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Arbeitsrecht: Schutz vor unverhältnismäßiger Kürzung der Betriebsrente

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 19. Dezember 2019 (Az.: C-168/18) entschieden, dass Betriebsrenten selbst bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des (früheren) Arbeitgebers und Kürzungen von Pensionskassenzusagen geschützt sein sollen.

Sachverhalt

Der Kläger bezog seit 2000 von seiner ehemaligen Arbeitgeberin eine Pensionszulage sowie ein jährliches Weihnachtsgeld. Von der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft Versicherungsverein (Pensionskasse) wurde ihm die Pensionskassenrente gezahlt. Die Pensionskasse ist eine überbetriebliche Einrichtung, die den Arbeitnehmern einen Rechtsanspruch auf ihre Leistungen gewährt.

2003 geriet die Pensionskasse in wirtschaftliche Schwierigkeiten und kürzte die Renten mit Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörde jährlich um etwa 1,25% - 1,4%, was für den Kläger im Jahr 2013 einen Verlust (von ca. 13%) in Höhe von monatlich EUR 82,74 bedeutete. Zunächst glich die ehemalige Arbeitgeberin die Kürzungen aufgrund ihrer gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG bestehenden Einstandspflicht aus. Zu Beginn des Jahres 2012 wurde über das Vermögen der ehemaligen Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Zahlung der Pensionszulagen sowie des Weihnachtsgeldes wurde seither vom Pensions-Sicherungsverein übernommen. Die Pensionskasse zahlte die gekürzte Pensionskassenrente weiter – der Ausgleich der nunmehr offenen Leistungskürzungen wurde vom Pensions-Sicherungsverein (PSV) hingegen abgelehnt.

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen den PSV und begehrt den Ausgleich der Leistungskürzungen der Pensionskassenrente, welche die Arbeitgeberin bis zur Zahlungsunfähigkeit verpflichtet war zu leisten.
Der PSV vertritt die Auffassung, ihn treffe keine Einstandspflicht für Versorgungsansprüche, die im Durchführungsweg der Pensionskassenzusage geleistet werden, auch wenn der Arbeitgeber seiner Einstandspflicht aufgrund eigener Zahlungsunfähigkeit nicht nachkommen könne.

Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 20. Februar 2018 festgehalten, dass es davon ausgeht, dass § 7 BetrAVG keinen Insolvenzschutz bzgl. Pensionskassenzusagen vorsieht, über den der PSV für etwaige Leistungskürzungen des externen Versorgungsträgers einstehen müsse. Da er jedoch keine abschließende Entscheidung zur Anwendbarkeit und Auslegung des Art. 8 der RL 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in dem vorliegenden Sachverhalt treffen könnte, legte er dem EuGH die Fragen zur Anwendbarkeit des Art. 8 RL 2008/94/EG, einer daraus etwaig resultierenden Einstandspflicht des PSV und der unmittelbaren Wirkungsentfaltung vor.

Entscheidungsgründe

Der EuGH hielt die Regelung des Art. 8 RL 2008/94/EG für den vorgelegten Sachverhalt zunächst grundsätzlich für anwendbar, da der Arbeitnehmer seine Leistungen gerade aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht mehr erhielt. Nach Art. 1 RL 2008/94/EG haben die Mitgliedsstaaten einen Mindestschutz des Arbeitnehmers zu sichern. In vorangegangenen Entscheidungen stellte der EuGH bereits fest, dass der Mindestschutz der RL voraussetzt, dass mindestens die Hälfte der versprochenen Rentenleistungen gewährt werden. Der EuGH stellt nunmehr jedoch klar, dass auch bei Erhalt der Hälfte der versprochenen Rentenleistungen, eine offensichtliche Unverhältnismäßigkeit der Kürzungen gegeben sein kann, sodass der vorausgesetzte Mindestschutz der RL nicht gewahrt ist. Diese Verluste müssen auch dann von dem Mitgliedsschutz abgedeckt werden, sodass die Unverhältnismäßigkeit ausgeglichen wird. Die Umstände für eine Unverhältnismäßigkeit seien nach dem EuGH ausnahmsweise dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer wegen dieser Kürzung unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle leben muss oder zukünftig müsste.

Der PSV stehe dem Staat aus Sicht des EuGH gleich, so dass die Bestimmungen des Art. 8 RL 2008/94/EG grundsätzlich auch direkt gegenüber dem PSV geltend gemacht werden können, sofern der Mitgliedstaat dem PSV die Pflicht zum Erhalt des Mindestschutzes der Arbeitnehmer übertragen habe. Mit dieser Frage übergab der EuGH die Prüfung wieder an das BAG.

Hinweise für die Praxis

Aufgrund fundamentaler Krisen zahlreicher Pensionskassen reicht der ursprünglich entwickelte Schutzmechanismus des deutschen Gesetzgebers für die betriebliche Altersversorgung nicht mehr aus. Eigentlich soll der PSV das Auffangnetz für Pensionsansprüche ehemaliger Arbeitnehmer bilden insbes. für Beitragslücken, die durch insolvente (ehemalige) Arbeitgeber entstehen einstehen. Nach deutschem Recht entsteht aber eine Lücke, wenn der Arbeitgeber Pensionskassen zur Gewährung der Pensionsrenten hinzuzieht. Denn der Schutz der Regelungen des deutschen BetrAVG greift bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, der seiner Einstandspflicht bei Pensionskassenkürzungen nachkam, nach dem Gesetzeswortlaut gerade nicht mehr. Diese Lücke versucht der EuGH zu füllen. Die Mitgliedsstaaten sollen dafür Sorge tragen, dass etwaige Rentenkürzungen keinesfalls unverhältnismäßig sind. Zwar kann eine Einstandspflicht des PSV, wie bspw. vom LAG Köln (v. 02.10.2015 – 10 Sa 4/15) entschieden, auch durch eine einfach gestrickte Kausalkette erreicht werden. Auf Grund der deutlichen Worte des BAG war die klarstellende Entscheidung des EuGH jedoch erforderlich. Das BAG muss nun entscheiden, ob der PSV es ist, der für den Mindestschutz nach Art. 1 und Art. 8 RL 2008/94/EG einstehen muss. Eine Änderung des BetrAVG stand diesbezüglich Endes des Jahres 2019 in Berlin zwar bereits zur Diskussion, wurde jedoch wieder vernachlässigt. Nach der vorliegenden EuGH-Entscheidung wird jedoch weiteres Handeln bevorstehen (müssen).

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