Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Indiz für die Benachteiligung schwerbehinderter Bewerber in den öffentlichen Dienst

Bewerben sich Schwerbehinderte oder Gleichgestellte im öffentlichen Dienst, treffen den öffentlichen Arbeitgeber besondere Pflichten, deren Nichtbeachtung Entschädigungsansprüche auslösen kann. Dies sollte in der Personalpraxis öffentlicher Arbeitgeber berücksichtigt werden.

Sachverhalt

Der Kläger bewarb sich Anfang August 2015 mit einer E-Mail auf eine für den Oberlandesgerichtsbezirk Köln ausgeschriebene Stelle als Quereinsteiger für den Gerichtsvollzieherdienst. Die Bewerbung war mit dem deutlichen Hinweis auf seinen Grad der Behinderung von 30 und seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen versehen. Der Kläger wurde, obwohl er fachlich für die Stelle nicht offensichtlich ungeeignet war, nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Der Kläger hat mit seiner Klage vom beklagten Land eine Entschädigung iHv. 7.434,39 Euro verlangt. Das beklagte Land hat demgegenüber geltend gemacht, die Bewerbung des Klägers sei aufgrund eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen unter den befassten Mitarbeitern nicht in den Geschäftsgang gelangt. Schon aus diesem Grund sei der Kläger nicht wegen der (Schwer)Behinderung bzw. Gleichstellung benachteiligt worden. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr teilweise stattgegeben und dem Kläger eine Entschädigung iHv. 3.717,30 Euro zugesprochen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Landes blieb im Ergebnis erfolglos.

Der Kläger hat Anspruch auf eine Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG in der zugesprochenen Höhe. Das beklagte Land hätte den Kläger, dessen Bewerbung ihm zugegangen war, nach § 82 Satz 2 SGB IX aF zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen. Die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch führt jedoch rechtlich nicht unmittelbar zu einer Entschädigungspflicht nach § 15 Abs. 2 AGG. Das Unterlassen einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ist jedoch ein Indiz iSv. § 22 AGG, das die Vermutung begründet, dass der/die Bewerber/in wegen seiner/ihrer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nicht eingestellt wurde. Diese Vermutung kann der Arbeitgeber nach § 22 AGG widerlegen.

Das beklagte Land hat diese Vermutung nach Ansicht des erkennenden Senats im vorliegenden Fall nicht widerlegt. Insoweit konnte das beklagte Land sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Bewerbung sei nicht in den Geschäftsgang gelangt. Dass ihm trotz Zugangs der Bewerbung ausnahmsweise eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht möglich war, hat das beklagte Land nicht vorgetragen. Auch die Höhe der Entschädigung war im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Hinweise für die Praxis

Für öffentliche Arbeitgeber ergab sich aus § 82 SGB IX alter Fassung und ergibt sich nunmehr aus § 165 SGB IX die Verpflichtung, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Einladung ist nur entbehrlich, wenn die fachliche Eignung des Bewerbers offensichtlich fehlt.

Kann eine Partei im Streitfall Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines Diskriminierungsmerkmals im Sinne des § 1 AGG vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (§ 22 AGG).

Öffentlichen Arbeitgebern ist dringend anzuraten, mit der Annahme einer offensichtlich fehlenden fachlichen Eignung eines Bewerbers höchst zurückhaltend zu sein und sich nicht darauf zu verlassen, die Indizwirkung der Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch eines Schwerbehinderten oder gleichgestellten Bewerbers könne widerlegt werden. Es sollte stets der sicherste Weg gewählt werden: Schwerbehinderte und/oder gleichgestellte Bewerber sollten in jedem Fall zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden.

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