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Darlegungs- und Beweislast bei Benachteiligung nach § 78 Satz 2 BetrVG

Eine Tätigkeit als Betriebsratsmitglied darf nach § 78 Satz 2 BetrVG zu keiner Benachteiligung im beruflichen Aufstieg führen. Bisher ist jedoch unklar, welchen Grad der Wahrscheinlichkeit ein Betriebsratsmitglied für eine hypothetische Karriere vortragen muss. Das LAG Schleswig-Holstein hat mit Urteil vom 26.11.2019 (Az.: 2 Sa 103/19) entschieden, dass die angestrebte Karriere möglich und wahrscheinlich sein muss.

Sachverhalt

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger als freigestelltes Betriebsratsmitglied einen Anspruch auf Vergütung als Pflegedirektor statt seiner bisherigen Vergütung als Hauptnachtwache hat.

Der 1962 geborene Kläger ist examinierter Krankenpfleger. Nach Absolvierung einer dreijährigen Vollzeitausbildung erwarb er den Abschluss als Pflegedienstleitung und trat am 1993 in die Dienste der Beklagten. Der Kläger war zuletzt als sogenannte zweite Hauptnachtwache bei der Beklagten tätig. Im Jahr 2002 wurde der Kläger in den Betriebsrat gewählt. Seit 2006 ist er Vorsitzender des Betriebsrates und freigestelltes Betriebsratsmitglied. Nachdem der damalige Pflegedienstleiter ausschied, bewarb sich der Kläger auf die Stelle. Die Stelle wurde jedoch mit einem externen Bewerber besetzt. 2016 wurde die Stelle eines Pflegedirektors intern ausgeschrieben, auf die sich der Kläger ebenfalls bewarb, die jedoch an eine Mitbewerberin vergeben worden ist.

Mit seiner Klage macht der Kläger einen Vergütungsanspruch gemäß § 78 S. 2 BetrVG auf Vergütung nach der Entgeltgruppe geltend, in die Pflegedirektoren eingruppiert sind. Der Kläger meint, nur aufgrund seiner Freistellung als Betriebsratsmitglied werde er nicht als Pflegedirektor beschäftigt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch aus § 78 Satz 2 BetrVG sei nicht gegeben, weil dem tatsächlichen Vorbringen des Klägers eine Diskriminierung wegen seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied nicht zu entnehmen sei.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des LAG ist die Berufung des Klägers begründet.

Nach § 78 Satz 2 BetrVG dürfe eine Tätigkeit als Betriebsratsmitglied zu keiner Benachteiligung im beruflichen Aufstieg führen. Die Vorschrift des § 78 Satz 2 BetrVG stelle nicht nur ein Gebot an den Arbeitgeber dar, dem Betriebsratsmitglied eine berufliche Entwicklung zukommen zu lassen, wie er sie bei hypothetischer Betrachtung ohne die Betriebsratstätigkeit vollzogen hätte, sondern diene ebenfalls als eigenständige Anspruchsgrundlage für das Betriebsratsmitglied auf Gewährung einer dementsprechenden Vergütung. Wenn ein Arbeitnehmer ohne das Betriebsratsamt in einer Position mit höherer Vergütung aufgestiegen wäre, erwachse ihm aus § 78 Satz 2 BetrVG ein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zahlung einer dieser Position entsprechenden Vergütung.

Unklar sei zwar, welchen Grad der Wahrscheinlichkeit das Betriebsratsmitglied für eine hypothetische Karriere vortragen muss. Nach Auffassung des LAG müsse hierbei jedoch unter Zugrundelegung der objektiven Tatsachen und unter Berücksichtigung der Lebenswahrscheinlichkeit die angestrebte Karriere möglich und wahrscheinlich sein.

Vorliegend sei davon auszugehen, dass die Übertragung der Stelle einer Pflegedienstleitung auf den Kläger mit einer Ausbildung zum Pflegedienstleiter und der Erbringung von Leitungstätigkeiten bis zu seiner Freistellung als Betriebsratsmitglied im Jahr 2006 aufgrund seiner Qualifikation und der bereits gezeigten Leistungen objektiv im Bereich des Möglichen und Wahrscheinlichen gelegen und er die Beförderungsstelle auch tatsächlich gewährt bekommen hätte.

Hinweise für die Praxis

Nach der Rechtsprechung des BAG setzt ein Anspruch aus § 78 S. 2 BetrVG voraus, dass dem Betriebsratsmitglied der Nachweis gelingt, dass es ohne seine Betriebsratstätigkeit inzwischen mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde (BAG, Urteil vom 17.08.2005 – 7 AZR 528/04). Ob zwischen der Betriebsratstätigkeit und der Benachteiligung ein Kausalzusammenhang besteht, muss für den Einzelfall festgestellt werden. Das Betriebsratsmitglied hat insofern Hilfstatsachen vorzubringen, dass es eine entsprechende berufliche Entwicklung ohne seine Betriebsratstätigkeit tatsächlich genommen hätte.

Vorliegend hat das LAG wegen der Unklarheiten der Darlegungs- und Beweislast des Klägers im Hinblick auf die Benachteiligung nach § 78 Satz 2 BetrVG die Revision zum BAG zugelassen. Unklar sei insofern, welchen Grad der Wahrscheinlichkeit das Betriebsratsmitglied für eine hypothetische Karriere vortragen muss. Es bleibt daher abzuwarten, wie das BAG sich hierzu positionieren wird.

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