Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rentenversicherung kippt Statusfeststellung der Krankenkasse als zuständige Einzugsstelle

Bei der Statusfeststellung, also der Feststellung ob eine selbstständige oder eine sozialversicherungspflichtige und damit abhängige Beschäftigung vorliegt, hat im Verhältnis der Krankenkasse als zuständige Einzugsstelle und der Deutschen Rentenversicherung (Clearingstelle) die letztere das Sagen. Das Bundessozialgericht hat dies nunmehr rechtskräftig festgestellt in einer Konstellation, in der eine Betriebskrankenkasse mit zahlreichen Versicherten und einer Beratungsagentur, die sich auf die Konzeption privater Altersvorsorge spezialisiert hat, auf besondere Weise zusammengewirkt hat.

Sachverhalt

Klägerin ist die Deutsche Rentenversicherung Bund. Beklagte ist eine Betriebskrankenkasse, die »BKK 24«. Zu dem Rechtsstreit beigeladen sind Versicherte dieser Krankenkasse; bei diesen Versicherten handelt es sich um Kinder oder Ehegatten des Arbeitgebers.

Diese Versicherten waren zunächst aufgrund angenommener Beschäftigung in allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig. Nach Einschaltung einer Beratungsagentur, die sich auf die Konzeption privater Altersvorsorge spezialisiert hat, wechselten sie als versicherungspflichtig Beschäftigte zur beklagten BKK24. Dadurch wurde sie zur zuständigen Einzugsstelle. In dieser Funktion stellte sie durch den einzigen für diese Fälle zuständigen Mitarbeiter nach Vorlage neuer, gleichartig formulierter "Arbeitsverträge" zeitnah fest, dass die Kinder beziehungsweise Ehegatten selbstständig tätig seien und daher künftig nicht mehr der Sozialversicherungspflicht unterlägen. Die Kinder beziehungsweise Ehegatten blieben als freiwillige Mitglieder bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert. Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung wurden für sie nicht mehr entrichtet. Die freien Mittel konnten zur Finanzierung einer privaten Altersvorsorge verwendet werden.

Nachdem die BKK24 einer Sonderprüfung unterzogen wurde, hat die Deutsche Rentenversicherung Bund in über einhundert Fällen Klagen gegen deren Bescheide erhoben. Sie argumentiert, dass gemäß § 7a Absatz 1 Satz 2 und 3 SGB IV ausschließlich sie in ihrer Funktion als Clearingstelle berechtigt sei, Bescheide zum versicherungsrechtlichen Status – abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig – zu erlassen, weil die Betroffenen Kinder oder Ehegatten des Arbeitgebers seien. Die Klagen haben in den Vorinstanzen Erfolg gehabt. Das Sozialgericht Berlin hat die Statusbescheide wegen Kompetenzwidrigkeit aufgehoben. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat dies bestätigt. Dagegen wendet sich die beklagte BKK24 mit ihren Revisionen. Sie argumentiert unter anderem, die Klagen seien bereits mangels Klagebefugnis unzulässig.

Entscheidungsgründe

Das Bundessozialgericht hat in zwei Rechtsstreitigkeiten (Urteile vom 16.07.2019, B 12 KR 6/18 R und B 12 KR 5/18 R) die Revisionen der beklagten BKK 24 zurückgewiesen; weitere Verfahren haben sich anderweitig erledigt, was auf Rücknahme der Revision hindeutet.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist berechtigt, Bescheide zur Versicherungspflicht einer als Einzugsstelle handelnden gesetzlichen Krankenkasse mit dem Argument anzufechten, ihre Alleinzuständigkeit im obligatorischen Clearingstellenverfahren sei verletzt.

Geht es um Tätigkeitsverhältnisse unter Eheleuten oder Eltern und Kindern ist nicht die Einzugsstelle, sondern die Deutsche Rentenversicherung Bund berechtigt, im obligatorischen Clearingstellenverfahren nach § 7a Absatz 1 Satz 2 SGB IV das Bestehen oder Nichtbestehen von versicherungspflichtiger Beschäftigung festzustellen. Ihre Zuständigkeit ist als wehrhaftes Recht ausgestaltet. Der Clearingstelle ist die Aufgabe eines herausgehobenen Statusentscheiders mit besonderer Gemeinwohlverantwortung in Fällen zugewiesen, in denen es typischerweise an einem Interessengegensatz der Vertragspartner des Tätigkeitsverhältnisses fehlt. Das obligatorische Clearingstellenverfahren dient einerseits dem Schutz der Beschäftigten in einem besonderen Näheverhältnis zum Arbeitgeber: Ihnen soll aus Gründen der Rechtssicherheit zügig und von Amts wegen eine objektive Entscheidung einer neutralen Stelle über die Versicherungspflicht zukommen, die unter Umständen auch eine leistungsrechtliche Bindung der Bundesagentur für Arbeit nach § 336 SGB III bewirkt. Andererseits wird auch die Solidargemeinschaft der Pflichtversicherten geschützt: Weder Beschäftigte noch Arbeitgeber oder die im Wettbewerb untereinander stehenden Krankenkassen mit ihren Einzugsstellen dürfen über die Versicherungspflicht frei disponieren. Die Alleinzuständigkeit der Deutschen Rentenversicherung Bund ist durch die angefochtenen Bescheide der beklagten BKK24 verletzt worden. Das obligatorische Clearingstellenverfahren ist auch dann durchzuführen, wenn die Einzugsstelle auf andere Weise als aus einer förmlichen Meldung des Arbeitgebers über den Beschäftigungsbeginn oder den Krankenkassenwechsel Kenntnis davon erlangt hat, dass der Beschäftigte Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling des Arbeitgebers oder geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH ist. Voraussetzung ist lediglich, dass der Arbeitgeber der Einzugsstelle gegenüber aufgrund objektiver Umstände seine Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zum Ausdruck gebracht hat. Dies war in allen Fällen erfüllt.

Hinweise für die Praxis

Den Revisionsverfahren sowie über einhundert weiteren Verfahren, die noch bei den Instanzgerichten anhängig sind, liegt im Wesentlichen ein Konzept zugrunde, das zwischenzeitlich auch Gegenstand eines umfangreichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie eines aufsichtsrechtlichen Verfahrens geworden ist.

Es handelt sich vorliegend also in der Tat um eine »Sondersituation«, weil die beklagte Krankenkasse ganz offenkundig aus besonderen Eigeninteressen eventuell an der objektiven Rechtslage vorbei Statusfeststellungen vorgenommen hat.

Insgesamt kann allerdings wieder einmal daraus abgeleitet werden, dass in Zweifelsfällen ein Statusfeststellungsverfahren eingeleitet werden sollte, dies auch gerade zum Schutz der Arbeitgeberseite. Wird im Nachhinein der Status der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung festgestellt, sind bekanntlich die Beiträge vollständig vom Arbeitgeber zu tragen und können nur sehr beschränkt die Arbeitnehmeranteile von den im Nachhinein als sozialversicherungspflichtig Erkannten eingefordert werden.

Kontakt > mehr