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Anfechtung eines Aufhebungsvertrages

Das LAG Hamm hat mit Urteil vom 23.11.2020 (Az.: 1 Sa 1878/19) entschieden, dass ein Aufhebungsvertrag wirksam angefochten werden kann, wenn dieser von dem Arbeitnehmer unter dem Druck einer ansonsten vom Arbeitgeber angedrohten ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung zu Stande kommt, die einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung für den Arbeitgeber erkennbar nicht standhalten würde.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die wirksame Beendigung eines seit 19 Jahren zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses. Der Kläger ist bei der Beklagten als Teamleiter in der Vorfertigung beschäftigt. Der Personalleiter der Beklagten lud den Kläger am 22.05.2019 zu einem Personalgespräch ein, an dem auch der technische Leiter teilnahm. In dem Gespräch erhob der Personalleiter gegenüber dem Kläger den Vorwurf, dieser habe auf einem für zahlreiche andere Arbeitnehmer verschiedener Hierarchiestufen zugänglichen Laufwerk („B/Privat“) eines firmeninternen Servers ein elektronisches Dokument abgelegt, welches Beschwerdepunkte eines anderen Mitarbeiters gegen einen weiteren Teamleiter bei der Beklagten enthielt, darunter Mobbingvorwürfe. Dieses Dokument hatte ein mit dem Kläger befreundeter, unter einer Lese- und Rechtschreibschwäche leidender Kollege für eigene, betriebsinterne Zwecke gefertigt, der Kläger hatte es für diesen lediglich sprachlich überarbeitet und ausgedruckt. Der Personalleiter qualifizierte das Verhalten des Klägers als unkollegial gegenüber dem anderen Teamleiter und teilte dem Kläger mit, er sei als Führungskraft nicht mehr haltbar, weshalb das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden müsse. Dazu stünden zwei Wege zur Verfügung: Zum einen könne die Beklagte eine ordentliche Kündigung aussprechen, die der Kläger vor dem Arbeitsgericht anfechten könne. Ob der Personalleiter eine solche Klage als aussichtslos dargestellt hat, ist zwischen den Parteien ebenso streitig geblieben, wie die Behauptung des Klägers, der Personalleiter habe ihm gesagt, er dürfe den Raum nicht verlassen, bis etwas unterschrieben sei. Zum anderen sei der Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit Wirkung zum 31.12.2019 denkbar mit einer Freistellung des Klägers unter Vergütungsfortzahlung. Der Kläger hat den von dem Personalleiter der Beklagten gefertigten Aufhebungsvertrag am 22.05.2019 nach einer Bedenkzeit im gleichen Raum in Abwesenheit des Personalleiters unterzeichnet, aber mit Schreiben vom 29.05.2019 mit der Begründung angefochten, ihm sei rechtswidrig und widerrechtlich mit dem Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses gedroht worden. Der Kläger hat mit seiner Klage bei dem Arbeitsgericht Herford die Feststellung beantragt, das Arbeitsverhältnis sei durch die Vereinbarung vom 22.05.2019 nicht aufgelöst worden und die Beklagte sei verpflichtet, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Teamleiter zu beschäftigen. Das Arbeitsgericht Herford hat Beweis erhoben und der Klage mit Urteil vom 20.11.2019 (Az.: 2 Ca 492/19) stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung zum LAG Hamm, die sie im Wesentlichen damit begründet hat, das Arbeitsgericht habe formal unzulässig Beweis durch Parteivernehmung erhoben und aus den erhobenen Beweisen die falschen Schlüsse gezogen.

Entscheidungsgründe

Das LAG Hamm hat die Berufung der Beklagten als unbegründet verworfen und das Urteil des Arbeitsgerichts bestätigt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe auf der Grundlage des ihr bekannten Sachverhalts annehmen müssen, dass eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit hoher Wahrscheinlichkeit einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung nicht standhalten werde. Eine verhaltensbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG komme nur dann in Betracht und könne auch nur dann ernsthaft in Erwägung gezogen werden, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, mit einer zukünftig dauerhaft störungsfreien Vertragserfüllung nicht mehr zu rechnen ist und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der wechselseitigen Interessen nicht zumutbar ist. Das Verhalten des Klägers stelle aber lediglich eine mögliche fahrlässige Nebenpflichtverletzung i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB dar, denn dieser habe durch sein Verhalten keinen Anlass zu gegeben, absichtlich diskreditierende Äußerungen über andere Mitarbeiter – seien sie nun Vorgesetzte oder nicht – zu verbreiten. Die widerrechtliche Drohung sei auch ursächlich i. S. d. § 123 Abs. 1 BGB für den Abschluss des Aufhebungsvertrages gewesen, auch unter Berücksichtigung der dem Kläger eingeräumten Bedenkzeit. Eine solche lasse nur dann die Ursächlichkeit entfallen, wenn sich dies aus weiteren Umständen ergebe, wegen derer die Drucksituation entfalle. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da die durch die Gesprächssituation und den Gesprächsinhalt ausgelöste Drucksituation auch in Abwesenheit des Personalleiters fortbestanden habe, weil auch der technische Leiter noch anwesend war.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil des LAG Hamm liegt auf der Linie der Rechtsprechung des BAG zur Anfechtbarkeit von Aufhebungsverträgen bei Schaffung einer unzulässigen Drucksituation für die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers. Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass die Thematisierung einer ansonsten in Aussicht gestellten Kündigung bei Personalgesprächen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages für den Arbeitgeber eine Gratwanderung darstellt. Es muss sorgfältig darauf geachtet werden, das weder durch die Gesprächssituation, noch den Gesprächsinhalt die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers rechtswidrig beeinträchtigt wird, um die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages nicht zu gefährden.

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