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Wettbewerbsrecht 4.0: Der Referentenentwurf zur 10. GWB-Novelle (GWB-Digitalisierungsgesetz)

Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hat am 7. Oktober 2019 den Referentenentwurf zur Änderung des GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) vorgelegt. Anlass der 10. GWB Novelle ist die Umsetzung der sog. ECN+-Richtlinie (EU 2019/1) zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften. Der als „GWB-Digitalisierungsgesetz“ titulierte Entwurf geht jedoch weit darüber hinaus. Er soll einen „digitalen Ordnungsrahmen“ schaffen und modernisiert das GWB im Hinblick auf die Herausforderungen digitaler Märkte. Das Bundeskartellamt (BKartA) soll künftig vermehrt gegen Unternehmen in der Digitalwirtschaft, vor allem gegen die Marktmacht der großen Digitalkonzerne wie Google, Amazon und Facebook, vorgehen können.

Der Referentenentwurf geht zunächst in die Ressortabstimmung und danach als Regierungsentwurf in das Gesetzgebungsverfahren. Es ist daher noch mit einigen Änderungen zu rechnen, doch die 10. GWB-Novelle wird deutlich die Eingriffskompetenzen des BKartA stärken und für die Praxis gewichtige Neuerungen mit sich bringen.

Im Folgenden stellen wir die wesentlichen Änderungsvorschläge vor:

Verstärkte Aufsicht über marktbeherrschende Unternehmen in der Digitalwirtschaft

Zentraler Regelungsgegenstand der Novelle ist der Bereich der Missbrauchsaufsicht. Nach dem neuen § 19a GWB soll das BKartA feststellen können, dass ein Unternehmen nicht nur auf einzelnen Märkten marktbeherrschend ist, sondern aufgrund von Netzwerkeffekten, Zugang zu Daten, Ressourcen und Einfluss auf die Markttätigkeit Dritter überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. Die Regelung zielt damit auf die großen Digitalkonzerne wie Google, Facebook und Amazon. Neu ist der „Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten“ als zusätzliches Bewertungskriterium zur Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung. Damit wird der sog. „Intermediärsmacht“ Rechnung getragen, d.h. der Vermittler- und Steuerungsfunktion von Plattformen in zweiseitigen Märkten.

Stellt das BKartA förmlich die überragende Marktstellung fest, hat es gegenüber diesem Unternehmen erheblich weitergehende Eingriffsbefugnisse als gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen:

  • Verbot der Selbstbevorzugung: Das BKartA soll Plattformunternehmen mit marktübergreifender Bedeutung untersagen können, eigene Angebote auf der Website gegenüber denen von Wettbewerbern zu bevorzugen, z.B. in der Darstellung der Suchergebnisse (sog. „self-preferencing“).
  • Untersagung der Behinderung von Wettbewerbern: Das BKartA soll dominierenden Unternehmen außerdem untersagen können, das Etablieren von Wettbewerbern auf einem Markt zu behindern, z.B. indem das marktbeherrschende Unternehmen seine gesammelten wettbewerbsrelevanten Daten für diesen Zweck nutzt.
  • Datenmitnahme der Nutzer: Kunden sollen künftig Zugang zu ihren eigenen Daten erhalten und diese bei einem Wechsel ihres Anbieters mitnehmen können, z.B. Chats in Messenger-Diensten. Erschweren die Altanbieter die Datenmitnahme vertraglich oder technologisch, soll das BKartA dieses Verhalten untersagen können.
  • Verbesserung der Datenportabilität: Unternehmen sollen gegenüber dem marktbeherrschenden Unternehmen einen Anspruch haben auf Zugang zu Nutzungsdaten einer spezifischen Person oder einer Maschine, wenn diese notwendig sind, um auf einem vor- oder nachgelagerten Markt tätig zu sein, der wirksame Wettbewerb in diesem Segment bedroht ist und das marktbeherrschende Unternehmen keinen sachlich rechtfertigenden Grund für die Zugangsverweigerung hat.
  • Eingriffsrechte und einstweilige Maßnahmen: Das BKartA soll künftig eingreifen dürfen, um das „Kippen“ von Märkten  (sog. „Tipping“) durch gezielte Behinderungsstrategien von Unternehmen mit überlegener Marktmacht frühzeitig verhindern zu können. Für ein zügiges Eingreifen werden zudem die einstweiligen Maßnahmen durch das BKartA erleichtert.

Horizontale Kooperationen: Ausnahme vom Gebot der Selbsteinschätzung

Bislang galt der Grundsatz der kartellrechtlichen Selbsteinschätzung, nach dem Unternehmen selbst ihr Verhalten und ihre Vereinbarungen auf kartellrechtliche Konformität überprüfen müssen. Um die Rechtssicherheit für horizontale Kooperationen zu steigern, soll künftig ein Anspruch auf eine Bewertung durch das BKartA bestehen. Sofern ein erhebliches rechtliches und wirtschaftliches Interesse besteht, haben Unternehmen Anspruch auf eine Entscheidung der Behörde innerhalb von 6 Monaten, dass in einem bestimmten Fall der Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern kein Anlass zum Tätigwerden besteht. Außerdem soll das BKartA Leitlinien zur Ausübung seines Aufgreifermessens aufstellen dürfen, die zu mehr Rechtssicherheit führen würden.

Erleichterungen für die Fusionskontrolle

Die jährlich steigende Zahl von Fusionsanmeldungen ist Anlass für Veränderungen im Fusionskontrollrecht. Die zweite Inlandsumsatzschwelle soll von 5 auf 10 Mio. EUR angehoben werden, um eine ca. 20 % geringere Zahl von Anmeldungen und damit eine Entlastung von BKartA und Unternehmen zu erreichen. In Konsequenz dessen soll die Bagatellmarktschwelle für die materielle Prüfung künftig 20 statt 15 Mio. EUR betragen. Das Erfordernis der Vollzugsanzeige soll entfallen. Die Frist für die Durchführung der aufwendigen Hauptprüfverfahren soll dagegen von vier auf fünf Monate verlängert und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ministererlaubnis verschärft werden.

Eine Erleichterung für die Unternehmen ist schließlich, dass sie künftig die Umsatzberechnung auf Basis der von ihnen verwendeten international anerkannten Rechnungslegungsstandards durchführen können sollen, so dass sich eine Umsatzumrechnung erübrigt.

Bußgeldrecht und Kronzeugenprogramm

Der Entwurf enthält konkrete Regelungen zur Zumessung eines Bußgelds. Die Höhe soll sich an den Umsätzen orientieren, die ein Unternehmen durch den Verstoß erzielt hat. Ein positives Nachtatverhalten, z.B. die Einführung effektiver Compliance-Maßnahmen, soll sich bußgeldmindernd auswirken können.

Außerdem wird das bislang in der sog. Bonusregelung des BKartA enthaltene Kronzeugenprogramm gesetzlich verankert. Es soll jedoch nach wie vor nur für horizontale Kartelle, d.h. Abstimmungen und Absprachen zwischen Wettbewerbern, gelten.

Kartellschadensersatz

Im Kartellschadensersatzrecht sieht der Entwurf die Aufnahme einer unwiderleglichen Vermutung für die Kartellbetroffenheit unmittelbarer Lieferanten und Abnehmer eines Kartells bei Rechtsgeschäften mit kartellbeteiligten Unternehmen vor. Damit reagiert der Gesetzgeber auf die Entscheidung des BGH zum Schienenkartell vom 11. Dezember 2018 (KZR 26/17), in der der BGH den „doppelten Anscheinsbeweis“ für die Kartellbefangenheit und den kausal kartellbedingten Preisanstieg ablehnte und damit die prozessuale Ausgangssituation für beklagte Kartellanten deutlich stärkte. Mit der widerleglichen Vermutung erleichtert der Gesetzgeber nun für die Kläger den Nachweis der Kartellbefangenheit. Die widerlegliche Vermutungswirkung soll sich auch auf mittelbare Abnehmer für den Fall der Weiterwälzung eines Preisaufschlags (sog. „passing-on“) erstrecken.

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