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Kein klagbarer Anspruch auf ein betriebliches Eingliederungsmanagement

Die Verpflichtung des Arbeitgebers, bei Vorliegen der Voraussetzungen ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, stellt keinen klagbaren Anspruch des Arbeitnehmers dar. Dies hat das LAG Nürnberg mit Urteil vom 08.10.2020 – 5 Sa 117/20 entschieden.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM).

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 2000 beschäftigt und mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Nachdem der Kläger im Jahr 2018 an insgesamt 122 Tagen und im Jahr 2019 an 86 Tagen arbeitsunfähig erkrankt war, beantragte er bei der Beklagten die Durchführung eines BEM. Dieser Antrag wurde seitens der Beklagten abgelehnt.

Das Arbeitsgericht gab der Klage des Klägers auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements statt. Die Berufung der Beklagten vor dem Landesarbeitsgericht hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des LAG stelle die Verpflichtung des Arbeitgebers bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen,  keinen klagbaren Anspruch dar, der durch den Arbeitnehmer verfolgt werden könne.

1. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ergebe sich nicht direkt aus § 167 Abs. 2 SGB IX. Ein solcher Anspruch sei für den Arbeitnehmer dort nicht formuliert. Vielmehr richte sich das Gesetz an dieser Stelle an den Arbeitgeber und verpflichte diesen mit den zuständigen Interessenvertretungen und der betroffenen Person ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen.

Eine Missachtung der Verfahrensverpflichtung durch den Arbeitgeber bleibe auch nicht in jedem Fall folgenlos. Die Beschäftigten könnten eine Pflichtverletzung oder ein Unterlassen des Arbeitgebers im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren oder beim Streit über den Inhalt des Weisungsrechts des Arbeitgebers erfolgreich thematisieren. Aber auch Schadensersatzansprüche nach § 280 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB würden in Betracht kommen.

Einen ausdrücklichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements habe der Gesetzgeber auch nicht vorgesehen. Anders verhalte es sich für die Mitarbeitervertretungen. Diesen sei in § 167 Abs. 2 Satz 6 SGB IX ein durchsetzbares Initiativrecht ausdrücklich zugebilligt worden. Hätte der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer daher einen klagbaren Anspruch zuerkennen wollen, hätte es nahegelegen einen solchen in § 167 SGB IX auch ausdrücklich zu formulieren.

2. Ein klagbarer Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines BEM ergebe sich auch nicht aus der Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB. Denn der Arbeitnehmer sei bei Annahme einer Verfahrensverpflichtung des Arbeitgebers bei dessen Untätigkeit unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Kündigungen und Direktionsentscheidungen ausreichend geschützt. Darüber hinaus würden zugunsten des Arbeitnehmers auch zahlreiche Schutzgesetze zur Anwendung kommen (z.B. § 618 BGB, 3 EFZG, 164 SGB IX), die ausdrückliche Rechte des Arbeitnehmers regeln.

Hinweise für die Praxis

Zu der Frage, ob ein klagbarer Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements besteht, fehlt bislang höchstrichterliche Rechtsprechung. Die landesarbeitsgerichtliche Rechtsprechung ist bisher uneinheitlich. Das LAG Hamm ist der Ansicht, dass der Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber einen Individualanspruch auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements habe. Dieser Anspruch folge zwar nicht ohne weiteres aus der öffentlich-rechtlichen Norm des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, jedoch aus § 241 Abs. 2 BGB i. V. m. § 167 Abs. 2 SGB IX als Konkretisierung der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (LAG Hamm, Urteil vom 13.11.2014 - 15 Sa 979/14). Im Hinblick auf diese abweichende Entscheidung des LAG Hamm hat das LAG Nürnberg auch die Revision zum BAG nach § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zugelassen. Es bleibt daher abzuwarten, wie das BAG die Frage nach einem einklagbaren Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements entscheiden wird. Die Frage ist jedenfalls von hoher praktischer Relevanz, da der Arbeitslosengeldbezug nach dem Auslaufen von Krankengeld nicht alle Einkommenseinbußen ausgleichen wird. Für Arbeitnehmer, die nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallen, ist ein einklagbarer Anspruch ebenfalls interessant, da sie einen Verstoß des Arbeitgebers gegen die Vorschriften des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht im Kündigungsstreit für sich nutzen und thematisieren können.

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