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Kündigung außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG

Verbreitet ein Arbeitnehmer negative Tatsachen über seinen Arbeitgeber, kann dies – zumindest in Kleinbetrieben – die ordentliche Kündigung rechtfertigen. Ein hierzu erforderlicher auf konkreten Umständen beruhender Vertrauensverlust ist grundsätzlich auch dann gegeben, wenn die Tatsachen objektiv nicht verifizierbar sind. So hat das BAG mit Urteil vom 05.12.2019 (2 AZR 107/19) die Kündigung einer Nanny für wirksam erachtet, die sich gegenüber einer Kollegin abwertend über ihre Arbeitgeberin geäußert hat.

Sachverhalt

Die Klägerin war bei der Beklagten, die nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, als Nanny/Kinderfrau tätig. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 2. Februar, welches der Klägerin am 14. Februar 2017 zuging außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 15. März 2017. Der rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage wurde hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung stattgegeben. Die Klägerin verfolgte ihr klagweise geltend gemachtes Begehren hinsichtlich der ordentlichen Kündigung weiter. Ihrer Ansicht nach sei die Kündigung sitten- und treuwidrig und lediglich aus dem Grund erfolgt, weil die Zeugin B, welche unmittelbar vor dem Kündigungszeitpunkt mit der Klägerin bei der Beklagten tätig war, wahrheitswidrig gegenüber der Beklagten behauptet habe, die Klägerin habe gesagt, die Beklagte sei nie zuhause, schließe sich, wenn sie zuhause sei immer in ihrem Zimmer ein und esse nur Schokolade mit ihrer Tochter. Die Beklagte habe sich daraufhin von der Klägerin in ihrer Mutterrolle kritisiert und ihrer Eitelkeit verletzt gefühlt, obwohl sie gewusst habe, dass diese Behauptungen im Kern wahr seien. Der Klägerin zufolge habe die Beklagte aus Rachsucht und um Mittel für eine Anstellung der Zeugin B freizumachen, nicht mit einer ordentlichen Kündigung begnügt, sondern sich fristlos von der Klägerin trennen wollen. Im Prozess habe die Beklagte weitere wahrheitswidrige und die Vertraulichkeit verletzende Äußerungen der Klägerin sowie Kindesmissbrauch durch die Klägerin erfunden. Das Erfinden von Kündigungsgründen, um die außerordentliche Kündigung zu stützen, indiziere eine sittenwidrige Gesinnung, welche die Kündigung insgesamt nichtig mache, da dieses Verhalten auf die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung durchschlage. Ferner habe die Beklagte widersprüchlich gehandelt, da sie ihr noch Ende Januar 2017 eine unbefristete Stelle angeboten habe. Zudem habe es für die Wirksamkeit der Kündigung an einer Anhörung der Klägerin gefehlt.

Die Beklagte machte geltend, dass die Zeugin B sie lediglich über die durch die Klägerin ausgehende Gefahr für das Kindeswohl sowie die von dieser ausgehenden Indiskretion in Kenntnis gesetzt habe und beantragte Klagabweisung.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des BAG haben die Vorinstanzen die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Kündigung durch die Beklagte sei weder sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB noch treuwidrig gemäß § 242 BGB. Eine Sittenwidrigkeit könne, sofern die Kündigung an sich nicht bereits aufgrund ihres Inhalts gegen die grundlegende Wertung der Rechts- und Sittenordnung verstößt, nur angenommen werden, wenn ein persönliches Verhalten hinzukomme, welches dem Kündigenden zum Vorwurf gemacht werden könne, da es aufgrund des verfolgten Zieles, den eingesetzten Mitteln oder der zutage tretenden Gesinnung als besonders verwerflich einzustufen sei. Die Vorschrift des § 242 BGB sei auf Kündigung neben § 1 KSchG nur beschränkt anwendbar, da das KSchG die Voraussetzung und Wirkung des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiere und abschließend regele, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes gehe. Eine Kündigung verstoße nur dann gegen den Grundsatz des § 242 BGB, wenn Gründe vorlägen, die von § 1 KSchG gerade nicht erfasst seien. Hieran fehle es jedoch.

Im vorliegenden Fall sei es vor dem Hintergrund, dass der Arbeitgeberin zugetragen wurde, eine Arbeitnehmerin verbreite negative Tatsachen über sie, nachvollziehbar gewesen, dass die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen möchte. Dies gelte umso mehr, da die Arbeitnehmerin im absoluten Nähebereich der Beklagten tätig gewesen sei. Ein treuwidriges Verhalten der Beklagten sei nicht erkennbar gewesen. Insbesondere bestehe keine Pflicht zur Aufklärung des „wahren“ Sachverhalts. Eine Anhörung sei allenfalls bei Verdachtskündigungen im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 KSchG notwendig. Ein auf konkreten Umständen beruhender Vertrauensverlust sei grundsätzlich auch dann gegeben, wenn die Tatsachen objektiv nicht verifizierbar seien. Vorliegend sei zumindest die Aussage der Klägerin, die Beklagte sei nie zuhause und wenn, dann schließe sie sich in ihr Zimmer ein und esse mit ihrer Tochter nur Schokolade unstreitig. Insofern sei nachvollziehbar, dass die Beklagte nicht eine sie in ihrer Mutterrolle kritisierenden Person weiter in ihrem Haushalt beschäftigen wolle. Rachsucht oder Vergeltung könne daher ausgeschlossen werden. Auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten liege nicht vor. Allein das Inaussichtstellen eines unbefristeten Arbeitsvertrages führe nicht zu einem Vertrauensverhältnis. Zudem habe die Beklagte wegen der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG das Arbeitsverhältnis, selbst wenn es unbefristet gewesen wäre, ohne das Erfordernis einer besonderen Rechtfertigung ordentlich kündigen können. Der erst nach Vornahme der Kündigung gefasste Vorsatz, diese im Prozess unter Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht zu verteidigen, könne zwar eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB darstellen. Er beseitige jedoch die Wirksamkeit einer Kündigung, die zum Zeitpunkt des Ausspruchs selbst zu bestimmen ist, nicht.

Hinweise für die Praxis

Das BAG stellt klar, dass an eine etwaige die Sittenwidrigkeit einer Kündigung hohe Anforderungen zu stellen sind. Auszuschließen ist eine solche jedoch, wenn die Kündigung auf nachvollziehbaren Gründen beruht. Eine Kündigung wird daher nur in besonders krassen Fällen an der Sittenwidrigkeit scheitern. Ein solcher kann etwa bei einer Kündigung aus Rachsucht gegeben sein (vgl. BAG 21.02.2001 - 2 AZR 15/00). Für jede Kündigung gilt jedoch ohnehin, dass eine gerechte Abwägung hinsichtlich etwaiger die Kündigung tragenden Gründe durch den Arbeitgeber anzustellen ist. Zudem unterliegt die Kündigung als einseitiges Rechtsgeschäft den allgemeinen zivilrechtlichen Grenzen der Sittenwidrigkeit und des Grundsatzes von Treu und Glauben. Dies gilt unabhängig davon, ob das KSchG aufgrund der Betriebsgröße Anwendung findet oder nicht. Im Anwendungsbereich des KSchG sind diese wesentlich durch die dortigen gesetzlichen Regelungen konkretisiert. In der Praxis ist jedoch zu beachten, dass auch in Kleinbetrieben mit weniger als zehn Arbeitnehmern der durch Art. 12 GG gewährleistete Mindestschutz gebietet, dass die Auswahlentscheidung soziale Belange der gekündigten und der vergleichbaren Arbeitnehmer erkennen lassen muss.

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