Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Bruttoentgeltlisten – Überlassungsanspruch des Betriebsrats über die »Hintertür« des Entgelttransparentgesetzes?

Der Betriebsrat hat bekanntlich nach § 80 Abs. 2 S. 2 2. HS BetrVG das Recht, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Ein Anspruch auf Überlassung dieser Bruttoentgeltlisten ergibt sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz nicht. Das Bundesarbeitsgericht hatte nunmehr zu klären, ob sich ein solcher Anspruch aus den Bestimmungen des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) ergibt.

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin ist ein Telekommunikationsunternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten. Nach Inkrafttreten des EntgTranspG machte sie von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, die Verpflichtung zur Erfüllung von Auskunftsverlangen der Beschäftigten generell zu übernehmen. Über die in der ersten Jahreshälfte 2018 von Beschäftigten geltend gemachten Auskunftsverlangen informierte sie den Betriebsrat und gewährte ihm Einblick in spezifisch aufbereitete Bruttoentgeltlisten. Diese waren nach Geschlecht aufgeschlüsselt und wiesen sämtliche Entgeltbestandteile auf. Der Betriebsrat hat unter Hinweis auf § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG verlangt, die Listen dem Betriebsausschuss in bestimmten elektronischen Dateiformaten zur Auswertung zu überlassen.

Die maßgeblichen Vorschriften des Entgelttransparenzgesetzes lauten wie folgt:

"§ 13 (1) Im Rahmen seiner Aufgabe nach § 80 Absatz 1 Nummer 2a des Betriebsverfassungsgesetzes fördert der Betriebsrat die Durchsetzung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern im Betrieb. Dabei nimmt der Betriebsrat insbesondere die Aufgaben nach § 14 Absatz 1 und § 15 Absatz 2 wahr. …

(2) Der Betriebsausschuss nach § 27 des Betriebsverfassungsgesetzes oder ein nach § 28 Absatz 1 Satz 3 des Betriebsverfassungsgesetzes beauftragter Ausschuss hat für die Erfüllung seiner Aufgaben nach Absatz 1 das Recht, die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter im Sinne des § 80 Absatz 2 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes einzusehen und auszuwerten. …"

Die Vorinstanzen haben das Begehren abgewiesen. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Ansicht des BAG (Beschluss vom 28. Juli 2020 - 1 ABR 6/19) ist § 80 Abs. 2 S. 2 2. HS BetrVG eine gesetzlich ausdrücklich geregelte Einschränkung der allgemeinen Bestimmung im 1. HS, wonach dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind. Weil hinsichtlich der Bruttoentgeltlisten nur ein Einsichtnahmerecht besteht, muss für einen Überlassungsanspruch die Einschränkung des 2. HS durch eine andere ausdrückliche gesetzliche Regelung aufgehoben werden. Eine solche Regelung kann grundsätzlich das Entgelttransparenzgesetz sein. Denn nach dessen Vorgaben ist der Betriebsrat in das individuelle Verfahren zur Überprüfung von Entgeltgleichheit durch die Beantwortung von Auskunftsverlangen der Beschäftigten eingebunden. Zu diesem Zweck ist ein von ihm gebildeter Betriebsausschuss berechtigt, Bruttoentgeltlisten des Arbeitgebers einzusehen und auszuwerten (§ 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG).

Das Einsichts- und Auswertungsrecht in § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG korrespondiert jedoch mit der nach der Grundkonzeption des EntgTranspG dem Betriebsrat zugewiesenen Aufgabe, individuelle Auskunftsansprüche von Beschäftigten zu beantworten. Es besteht daher nicht, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Arbeitgeber diese Aufgabe selbst erfüllt.

Hinweis für die Praxis

Bezüglich der Ansprüche des Betriebsrates auf Überlassung oder Einblick in Unterlagen des Arbeitgebers müssen jeweils im Einzelfall konkret die Anspruchsgrundlage, gegebenenfalls in dem dargestellten Wechsel des Regel-Ausnahme-Verhältnisses, und die Erfüllung der Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage geprüft werden.

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