Stefan Daub, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Annahmeverzugslohn – Auskunftspflicht des Arbeitnehmers

Das BAG weicht von seiner bisherigen Rechtsprechung ab und hat mit Urteil vom 27.05.2020 (5 AZR 387/19) entschieden, dass ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber im Rahmen der Geltendmachung von Annahmeverzugslohn Auskunft über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erteilen hat.

Sachverhalt

Der Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 1996 als Bauhandwerker beschäftigt. Seit dem Jahr 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mehrfach, mit Schreiben vom 30.01.2013 außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich. Diese Kündigung wurde vom Kläger wie auch die vorangegangenen erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen.

Seit Februar 2013 zahlte die Beklagte an den Kläger keine Vergütung mehr, woraufhin der Kläger Klage auf Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit ab Februar 2013 unter Anrechnung des bezogenen Arbeitslosengeldes erhob. Die Beklagte wandte ein, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitig Verdienst zu erzielen und verlangte widerklagend Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter in der Zeit vom 01.02.2013 bis zum 30.11.2015 dem Kläger unterbreiteten Stellenangebote. Sie beantragte, den Kläger zu verurteilen, der Beklagten schriftlich Auskunft zu erteilen, welche Arbeitsplatzangebote dem Kläger durch die Agentur für Arbeit und das Jobcenter unterbreitet wurden unter Nennung der Tätigkeit, der Arbeitszeit, des Arbeitsortes sowie der Vergütung.

Das ArbG Erfurt hat der Widerklage stattgegeben, das LAG Thüringen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des BAG hat der Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge.

Eine Auskunftspflicht nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB bestehe dann, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien es mit sich brächten, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen sei und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben könne. Erforderlich ist (1) das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung, (2) die dem Grunde nach feststehende oder im vertraglichen Bereich zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner, (3) die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte sowie (4) die Unzumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner. Ferner dürften (5) durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemein Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden.

Nach diesen Grundsätzen sei der Kläger der Beklagten zur Erteilung der begehrten Auskunft verpflichtet, da zwischen den Parteien aufgrund des Arbeitsverhältnisses die erforderliche Sonderrechtsbeziehung bestehe. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit liege auch vor, dass die Einwendung böswillig unterlassener anderweitiger Arbeit begründet sei. Der Kläger habe sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet, die nach § 35 Abs. 1 SGB III verpflichtet sei, Arbeitsvermittlung anzubieten; entsprechendes gelte für das Jobcenter. Anhaltspunkte dafür, dass die Behörden ihren gesetzlichen Aufgaben nicht nachgekommen seien und es in Bezug auf den Kläger als Bauhandwerker im Streitzeitraum keine Möglichkeit der Arbeitsvermittlung gegeben habe, lägen nicht vor. Die Beklagte sei auch in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang der Vermittlungsangebote im Ungewissen und habe sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare rechtmäßige Weise beschaffen können. Der Arbeitgeber könne regelmäßig weder darlegen noch beweisen, dass der Arbeitnehmer überhaupt einen anderweitigen Verdienst gehabt habe noch könne er Angaben zur Höhe des anderweitigen Verdienstes machen. Auch könne er zum böswilligen Unterlassen anderer zumutbarer Arbeit (§ 11 Nr. 2 KSchG) in Bezug auf Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit und des Jobcenters erst recht keine Angaben machen. Wegen dem durch § 35 SGB I geschützten Sozialgeheimnis habe der Arbeitgeber auch keinen Anspruch gegen die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter auf Mitteilung der dem Arbeitnehmer unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Ohne Auskunftsanspruch liefe die gesetzlich vorgesehene Anrechnungsmöglichkeit jedenfalls in Bezug auf anderweitig erzielten Verdienst und Arbeitsmöglichkeiten bei Dritten faktisch leer. Der Kläger wiederum könne die erforderliche Auskunft unschwer geben. Schützenswerte Interessen des Klägers seien nicht ersichtlich.

Der nunmehr für Rechtsfragen des Annahmeverzug zuständige 5. Senat des BAG hält mit dieser Entscheidung ausdrücklich nicht mehr an der bisherigen Rechtsprechung des 9. Senats (16.05.2000, 9 AZR 203/99) fest. Ein Arbeitnehmer sei aufgrund der Regelung des § 2 Abs. 5 SGB III zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit angehalten, und er sei verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden (§ 38 Abs. 1 SGB III). Diese sozialrechtliche Meldepflicht sei auch im Rahmen der Anrechnungsvorschriften beim Annahmeverzug zu beachten, weil dem Arbeitnehmer arbeitsrechtlich das zugemutet werden könne, was ihm das Gesetz ohnehin abverlange. Inhaltlich habe der Kläger daher Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung in Textform i.S.v. § 126b Satz 1 BGB zu erteilen. Nur wenn der Arbeitgeber von diesen Arbeitsbedingungen der Vermittlungsvorschläge Kenntnis habe, sei er in der Lage, Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs vorzutragen. Sodann obliege es im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitnehmer, diesen Indizien entgegenzutreten und darzulegen, weshalb es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist bzw. ein solcher unzumutbar war.

Hinweise für die Praxis

Das BAG spricht Arbeitgebern nunmehr bei Streitigkeiten um Annahmeverzugslohnansprüche einen Auskunftsanspruch in Bezug auf die durch die Agentur für Arbeit unterbreiteten Vermittlungsvorschläge zu, womit sich für Arbeitgeber in Kündigungsstreitigkeiten das Annahmeverzugsrisiko verringern kann – der gut begründeten Entscheidung ist zuzustimmen. Arbeitnehmer sind gehalten, sich arbeitssuchend zu melden. Wer es böswillig unterlässt, eine zumutbare Tätigkeit aufzunehmen, muss dann auch die für ihn negativen Folgen tragen.

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