicht mehr oder nur selten im Betrieb sind und Ausschreibungen und Bekanntmachungen zur Wahl nicht zur Kenntnis nehmen können. Nicht zu verkennen ist im Übrigen eine möglicherweise niedrige Wahlbeteiligung und der daraus resultierenden Besorgnis, die Erfolgsaussichten extremer Bewerber zu erhöhen.

Im Fall der bereits eingeleiteten Delegiertenwahl erscheint die Fortsetzung, z.B. auch in Form der Briefwahl eine sinnvolle Option zu sein. Die Öffentlichkeit der Stimmenauszählung kann durch Internet-Lösungen hergestellt werden (z.B. Live-Stream). Bei der Delegiertenwahl wird zudem zwischen der Wahl der Delegierten und der Durchführung der Delegiertenversammlung eine mehrmonatige Pause eingelegt werden können. Die Delegiertenversammlung soll zwar innerhalb eines Monats nach der Meldung der gewählten Delegierten an Haupt- oder Unternehmenswahlvorstand durchgeführt werden. Von dieser Regelung kann aber bei Vorliegen eines sachlichen Grundes abgewichen werden Die hohe Ansteckungsgefahr bei Großveranstaltungen und die zur Zeit bestehenden staatlichen Beschränkungen für private Veranstaltungen bestimmter Größenordnungen stellen indes einen sachlichen Grund dar.

Zu erwägen ist ferner die Verschiebung der Wahl im Gleichlauf mit der Verschiebung der Hauptversammlung, um auch die mit Abschluss der Hauptversammlung endende Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder zu verzögern (§ 102 Abs. 1 AktG). Nach Art. 2, § 1 Abs. 5 COVID-19-GesR-Gesetz kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats entscheiden, dass die Hauptversammlung abweichend von § 175 Abs. 1 S. 2 AktG „innerhalb des Geschäftsjahres“ stattfindet. Den Unternehmen wird dadurch die Möglichkeit eingeräumt, im Jahr 2020 eine Hauptversammlung auch nach der Acht-Monatsfrist abzuhalten, ohne Zwangsgelder fürchten zu müssen. Die Fristverlängerung gilt nicht für die SE – hier bleibt es aufgrund des Vorrangs des Europarechts bei der zwingenden Sechs-Monatsfrist gem. Art. 54 Abs. 1 S. 1 SE-VO. Die Beteiligten sollten sich indes der streitigen Diskussion über die Frage bewusst sein, ob sich bei einer späteren Abhaltung der Hauptversammlung nach Art. 2, § 1 Abs. 5 COVID-19-GesR-Gesetz die Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder entsprechend verlängert. Durchaus gewichtige Argumente sprechen gegen die Verlängerung: das COVID-19-GesR-Gesetz sieht für die AG – anders als bei der Genossenschaft oder Vereinen (vgl. Art. 2, § 3 Abs. 5; § 5 Abs. 1) – keine Regelung zur Fortgeltung der Amtszeit vor. Vorsorglich sollte daher nicht von einer Verlängerung der Amtszeit ausgegangen werden.

Die einschlägigen Wahlordnungen enthalten keine Bestimmungen zur Aussetzung oder Unterbrechung der Aufsichtsratswahl der Arbeitnehmer. Demnach sollte ein grundsätzliches Risiko bedacht werden, dass die später fortgesetzte Wahl angefochten wird. Andererseits ist die Wiederaufnahme des Wahlverfahrens nach der Corona-Krise unter den Aspekten Zeit und Kosten die am meisten effektive Alternative. Der Abbruch nebst Neustart der Wahl nach der Corona-Krise dürfte die meisten Kosten auslösen, aus rechtlicher Sicht hingegen der sicherste Weg sein.

Die Entscheidung, wie mit einer Aufsichtsratswahl der Arbeitnehmer in Zeiten von Covid-19 umgegangen wird, ist stets eine Einzelfallentscheidung. Die Beteiligten sollten das gemeinsame Ziel verfolgen, den arbeitnehmerlosen Aufsichtsrat oder ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht von Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern zu vermeiden.

Bei einer bereits eingeleiteten Wahl hat der „oberste“ Wahlvorstand die Entscheidung zu treffen. Gleichwohl sollte mit allen Beteiligten, d.h. vor allem mit dem Unternehmen und den anderen Wahlvorständen, gesprochen werden. Nicht zuletzt wegen der vom Unternehmen letztlich zu tragenden Kosten ist Unternehmen zu empfehlen, die Wahlvorstände aktiv anzusprechen, um das weitere Vorgehen abzustimmen.

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