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Arbeitnehmerstatus einer Violinistin in einem Orchester

Eine Violinistin, die jeweils auf entsprechende Anfrage des Betreibers eines Orchesters und ihre entsprechende Zusage hin teils als Aushilfe in Vertretungsfällen und teils als Verstärkung bei größeren Produktionen in einem Orchester eingesetzt wird, ist nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig. Dies gilt auch dann, wenn die Zusammenarbeit der Parteien über zwanzig Jahre angedauert und der Beschäftigungsumfang zuletzt ca. 1/5 einer Vollzeitbeschäftigung erreicht hat, so das LAG Baden-Württemberg mit Urteil vom 10.01.2020 (1 Sa 8/19) entschieden.

Sachverhalt

Die Beklagte ist die Badische Philharmonie P., ein sogenanntes C-Orchester mit 40 Planstellen. Die Produktionen des Orchesters umfassen Opern, Operetten, Musicals und Sinfoniekonzerte. Da die Größe des Orchesters zuweilen nicht ausreicht, um bestimmte Produktionen zu bewältigen, werden sogenannte Verstärkungen hinzugezogen. Hierbei handelt es sich um freiberuflich tätige Musiker, die als „Gäste“ das Orchester ergänzen. Außerdem zieht das Orchester immer wieder zu Urlaubs- und Krankheitsvertretungen freiberuflich tätige Musiker heran. Für die Aushilfen und Verstärkungen gibt es einen Pool von rund 30 Musikern, darunter 15 Streicher.

Die Klägerin war seit dem Jahr 1994 ständig in unterschiedlichem Umfang als Verstärkung und Aushilfe bei zahlreichen Produktionen zumeist in der zweiten Violine tätig. Um das Jahr 2000 erfolgte der Einsatz teilweise auf der Grundlage von Arbeitsverhältnissen, die teils zeitbefristet und teils befristet für einzelne Veranstaltungen abgeschlossen wurden. Nach dem Jahr 2002 schlossen die Parteien keine schriftlichen Arbeitsverträge mehr ab. Die Anfragen, ob die Klägerin zur Aushilfe und zur Verstärkung zur Verfügung stehe, erfolgten in aller Regel telefonisch durch einen Mitarbeiter im Betriebsbüro. Im Falle der Verstärkung wurden der Klägerin bereits vor dem Beginn der Spielzeit die festgesetzten Aufführungstermine und Probentermine mitgeteilt. Die Anfragen der Beklagten lehnte die Klägerin, von einem Fall abgesehen, nicht ab. In früheren Zeiten wurde die Klägerin zu sämtlichen Probenterminen eingeladen; im späteren Verlauf nahm die Klägerin meist nur noch an den Endproben teil. Die Probentermine wurden nur in seltenen Fällen verlegt oder zusätzliche Probentermine angesetzt. Die Klägerin erhielt für die erbrachten Dienstleistungen für jeden Einsatz Honorare, hierbei zuletzt für jede Probe EUR 80,00 und für jede Aufführung EUR 120,00. Ab März 2016 erhielt die Klägerin keine Anfragen mehr.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht. Sie behauptet, es bestehe ein Arbeitsvertrag auf Abruf mit jedenfalls zehn Arbeitsstunden pro Woche. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, das LAG wies sie ab. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin verwies das BAG die Sache zurück an das LAG. Das LAG wies die Klage aber erneut ab, woraufhin die Klägerin wiederum auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin erreichte, dass das BAG die Sache an das LAG zurückverwies, diesmal an eine andere Kammer.

Entscheidungsgründe

Das LAG entschied erneut, dass ein Arbeitsverhältnis nicht entstanden sei, vielmehr handle es sich um eine Vielzahl von freien Dienstverhältnissen.

Unter Bezugnahme auf zahlreiche Entscheidungen von BAG und BSG sowie der gesetzlichen Definition des Arbeitsverhältnisses in § 611a BGB kam das LAG zum Ergebnis, dass maßgebliches Abgrenzungskriterium sei, ob der Orchestermusiker in zeitlicher Hinsicht seine Arbeitszeit noch im Wesentlichen frei gestalten könne oder ob er dem Weisungsrecht der Orchesterleitung unterliege. Ein Bereithalten des Musikers zur Aufnahme von Diensten reiche für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht aus. Der Umstand, dass die Klägerin ihre Tätigkeit als Violinistin nur in den Räumlichkeiten des Stadttheaters und nur im Rahmen der künstlerischen Konzeption des Orchesterleiters habe erbringen können, führe nicht zu einer örtlichen und fachlichen Weisungsgebundenheit im arbeitsrechtlichen Sinn.

Soweit die Klägerin als Aushilfe eingesprungen sei, habe sie einen bestimmten Aufführungstermin wahrgenommen und das jeweilige Werk „vom Blatt“ gespielt. Dass sie an Proben nicht teilgenommen habe, sei in Kauf genommen worden, auch da man ihre Fähigkeiten kannte. Bei einem Einsatz als Verstärkung erfolgte die Anfrage für die gesamte Produktion. Die Proben und Aufführungstermine standen vorher fest. Bei der Aushilfs- oder Verstärkungstätigkeit ließen sich die Absprachen zwischen den Parteien nicht auf eine bloße Terminsabstimmung reduzieren. Beiden Parteien sei bewusst gewesen, dass die Klägerin an den vereinbarten Proben und Aufführungen teilzunehmen habe. Der Klägerin sollte nicht freistehen, ob sie die Termine wahrnahm oder nicht. Anders als die Klägerin meint, hatten aufgrund des bestehenden Rechtsbindungswillens der Parteien die Absprachen zwischen den Parteien einen rechtsgeschäftlichen Inhalt. In beiden Fallgestaltungen habe die Beklagte nicht einseitig über die Arbeitszeit der Klägerin verfügte, sie sei nicht zu den Orchesterdiensten wie die fest angestellten Musiker einseitig eingeteilt worden. Die Klägerin wäre im Falle einer Absage nicht wegen Vertragsbruchs gerügt oder abgemahnt worden, sondern man hätte schlicht ein/e andere/r Musiker/in aus dem Pool angefragt, der auch eine beträchtliche Größe habe. Dies habe für Proben und Aufführungen in gleicher Weise gegolten.

Hinweise für die Praxis

Zunächst zeigt dieser Fall, wie lange Rechtsstreitigkeiten auch im Arbeitsrecht andauern können, wenn die prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Doch auch nach der zweiten Zurückverweisung an das LAG entschied dieses zugunsten der freien Mitarbeit, was insbesondere Kunstschaffende dieses Landes freuen dürfte. Theater- und Musikproduktionen arbeiten häufig genau mit der oben beschriebenen Konstruktion, um mit geringer werdenden Budgets und weniger üppig besetzten, festen Ensembles Produktionen überhaupt umsetzen zu können. Zudem folgt das LAG aber auch den gesetzlichen und im Rahmen langjähriger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen freier Dienstverhältnisse. Die Entscheidung bewegt sich genau in diesen Vorgaben und erstaunt daher nicht. Zugleich wird aber auch deutlich, dass der Einsatz freier Musiker (oder auch Schauspieler, Tänzer, Sänger) möglichst genau im Vorhinein mit allen relevanten Terminen geplant sein muss, denn nur so lässt sich eine Weisungsgebundenheit ausschließen.

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