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Betriebsratswahl der Daimler „Zentrale” 2018 wirksam angefochten

Das LAG Baden-Württemberg hat am 22.10.2020 entschieden, dass bei der Wahl des 41-köpfigen Betriebsrats für den Betrieb "Zentrale" des Autobauers Daimler am 01.03.2018 der Betriebsbegriff verkannt wurde, der Fehler sich auf das Wahlergebnis ausgewirkt habe und die Betriebsratswahl daher unwirksam ist (17 TaBV 3/19).

Sachverhalt

Die jedenfalls am 01.03.2018 wahlberechtigten ursprünglich fünf Arbeitnehmer (Antragsteller), welche bis auf einen Antragsteller zwischenzeitlich aus den Arbeitsverhältnissen ausgeschieden sind, hatten die Wahl des Betriebsrats für den Betrieb "Zentrale", in dem mehr als 16.000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt werden, angefochten. Der Einheit "Zentrale" hat der Wahlvorstand nicht allein den Bereich "Zentrale Funktionen", sondern weitere Bereiche, wie beispielsweise Truck, VAN und MBCars mit den dort – an unterschiedlichen Standorten – beschäftigten Arbeitnehmern zugeordnet, darunter auch das im Schwarzwald gelegene Seminarhotel "Haus Lautenbach" in Gernsbach und die Hauptstadtrepräsentanz der Arbeitgeberin in Berlin ("Haus Huth"), wobei es sich bei den zuletzt genannten Standorten um betriebsratsfähige Einheiten im Sinn von § 1 Abs. 1 BetrVG handelt. Ob die Arbeitnehmer des Seminarhotels wie auch der Hauptstadtrepräsentanz bereits Ende der 60er beziehungsweise Ende der 90er Jahre mit Stimmenmehrheit beschlossen haben, an der Wahl des Betriebsrats der Stuttgarter Zentrale teilzunehmen, ist streitig.

Die Antragsteller rügen in erster Linie, dass der Betriebsbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes bei der Wahl verkannt worden sei, insbesondere weil bereits die Bereiche Truck, VAN und MBCars eigene Betriebe seien, so dass die Wahl von Betriebsräten auf dieser Ebene hätte stattfinden müssen. Zudem habe es unter anderem Verstöße bei der Anordnung und Durchführung der Briefwahl, bei der Anzahl und Platzierung der Wahllokale, bei der Stimmauszählung und eine unzulässige Wahlbeeinflussung gegeben.

Entscheidungsgründe

Mit Beschluss vom 25.04.2019 (Az.: 21 BV 62/18) hat das Arbeitsgericht die angefochtene Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil durch die Einbeziehung der Standorte in Gernsbach und Berlin ("Haus Huth") der Betriebsbegriff verkannt worden sei. Beide Standorte hätten als selbstständige Betriebe zu gelten, da sie vom Hauptbetrieb in Stuttgart räumlich weit entfernt seien. Ein wirksamer Zuordnungsbeschluss der Arbeitnehmer dieser Standorte, welcher die Selbstständigkeit der Betriebsteile aufgehoben hätte, liege nicht vor. Da in diesen Standorten eigene Betriebsräte hätten gewählt werden können, wirke sich der Wahlfehler auch auf das Ergebnis der Betriebsratswahl aus, wenngleich mit Rücksicht auf die Anzahl der abgegebenen Stimmen eine Veränderung bei den gewählten Betriebsratsmitgliedern nicht hätte eintreten können. Würde ein kausaler Wahlfehler verneint, könnte aber eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Wahl von eigenen Betriebsräten in Gernsbach und Berlin ("Haus Huth") nicht stattfinden.

Mit ihren Beschwerden verfolgen der Betriebsrat und die Arbeitgeberin zweitinstanzlich ihre Zurückweisungsanträge unter anderem mit dem Argument weiter, dass selbst im Fall eines Wahlfehlers eine Beeinflussung des Wahlergebnisses bei Berechnung nach D'Hondt nicht hätte eintreten können.

Das Landesarbeitsgericht hat mit seinem jetzt ergangenen Beschluss die Beschwerden des Betriebsrats und der Arbeitgeberin zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Nach Auffassung der 17. Kammer des Landesarbeitsgerichts wurde bei der Wahl vom 01.03.2018 der Betriebsbegriff verkannt. An der Wahl hätten die Arbeitnehmer der Betriebsteile in Gernsbach und Berlin („Haus Huth“) nicht teilnehmen dürfen. Dieser Fehler habe sich auch auf das Wahlergebnis ausgewirkt.

Nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Arbeitnehmer in Gernsbach und Berlin ("Haus Huth") mit Stimmenmehrheit beschlossen, an der Wahl des Betriebsrats der Zentrale teilzunehmen. Zudem schlossen im August 2019 die Arbeitgeberin und weitere Konzerngesellschaften mit der IG Metall einen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zur Bildung von Gemeinschaftsbetrieben und ordneten in diesem Zusammenhang die Betriebsteile in Gernsbach und Berlin ("Haus Huth") dem Betrieb "Stuttgart Zentrale" zu.

Die Rechtsbeschwerde zum BAG ist zugelassen.

Hinweis für die Praxis

Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl eines Betriebsrats angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, durch den Verstoß konnte das Wahlergebnis nicht verändert oder beeinflusst werden. Die bislang nur in Form einer Pressemitteilung vorliegende Entscheidung des LAG Baden-Württemberg bestätigt die Rechtsprechung des BAG, das die Verkennung des Betriebsbegriffes regelmäßig als einen Anfechtungsgrund für die Betriebsratswahl gemäß § 19 BetrVG anerkennt. Die Bestimmung des Betriebsbegriffes und seine Anwendung auf die konkrete Organisation ist häufig schwierig, weshalb die Verkennung nur selten offensichtlich oder als besonders grober Verstoß angesehen werden kann und damit eine Nichtigkeit der Wahl ausscheidet. Bei Zweifeln hinsichtlich des Vorliegens einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit kann schon vor Abschluss der Wahl gemäß § 18 Abs. 2 BetrVG eine Klärung durch das Arbeitsgericht herbeigeführt werden. Antragsbefugt sind hierzu der Arbeitgeber, jeder beteiligte Betriebsrat, jeder beteiligte Wahlvorstand oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft.

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