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Mitnahme eines kranken Kindes zur Arbeit - kein fristloser Kündigungsgrund

Die Mitnahme von erkrankten und betreuungsbedürftigen Kindern zur Arbeit stellt zwar eine Verletzung der arbeitsvertraglichen (Neben-)Pflichten dar, rechtfertigt jedoch keine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber. Das hat das ArbG Siegburg mit Urteil vom 04.09.2019 (Az. 3 Ca 642/19) entschieden.

Sachverhalt

Die Klägerin war bei der Beklagten als Altenpflegefachkraft beschäftigt. Sie befand sich noch in der Probezeit. Während der Arbeit erkrankten die Kinder der alleinerziehenden Klägerin, woraufhin der behandelnde Arzt deren Betreuungsbedürftigkeit feststellte. Zunächst ging die Klägerin ihrer Arbeitstätigkeit für die Beklagte weiter nach, wobei sie jedoch ihre Kinder zeitweise mitnahm. Einige Tage später erkrankte die Klägerin dann selbst und teilte der Beklagten per SMS mit, dass sie einen Arzt aufsuchen müsse. Dieser stellte am Folgetag einen später bestätigten Verdacht auf Grippe fest. Die Klägerin erhielt am 06.02.2019 eine fristlose Kündigung, weil ihr u.a. verboten gewesen sei, ihre Kinder mit zur Arbeit zu nehmen. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage gegen die fristlose Kündigung und begehrte die Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist.

Entscheidungsgründe

Das ArbG Siegburg gab der Klage insoweit statt und entschied, dass das Arbeitsverhältnis nicht fristlos, sondern erst mit Ablauf der 2-wöchigen Kündigungsfrist in der Probezeit am 20.02.2019 beendet worden sei. Die fristlose Kündigung sei ungerechtfertigt, so das Gericht. Zwar sei das Verhalten der Klägerin sowohl aus versicherungsrechtlichen Gründen als auch wegen der gegebenenfalls bestehenden Ansteckungsgefahr für die älteren Patienten problematisch und stelle eine Nebenpflichtverletzung dar, ein Grund für eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehe dadurch jedoch nicht. In einem solchen Fall reiche der Ausspruch einer Abmahnung grundsätzlich aus, um eine Verhaltensänderung zu erreichen. Andere Gründe für eine sofortige Beendigung habe die Beklagte nicht darlegen können.

Hinweis für die Praxis

Nach Ansicht des ArbG Siegburg kann die Mitnahme eines erkrankten Kindes zur Arbeit den Ausspruch einer Abmahnung rechtfertigen. Eine solche Abmahnung muss ein Arbeitnehmer jedoch grundsätzlich gar nicht erst riskieren. Eine notwendige Betreuung eines erkrankten Kindes, die nur durch den Arbeitnehmer selbst sichergestellt werden kann, stellt für ihn regelmäßig ein persönliches Leistungshindernis dar. Hat beispielsweise das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet, steht dem Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber ein Anspruch auf Freistellung von der Arbeit zu (§ 45 SGB V), so dass der Arbeitnehmer durch das Fernbleiben seine vertraglichen Pflichten nicht verletzt.

In der Regel ist für alle Beteiligten jedoch nicht nur der Freistellungsanspruch von Interesse, sondern vor allem, ob der Arbeitgeber für die Zeiten des Bestehens eines persönlichen Leistungshindernisses zur Fortzahlung der Vergütung verpflichtet ist. Dies muss allerdings im Einzelfall geprüft werden. Nach § 616 BGB wird ein Arbeitnehmer seines Anspruchs auf Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit aus persönlichen Gründen unverschuldet seine Arbeit nicht verrichten kann. Die notwendige Betreuung von erkrankten Kindern kann dabei die Entgeltfortzahlungsregelung des § 616 BGB auslösen. Nicht selten finden sich zudem in Tarif- und Arbeitsverträgen Regelungen zur Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung in Fällen der persönlichen Arbeitsverhinderung, die der gesetzlichen Regelung des § 616 BGB vorgehen. In einem Arbeitsvertrag kann der Vergütungsanspruch aus § 616 BGB auch ganz ausgeschlossen werden. Ist ein Ausschluss vereinbart, ist der Arbeitgeber zur Fortzahlung der Vergütung in entsprechenden Fällen nicht verpflichtet. Dem gesetzlich Versicherten steht dann für die notwendige Betreuung eines Kindes – bei Vorliegen der Voraussetzungen – nach § 45 SGB V ein Anspruch auf Krankengeldzahlung für die Dauer von längstens zehn Arbeitstagen in jedem Kalenderjahr bzw. 20 Arbeitstagen für Alleinerziehende zu. Da § 616 BGB außer der Betreuung von erkrankten Kindern zahlreiche weitere Fälle der persönlichen Leistungsverhinderung erfasst und sich die Entgeltfortzahlungskosten zu beachtlichen Beträgen summieren können, sollten Arbeitgeber prüfen, ob sie von der Möglichkeit, Vergütungsansprüche aus § 616 BGB auszuschließen, Gebrauch machen können und wollen.

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