Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Schadensersatz durch Arbeitgeber bei Personenschaden des Arbeitnehmers – Haftungsprivilegierung nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung

Bei Arbeitsunfällen und Wegeunfälle treten die Berufsgenossenschaften als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für Personenschäden der verunfallten Beschäftigten ein. Eine etwaige Haftung des Arbeitgeberunternehmens ist weitgehend beschränkt, indes nicht grenzenlos.

Sachverhalt

Die Klägerin ist bei der Beklagten, die ein Seniorenpflegeheim betreibt, langjährig als Pflegefachkraft beschäftigt. Das Gebäude des Seniorenpflegeheims hat zwei Eingänge, einen Haupt- und einen Nebeneingang. An beiden Eingängen befinden sich Arbeitszeiterfassungsgeräte. Der Haupteingang ist beleuchtet, der Nebeneingang nicht. Im Dezember 2016 erlitt die Klägerin kurz vor Arbeitsbeginn um etwa 7:30 Uhr einen Unfall auf einem Weg, der sich auf dem Betriebsgelände des Seniorenpflegeheims befindet und dort zum Nebeneingang führt. Es war noch dunkel, als sie ihr Fahrzeug auf einem Parkplatz außerhalb des Betriebsgeländes abstellte und sich zu Fuß zum Nebeneingang begab. Kurz bevor sie diesen erreichte, rutschte sie auf dem Weg aus. Dabei erlitt sie eine Außenknöchelfraktur. Bei dem Unfall der Klägerin handelte es sich um einen Versicherungsfall iSv. § 7 SGB VII; die Klägerin erhielt Verletztengeld. Die Klägerin hat von der Beklagten Schmerzensgeld und Ersatz materieller Schäden verlangt.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 28. November 2019, 8 AZR 35/19) keinen Erfolg.

Zugunsten des Arbeitgebers greift gegenüber dem Schadensersatzverlangen eines Beschäftigten, der infolge eines Versicherungsfalls einen Personenschaden erlitten hat, das Haftungsprivileg nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ein, es sei denn, der Arbeitgeber hat den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt oder er ist auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg (Wegeunfall) eingetreten. Für die Annahme der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalls ist ein „doppelter Vorsatz“ erforderlich. Der Vorsatz des Schädigers muss sich nicht nur auf die Verletzungshandlung, sondern auch auf den Verletzungserfolg beziehen.

Die Beklagte hatte den Versicherungsfall, der kein Wegeunfall war, sondern sich auf dem Betriebsgelände des Seniorenpflegeheims ereignete, nicht vorsätzlich herbeigeführt. Die dahingehende Würdigung des Landesarbeitsgerichts war nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Hinweise für die Praxis

Für Personenschäden, die infolge von Arbeitsunfällen und Wegeunfälle entstehen, haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossenschaften) solvente und damit verlässliche Leistungsträger. Die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung werden im Umlageverfahren durch die Arbeitgeberunternehmen finanziert. Aufgrund dessen ist es sachgerecht, die Arbeitgeber bis zur Grenze des Vorsatzes in diesen Fällen von der Haftung freizustellen.

Gleichwohl ist es auf Arbeitgeberseite und insbesondere auf Seiten der dort tätigen gesetzlichen Vertreter dringend anzuraten, die Bestimmungen des technischen Arbeitsschutzes unbedingt zu beachten und deren Beachtung auch im Betrieb zu überwachen und durchzusetzen. Liegt nämlich – ausnahmsweise – ein Fall der vorsätzlichen Schadensverursachung vor, haften nach den §§ 104 ff. SGB VII sowohl in die vorsätzlich handelnden natürlichen Personen als auch das Unternehmen als juristische Person. Wenn und soweit die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung Leistungen an die verletzten Arbeitnehmer erbringen, gehen die Schadensersatzansprüche der Beschäftigten insoweit auf die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung über.

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