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Aktienrecht: COVID-19-Pandemie-Gesetz – vorübergehende Erleichterungen für die Hauptversammlung (u.a.)

Die Ausbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) hat zu erheblichen Einschränkungen in allen Bereichen des Privat- und Wirtschaftslebens geführt. Die Bundesregierung plant, mit einem „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ gegenzusteuern. Neben einem umfassenden vertragsrechtlichen Moratorium, d.h. etwa Leistungsverweigerungsrechte für einen Großteil der Schuldverhältnisse, sowie einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (wir berichten zu beidem noch gesondert), sieht der aktuell kursierende Entwurf insbesondere substantielle Erleichterungen für die Durchführung von Hauptversammlungen der AG, KGaA und SE vor.

Hintergrund

Die Ansteckungsrisiken und deutschlandweiten Versammlungsbeschränkungen haben dazu geführt, dass bereits zahlreiche Hauptversammlungen abgesagt werden mussten. Zwar ermöglicht § 118 Abs. 1 S. 2 AktG, dass die Aktionäre ihre Rechte im „Wege elektronischer Kommunikation“ ausüben können – jedoch nur, sofern eine entsprechende Regelung in die Satzung aufgenommen wurde. Die Präsenz-Hauptversammlung, also das physische Zusammentreffen der Aktionäre an einem Ort, ist bislang der gesetzliche, unabdingbare Regelfall. Die Aktionäre haben auch bei Ermöglichung der elektronischen Teilnahme immer das Recht, an der Präsenz-Hauptversammlung teilzunehmen. Die Gesellschaft kann ihre Aktionäre also nicht zwingen, lediglich „online“ an der Hauptversammlung teilzunehmen.

Von Beschlüssen der Hauptversammlung hängt jedoch viel ab: Ohne einen Gewinnverwendungsbeschluss der Aktionäre kann grundsätzlich keine Auszahlung der Dividende stattfinden. Auch bedürfen – bei den aktuellen außergewöhnlichen Umständen ggf. sogar existenzielle – Kapitalmaßnahmen und Umstrukturierungen eines Hauptversammlungsbeschlusses.  Für die Aktiengesellschaft legt § 175 Abs. 1 S. 2 AktG zudem einen Endtermin für die Hauptversammlung fest. Diese muss spätestens acht Monate nach Ablauf des vergangenen Geschäftsjahres stattfinden. Schließlich spielt die Hauptversammlung für den Ablauf der Amtszeit von amtierenden Aufsichtsratsmitgliedern eine wichtige Rolle. Ohne Hauptversammlung innerhalb der Acht-Monatsfrist kann durch das automatische Ausscheiden von Aufsichtsratsmitgliedern die Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats drohen (§§ 102 Abs. 1 S. 1, 120 Abs. 1 S. 1 AktG).

„Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Vereins-, Genossenschafts- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (im Folgenden: „Covid-19-GesR-Gesetz “)

Um die betroffenen Gesellschaftsformen (für die GmbH ist ein gesondertes Gesetz geplant) in die Lage zu versetzen, auch bei weiterhin bestehenden Beschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten Beschlüsse zu fassen, sieht der aktuell kursierende Gesetzesentwurf – vorübergehend – erhebliche Erleichterungen für die Durchführung von Hauptversammlungen vor. Diese sind im Einzelnen:

  • „Online-Teilnahme“ ohne Satzungsermächtigung

    Abweichend von § 118 Abs. 1 S. 2 AktG kann der Vorstand nunmehr nach § 1 Abs. 1 Covid-19-GesR-Gesetz die Entscheidungen über die Teilnahme der Aktionäre an der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation, d.h. die sog. „Online-Teilnahme“, die Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation nach § 118 Abs. 2 AktG sowie die Zulassung der Bild- und Tonübertragung nach § 118 Abs. 4 AktG treffen –  auch wenn eine entsprechende Ermächtigung der Satzung nicht vorgesehen ist.
  • (Rein) virtuelle Hauptversammlung möglich

    Dem Vorstand wird nach § 1 Abs. 2 Covid-19-GesR-Gesetz die Möglichkeit eingeräumt, eine Hauptversammlung gänzlich ohne physische Präsenz der Aktionäre abzuhalten (sog. „virtuelle Hauptversammlung“). Voraussetzung hierfür ist, dass

    - die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgt,
    - die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,
    - den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird und die Beantwortung der Fragen nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt, sowie
    - den Aktionären die Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird.

    Das Fragerecht der Aktionäre wird nicht beseitigt, aber deutlich eingeschränkt. Da im Rahmen einer virtuellen Hauptversammlung, je nach Größe der Gesellschaft oder dem jeweiligen Aktionärskreis, mit einer „Flut von Fragen“ zu rechnen ist, sind diese durch die Verwaltung (nur) nach pflichtgemäßem Ermessen zu beantworten. Die Verwaltung muss nicht alle Fragen beantworten. Fragen können vielmehr zusammengefasst werden; die Verwaltung hat die Möglichkeit, im Interesse der anderen Aktionäre liegende, sinnvolle Fragen auszuwählen.
  • Verkürzte Einberufungsfrist

    Darüber hinaus sieht der Entwurf gem. § 1 Abs. 3 Covid-19-GesR-Gesetz vor, dass die Einberufungsfrist, abweichend § 123 Abs. 1 S. 1 AktG (30Tage), vorrübergehend auf nur noch 21 Tage verkürzt wird (europarechtlich erforderliche Mindestfrist). Die Mitteilungsfristen nach § 125 Abs. 1 und 2 AktG werden ebenfalls entsprechend angepasst und betragen nun 12 statt 21 Tage.
  • Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn

    Ferner kann der Vorstand nunmehr nach § 1 Abs. 4 Covid-19-GesR-Gesetz ohne eine nach § 59 Abs. 1 AktG grundsätzlich erforderliche Ermächtigung in der Satzung entscheiden, einen Abschlag auf den Bilanzgewinn an die Aktionäre zu zahlen – unter Wahrung der übrigen Voraussetzungen gem. § 59 Abs. 2 AktG.
  • Überschreitung des Endtermins

    Schließlich kann der Vorstand nach § 1 Abs. 5 Covid-19-GesR-Gesetz entscheiden, dass die ordentliche Hauptversammlung innerhalb des (gesamten) Geschäftsjahres stattfindet. Die Acht-Monatsfrist gem. § 175 Abs. 1 S. 2 AktG wird damit für das Geschäftsjahr 2020 ausgesetzt. Damit soll ein Zwangsgeldverfahren nach § 407 Abs. 1 AktG ausgeschlossen werden. Ebenso wie im Rahmen von § 175 Abs. 1 S. 1 AktG (unverzügliche Einberufung nach Zugang des Aufsichtsratsbericht) war indes auch für Satz 2 bereits weitgehend anerkannt, dass sowohl ein Zwangsgeld als auch Schadensersatzpflichten des Vorstands nicht in Betracht kommen, wenn dieser das Fristversäumnis nicht zu vertreten hat.

    Zu beachten ist zudem, dass die Fristverlängerung nach § 1 Abs. 7 nicht für die SE gilt. Hier bleibt es aufgrund des Vorrangs des Europarechts bei der zwingenden Sechs-Monatsfrist gem. Art. 54 Abs. 1 S. 1 SE-VO.
  • Zustimmung durch den Aufsichtsrat erforderlich

    Um Missbrauch zu verhindern und die Überwachungskompetenz des Aufsichtsrats zu gewährleisten, sieht § 1 Abs. 6 Covid-19-GesR-Gesetz vor, dass der Vorstand über die genannten Erleichterungen jeweils nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats entscheiden darf. Dies gilt jedoch nicht die monistische SE, da diese über kein dem Aufsichtsrat entsprechendes Organ verfügt und ein Zustimmungserfordernis in Leere liefe.

Fazit

Die geplanten Erleichterungen sind sehr zu begrüßen – sowohl zur Vermeidung von Ansteckungen mit dem Coronavirus als auch aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive. Diese geben, sofern der Entwurf umgesetzt wird, den Unternehmen in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit das erforderliche Instrumentarium an die Hand, um zeitnahe Entscheidungen der Anteilseigner zu ermöglichen und notwendige Maßnahmen beschließen zu können.

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