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Fristlose Kündigung wegen unentschuldigten Fernbleibens erfordert Abmahnung – keine Abkürzung der gesetzlichen Kündigungsfristen durch Arbeitsvertragsparteien

Mit Urteil vom 03.06.2020 hat das LAG Schleswig-Holstein entschieden, dass das unentschuldigte Fernbleiben eines Arbeitnehmers an einem einzigen Tag in der Regel eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigt. Vielmehr sind grundsätzlich zunächst eine Arbeitsaufforderung und eine Abmahnung erforderlich. Dies gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis erst zwei Tage bestanden hat. Zudem hat das LAG entschieden, dass die Parteien des Arbeitsvertrages die gesetzliche Kündigungsfrist innerhalb der Probezeit nicht auf eine Woche abkürzen können.

Sachverhalt

Die Klägerin wurde zum 01.08.2019 als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte von dem Beklagten eingestellt. § 1 Ziff. 2 des Arbeitsvertrags lautet: „Es wird die Zeit vom 01.08.2019 bis zum 31.01.2020 als Probezeit vereinbart. Innerhalb der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von einer Woche gekündigt werden unbeschadet des Rechtes zur fristlosen Kündigung. […]“. Am 01.08.2019 nahm die Klägerin ihre Arbeit auf. Am 05. und 06.08.2019 arbeitete sie vereinbarungsgemäß nicht. Am 06.08.2019 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 12.08.2019. Die Klägerin erschien am 07. und 08.08.2019 nicht zur Arbeit. Am 09.08.2019 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Am gleichen Tag ging beim Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 08. und 09.08.2019 ein.

Die Klägerin hält zum einen die fristlose Kündigung für unwirksam, weil der Beklagte wegen des Fehlens am 07.08.2019 zunächst eine Abmahnung habe aussprechen müssen. Zum anderen sei im Hinblick auf die ordentliche Kündigung die vereinbarte Abkürzung der Kündigungsfrist wegen eines Verstoßes gegen § 622 Abs. 3 BGB unwirksam. Der Beklagte ist der Auffassung, dass eine Abmahnung vor Ausspruch der fristlosen Kündigung entbehrlich gewesen sei, da die Klägerin gerade einmal zwei Tage gearbeitet, dann zwei Tage nicht gearbeitet und dann zwei Tage unentschuldigt gefehlt habe. Insofern bestreitet er die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Zudem sei die Abkürzung der Kündigungsfrist wirksam vereinbart worden: Es verstoße gegen den Gleichheitssatz, wenn eine Abkürzung nur von Tarifvertragsparteien, nicht aber individualrechtlich vereinbart werden könne. Die Vorinstanz hatte der Klage stattgegeben und ist dabei im Wesentlichen der Argumentation der Klägerin gefolgt. Das Arbeitsverhältnis ende daher aufgrund der ordentlichen Kündigung mit einer Frist von zwei Wochen.

Entscheidungsgründe

Das LAG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Für die fristlose Kündigung vom 08.08.2019 fehle es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Das unentschuldigte Fernbleiben von der Arbeit könne grundsätzlich erst dann einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darstellen, wenn es den Grad der beharrlichen Arbeitsverweigerung erreiche. Folglich rechtfertige das unentschuldigte Fehlen an bloß einem einzigen Arbeitstag regelmäßig eine fristlose Kündigung nicht. Vorliegend habe die Klägerin lediglich am 07.08.2019 unentschuldigt gefehlt. Das bloße Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin durch den Beklagten am 08.08.2019 reiche nicht aus, um den Beweis des ersten Anscheins der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu widerlegen.

Eine Abmahnung sei vorliegend nicht ausnahmsweise entbehrlich. Dies wäre entweder dann der Fall, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann – wofür es vorliegend an jeglichen Anhaltspunkten fehle –, oder wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen sei. Die Klägerin musste hier aber nicht davon ausgehen, dass ihr Fehlen an einem einzigen Arbeitstag für den Beklagten offensichtlich nicht hinnehmbar war. Schließlich hatte er durch die Kündigung vom 05.08.2019 bereits zum Ausdruck gebracht, an der weiteren Mitarbeit der Klägerin kein Interesse zu haben. Angesichts dessen liege es jedenfalls nicht fern, dass er das Fehlen der Klägerin toleriert hätte, da für ihn dann auch keine Vergütungspflicht bestand.

Das Arbeitsverhältnis endete folglich aufgrund der ordentlichen Kündigung. Die Kündigungsfrist aus § 622 Abs. 3 S. 1 BGB konnte nicht von den Parteien auf eine Woche abgekürzt werden. § 622 Abs. 4 S. 1 BGB, der eine entsprechende Abänderungsmöglichkeit für Tarifparteien vorsieht, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber kann Abweichungen von einzelnen gesetzlichen Vorschriften zulasten des Arbeitnehmers nur durch Tarifvertrag zulassen, weil er unterstellt, dass die Tarifvertragsparteien die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern angemessen berücksichtigen. Eine vergleichbare Verhandlungsparität bestehe zwischen den Parteien des Individualarbeitsvertrags nicht, was die ungleiche Behandlung durch den Gesetzgeber rechtfertige. Mit Zugang der schriftlichen Kündigung vom 06.08.2019 begann die zweiwöchige Kündigungsfrist, die gemäß §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 20.08.2019 endete.

Hinweis für die Praxis

Mit dem Urteil knüpft das LAG zum einen an die ständige Rechtsprechung des BAG an, nach der eine fristlose verhaltensbedingte Kündigung zunächst eine Abmahnung erfordert. Eine Abmahnung bezweckt nicht nur die Dokumentation einer erfolgten Vertragsverletzung, sondern verdeutlicht, dass der Arbeitgeber derartige Verstöße künftig nicht dulden, sondern eine Kündigung in Betracht ziehen werde. Dadurch wird der Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten hingewiesen und vor den drohenden Konsequenzen gewarnt, sodass er sein Verhalten anpassen kann. Dies gilt auch im Rahmen eines erst kurze Zeit bestehenden Arbeitsverhältnisses, da nur so die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, die Arbeit ordnungsgemäß auszuführen, deutlich wird.

Zum anderen trägt das Urteil der besonderen Rolle der Tarifvertragsparteien Rechnung. Da die Kollektivierung der Interessen auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite jedenfalls in der Theorie dazu führt, dass sich die Tarifvertragsparteien auf Augenhöhe begegnen, dürfen sie von eigentlich zwingenden gesetzlichen Vorschriften abweichen. Aufgrund der ebenbürtigen Verhandlungspositionen geht der Gesetzgeber davon aus, dass hier ein angemessener Interessenausgleich gelingt. Anders ist dies bei Individualverträgen aufgrund der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers. Damit der Schutzbedarf der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird, ist hier ein Unterschreiten des gesetzlich vorgesehenen Arbeitnehmerschutzes nicht möglich.

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