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Kartellrecht beim Unternehmenskauf: Rechtsnachfolgehaftung des Erwerbers für Kartellschadensersatz

Für die kartellrechtliche Bußgeldhaftung war es bereits anerkannt, nun gilt es auch für die zivilrechtliche Schadensersatzhaftung: Der Erwerber haftet für die Kartellverstöße eines übernommenen und anschließend liquidierten Unternehmens, wenn er dessen Geschäftstätigkeit im Wesentlichen weiterführt. Dies hat der EuGH in seinem mit Spannung erwarteten Skanska-Urteil entschieden. Die Ausweitung des unionsrechtlichen Unternehmensbegriffs auf das Kartellschadensersatzrecht ist auch für die Transaktionspraxis von Bedeutung.

Hintergrund

Die finnische Stadt Vantaa erhob Kartellschadensersatzklage gegen drei Unternehmen, die zuvor die Anteile mehrerer an einem Asphaltkartell in Finnland beteiligten Gesellschaften erworben hatten. Die Beklagten hatten die kartellbeteiligten Gesellschaften zwar anschließend liquidiert, ihre Geschäfte jedoch im Wesentlichen weitergeführt. In Anwendung des vom EuGH aufgestellten Grundsatzes wirtschaftlicher Kontinuität verhängte der finnische Oberste Verwaltungsgerichtshof deshalb Bußgelder gegen die Erwerber. Die daraufhin von der Stadt erhobene Klage hatte vor dem erstinstanzlichen Gericht Erfolg. Das Berufungsgericht hob das Urteil jedoch auf, da im finnischen Schadensersatzrecht anders als bei Kartellbußgeldern der Grundsatz wirtschaftlicher Kontinuität nicht gelte und außer bei Umgehungstatbeständen nur das Rechtssubjekt auf Ersatz hafte, das den Schaden selbst verursacht habe. Der Oberste Gerichtshof Finnlands legte dem EuGH schließlich die Frage vor, ob diese Rechtslage mit europäischem Recht vereinbar sei.

Das Urteil des EuGH vom 14.03.2019, Az. C-724/17 („Skanska“)

Der EuGH entschied, dass der unionsrechtliche Unternehmensbegriff nicht nur im Kartellbußgeldrecht, sondern auch für nationale Kartellschadensersatzansprüche gilt. Zwar richten sich die Modalitäten für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs in Ermangelung unionsrechtlicher Regelungen nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Dies gilt jedoch nach Ansicht des EuGH nicht für den Anspruchsgegner eines Schadensersatzanspruches. Adressat des Kartellverbots aus Art. 101 AEUV sind „Unternehmen“. Ein Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne umfasst alle natürlichen oder juristischen Personen unter einheitlicher Kontrolle, unabhängig von der Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Eine Unternehmensumstrukturierung, nach der die für den Kartellverstoß verantwortliche Gesellschaft nicht mehr besteht, lässt nicht zwingend ein neues, von der Haftung für Kartellverstöße seines Vorgängers befreites Unternehmen entstehen. Das gilt nach Auffassung des EuGH jedenfalls dann, wenn – wie im zu entscheidenden Fall – die ursprünglich haftende Gesellschaft nicht mehr existiert, der Rechtsnachfolger ihre wirtschaftliche Tätigkeit aber fortführt.

Die Anwendung des europäischen Unternehmensbegriffs und die daraus resultierende (Nachfolge-) Haftung auch im Rahmen des Kartellschadensersatzes begründet der EuGH damit, dass ein schädigendes Unternehmen seiner Haftung nicht dadurch entgehen kann, dass es durch Umstrukturierungen, Übertragungen oder sonstige Änderungen rechtlicher oder organisatorischer Art ihre Identität ändert.

Anmerkung

Der EuGH stärkt mit seinem Urteil die Position der Geschädigten von Kartellabsprachen, denn diese können nun den Rechtsnachfolger bzw. die Konzernmütter von kartellbeteiligten Gesellschaften in Anspruch nehmen, selbst wenn letztere nicht mehr existieren. Diese Haftung von Müttern für ihre Töchter bestand bislang nur für Bußgelder; der weite unionsrechtliche Unternehmensbegriff wurde 2017 im Rahmen der 9. GWB-Novelle auch in das deutsche Kartellordnungswidrigkeitenrecht übernommen. Dagegen galt für den zivilrechtlichen Kartellschadensersatz bisher das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip, nach dem die jeweiligen Unternehmen nur für ihr eigenes kartellrechtswidriges Handeln einstehen mussten. Zukünftig können Kartellgeschädigte auch die (finanziell bessergestellten) Muttergesellschaften für Kartellverstöße ihrer Tochtergesellschaften in Anspruch nehmen; bei Unternehmensfortführungen nach Umwandlung oder Liquidation haftet auch der rechtliche bzw. wirtschaftliche Nachfolger.

Die Kehrseite der Medaille ist das gestiegene Risiko eines Unternehmenserwerbers, später für Kartellverstöße des Zielunternehmens zu haften. Anders als Bußgelder sind Schadensersatzansprüche der Höhe nach unbegrenzt, sie richten sich allein nach dem tatsächlich entstandenen Schaden der Kartellgeschädigten, z.B. durch kartellbedingt überhöhte Einkaufspreise oder entgangenen Gewinn. Schadensersatzklagen nach einem Bußgeldverfahren (sog. follow-on-Klagen) können noch viele Jahre nach der Unternehmenstransaktion erhoben werden, zumal die Verfahrenseinleitung durch eine in- oder ausländische Kartellbehörde oder die Europäische Kommission die Verjährung des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs hemmt.

Diesem Haftungspotential sollte der Erwerber bei einer Unternehmenstransaktion mit einer verstärkten kartellrechtlichen Due Diligence begegnen und etwaige Risiken durch die Vereinbarung von Garantien oder Haftungsfreistellungen abdecken oder bei der Kaufpreisfindung berücksichtigen. Die Rechtsnachfolgehaftung gilt nach dem Urteil ausdrücklich für Share Deals, ist aber in Anwendung des Grundsatzes wirtschaftlicher Kontinuität auch bei Asset Deals denkbar, wenn das ursprüngliche Unternehmen nicht mehr existiert.

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