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Wirkung der Anzeige eines Arbeitnehmers nach § 9 TzBfG zur Aufstockung der Arbeitszeit

Die Anzeige eines Arbeitnehmers nach § 9 TzBfG, die Arbeitszeit aufstocken zu wollen, führt dazu, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über entsprechende freie Arbeitsplätze informieren muss. Wenn der Arbeitgeber eine solche Anzeige des Arbeitnehmers ablehnt, verliert die Anzeige diese Wirkung nicht automatisch mit der Folge, dass der Arbeitnehmer erneut ein Aufstockungsverlangen anzeigen müsste. Maßgeblich für die (Fort-)Wirkung der Anzeige ist vielmehr, ob die Anzeige und das begleitende Gesamtverhalten des Arbeitnehmers erkennen lassen, ob er dauerhaft an einer Aufstockung interessiert ist, auch wenn diese erst zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen könnte. Dies hat das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) in seinem Urteil vom 06.12.2018 entschieden (Az. 7 Sa 217/18).

Sachverhalt

Die Parteien streiten um Schadenersatz wegen entgangenen Lohns der Klägerin aufgrund unterbliebener Arbeitszeitverlängerung sowie um eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit Januar 2007 zunächst als Teilzeitbeschäftigte im Umfang von 50%, d.h. mit 19,5 Wochenstunden beschäftigt. In der Folgezeit erfolgte eine Aufstockung der Arbeitszeit mit verschiedenen Umfängen, die mehrfach verlängert wurde. Seit September 2012 arbeitet die Klägerin wiederum in ihrem ursprünglichen vertraglichen Umfang von 50% als Teilzeitbeschäftigte. Im Juni 2013 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erhöhung ihrer Arbeitszeit auf Vollzeit, der von der Beklagten nicht beschieden wurde. Im November 2013 stellte die Klägerin einen weiteren Antrag, den die Beklagte mit der Begründung zurückwies, dass keine entsprechenden Stellen bzw. Stellenanteile zur Verfügung stünden.

In den Jahren 2014 und 2015 stellte die Beklagte drei Arbeitnehmer ein, jeweils zunächst sachgrundlos für zwei Jahre befristet. Diese Arbeitnehmer sind deutlich jünger als die Klägerin. Den nachfolgend im Juni 2015 von der Klägerin gestellten weiteren Antrag auf Arbeitszeiterhöhung lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, es stünden keine entsprechenden Stellen bzw. Stellenanteile zur Verfügung. Im späteren Verfahren vor dem Arbeitsgericht ergänzte die Beklagte, ihre Organisationsentscheidung, neue Vollzeitarbeitsplätze einzurichten, anstatt vorhandene Teilzeitarbeitsplätze aufzustocken, sei getroffen worden, um junge, qualifizierte Nachwuchskräfte für das Amt gewinnen zu können.

Mit Schreiben vom 18.07.2016 forderte die Klägerin erneut die Aufstockung ihrer Arbeitszeit auf ein Vollzeitarbeitsverhältnis und machte zudem erstmals Schadensersatzansprüche wegen Nichtberücksichtigung ihrer früheren Anträge geltend. Die Beklagte lehnte das erneute Verlangen im September 2016 mit der Begründung ab, die Klägerin sei charakterlich nicht geeignet. Nach Erhebung der Klage wurden die Verträge der in den Jahren 2014 und 2015 neu eingestellten Arbeitnehmer entfristet.

Das Arbeitsgericht gab der Klage auf Schadensersatz – wegen eingreifender Ausschlussfristen nur teilweise – und Entschädigung wegen Altersdiskriminierung statt. Die Berufung der Beklagten bleib beim LAG Köln erfolglos.

Entscheidungsgründe

Das LAG bejaht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin nach § 275 Abs. 1 BGB. Die Erfüllung des Anspruchs der Klägerin auf Verlängerung ihrer Arbeitszeit sei wegen Besetzung der Stellen mit anderen Arbeitnehmern unmöglich geworden, was von der Beklagten zu vertreten sei. Deshalb hafte die Beklagte der Klägerin auf Ersatz des entstandenen Schadens in Höhe der Differenz zwischen der erzielten Vergütung einer Teilzeitbeschäftigten und der entgangenen Vergütung einer Vollzeitbeschäftigten.

Die Schadensersatzpflicht werde dabei schon dadurch verwirklicht, dass der Arbeitgeber gegen die in § 7 Abs. 2 TzBfG normierte Pflicht zur Information des Arbeitnehmers über entsprechende freie Arbeitsplätze verletze und der Arbeitnehmer damit erst gar nicht in die Lage versetzt werde, dem Arbeitgeber im Nachgang zu seiner Anzeige eine Änderung seines Arbeitsvertrags anzubieten. Die Klägerin habe den Wunsch nach Aufstockung der Arbeitszeit ausreichend angezeigt, die Anzeige vom November 2013 sei mit dem abschlägigen Bescheid der Beklagten nicht gegenstandslos geworden.

Zwar sei umstritten, ob die Anzeige eines Arbeitnehmers nach § 9 TzBfG bereits mit erstmaliger Ablehnung durch den Arbeitgeber endgültig erledigt sei mit der Folge, dass der Arbeitgeber etwaige Informationspflichten nicht mehr zu beachten habe, bevor der Arbeitnehmer seine Anzeige ausdrücklich wiederhole. Hierfür sei nach richtiger Auffassung jedoch maßgeblich auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen und ausschlaggebend, wie ein redlich denkender Arbeitgeber vor dem Hintergrund des begleitenden Gesamtverhaltens des Arbeitnehmers dessen Wunsch auf Aufstockung der Arbeitszeit verstehen müsse. Sei erkennbar, dass der Arbeitnehmer dauerhaft an der Aufstockung interessiert ist, werde das Verlangen nach § 9 TzBfG nicht mit erstmaliger Ablehnung durch den Arbeitgeber obsolet. Lasse sich hingegen der Anzeige entnehmen, dass eine Aufstockung nur zum aktuellen Zeitpunkt des Verlangens gewünscht ist oder werde gar ein Angebot des Arbeitgebers, die Arbeitszeit aufzustocken, begründungslos abgelehnt, könne der Arbeitgeber davon ausgehen, dass er im weiteren Verlauf den Aufstockungswunsch nicht mehr berücksichtigen müsse.

Vorliegend lasse schon das mehrfache Aufstockungsverlangen der Klägerin erkennen, dass sie dauerhaft an einer Aufstockung interessiert sei, ggf. auch zu einem späteren Zeitpunkt.

Der weiteren Voraussetzung für den Aufstockungsanspruch nach § 9 TzBfG eines „entsprechenden freien Arbeitsplatzes“ stehe vorliegend auch nicht entgegen, dass die durch neu eingestellten Arbeitnehmer besetzten Stellen zunächst befristet worden waren. Entscheidend sei, ob der konkret in Frage kommende Arbeitsplatz voraussichtlich nur vorübergehend, d.h. für einen befristeten Zeitraum zur Verfügung stehen wird, oder ob mit dem Arbeitsplatz künftig zwar dauerhaft ein prognostizierter ständiger Arbeitsbedarf abgedeckt werden soll, der nächste Arbeitsplatzinhaber aber nur einen befristeten Arbeitsvertrag erhalten solle. Letzteres sei vorliegend der Fall.

Der Entschädigungsanspruch der Klägerin wegen Altersdiskriminierung ergebe sich aus § 15 Abs. 2 AGG, da die Beklagte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG verstoßen habe, indem sie der Klägerin die Aufstockung u.a. mit der Begründung versagt hat, die Stellen sollten zur Schaffung oder Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur mit jungen Nachwuchskräften besetzt werden.

Hinweis für die Praxis

Das LAG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage der Dauerwirkung eines Aufstockungsverlangens die Revision zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG die Gelegenheit erhält, diese Frage nun zu klären. Arbeitgebern kann nur geraten werden, Aufstockungsverlangen von Arbeitnehmern nicht leichtfüßig abzulehnen, sondern im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, um das Risiko hoher Schadensersatzforderungen auszuschließen. Soweit keine Ausschlussfristen greifen, können Gehaltsdifferenzen bis zur Grenze der Verjährung – im Extremfall deshalb für bis zu knapp 4 Jahre – geschuldet sein.

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