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Anwendung des § 23 Abs. 3 BetrVG zugunsten des Gesamtbetriebsrates

Das LAG Hessen hat mit Beschluss vom 17.08.2020 (Az.: 16 TaBV 24/20) entschieden, dass der Gesamtbetriebsrat im Verfahren nach § 23 Absatz 3 BetrVG antragsbefugt ist, soweit seine Zuständigkeit in Betracht kommt.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG über die Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Gesamtbetriebsrat, den Wirtschaftsausschuss zu unterrichten.

Der in dem Unternehmen des Arbeitgebers gebildete Gesamtbetriebsrat leitete ein Beschlussverfahren ein, nachdem der Arbeitgeber eine Tochtergesellschaft an ein anderes Unternehmen verkauft hatte, ohne den bei ihm gebildeten Wirtschaftsausschuss vorab hierüber zu informieren. Als die A die Geschäftsanteile an der B, der Muttergesellschaft des Arbeitgebers, erwarb, informierte der Arbeitgeber den Wirtschaftsausschuss erneut nicht.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Gesamtbetriebsrates, den Wirtschaftsausschuss zu unterrichten, mit der Begründung zurückgewiesen, dass dieser für Verfahren nach § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG nicht antragsbefugt sei. Die daraufhin vom Gesamtbetriebsrat eingelegte Beschwerde wurde vom LAG Hessen ebenfalls zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Das LAG Hessen hat zunächst klargestellt, dass der Gesamtbetriebsrat entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes antragsbefugt sei, da dieser ein eigenes Recht aus § 23 Abs. 3 BetrVG geltend mache, der eine gesetzliche Prozessstandschaft beinhalte. Ob dem Gesamtbetriebsrat dieses Recht zustehe, sei hingegen eine Frage der Begründetheit.

Das Arbeitsgericht habe insofern verkannt, dass § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG nicht nur dem Betriebsrat oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft, sondern auch dem Gesamtbetriebsrat ein Antragsrecht einräume, da der Gesamtbetriebsrat ebenfalls „Betriebsrat“ im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG sei. Der Gesamtbetriebsrat werde Träger der dem Betriebsrat zustehenden Rechte und Pflichten, wenn er entweder nach § 50 BetrVG oder nach anderen Vorschriften für die Behandlung der Angelegenheit zuständig sei. Die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats folge hier aus § 50 Abs. 1 BetrVG für die Angelegenheiten des Wirtschaftsausschusses, der dessen Hilfsorgan sei.

Im Ergebnis seien die Anträge des Gesamtbetriebsrates jedoch unzulässig, so das LAG Hessen. Denn der Gesamtbetriebsrat habe vor Einleitung des Verfahrens nach § 23 Abs. 3 BetrVG nicht zuvor das in § 109 BetrVG vorgesehene Verfahren durchgeführt.

Jedenfalls wären die Anträge unbegründet, da der Wirtschaftsausschuss lediglich über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens zu unterrichten sei, in dem er nach § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gebildet ist. Vorliegend begehre der Gesamtbetriebsrat jedoch Auskünfte über die Muttergesellschaft und Tochterunternehmen.

Hinweise für die Praxis

Oftmals werden für Arbeitnehmer wichtige Entscheidungen nicht auf betrieblicher Ebene getroffen, sondern durch die Unternehmensleitung. In diesem Fall ist der Gesamtbetriebsrat regelmäßig Repräsentant der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene, wenn das Unternehmen sich in mehrere Betriebe gliedert.

Die Vorschrift des § 50 BetrVG unterscheidet insoweit zwischen der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates kraft Gesetzes, die in der Regel auch als originäre Zuständigkeit bezeichnet wird, § 50 Abs. 1 BetrVG, und der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates kraft Beauftragung, § 50 Abs. 2 BetrVG. Originär zuständig ist der Gesamtbetriebsrat immer dann, wenn eine Angelegenheit das gesamte Unternehmen oder mehrere Betriebe betrifft und (kumulativ) eine Regelung nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb der Betriebe erfolgen kann. Nicht ausreichend ist jedenfalls die bloße Zweckmäßigkeit einer einheitlichen Regelung oder ein Koordinationsinteresse des Arbeitgebers oder des Gesamtbetriebsrates (BAG, Beschluss vom 18.05.2010 – 1 ABR 96/08).

Vorliegend wurde eine solche originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates vom LAG Hessen angenommen. Bereits in früherer Rechtsprechung hatte das BAG entschieden, dass der Wirtschaftsausschuss lediglich Hilfsfunktionen für den Gesamtbetriebsrat ausübe. Der Gesamtbetriebsrat habe daher einen eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch gegen den Unternehmer auf Erfüllung der dem Wirtschaftsausschuss gegenüber obliegenden Auskunftspflichten (BAG, Beschluss vom 08.08.1989 – 1 ABR 61/88).

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