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Fusionskontrolle bei M&A-Transaktionen: Verstoß gegen das Vollzugsverbot beim „Warehousing“

Unterliegt der Erwerb eines Unternehmens der Fusionskontrolle, darf er nicht vor Freigabe durch die Kartellbehörden vollzogen werden. Dies gilt auch, wenn der Unternehmenserwerb in einem zweistufigen Warehousing-Verfahren durchgeführt wird. Dabei erwirbt der Letzterwerber das Zielunternehmen nicht direkt, sondern es findet zunächst ein Zwischenerwerb  im Interesse des geplanten endgültigen Erwerbers statt, um den Unternehmenskauf bei vorübergehenden Erwerbshindernissen abzusichern. Die EU Kommission sieht darin einen einheitlichen Zusammenschluss – und verhängte jüngst gegen Canon ein Bußgeld in Höhe von EUR 28 Mio. wegen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot.

Hintergrund

Canon meldete 2016 bei der EU Kommission den geplanten Erwerb der Toshiba Medical Systems Corporation (TMSC) an. Der Zusammenschluss wurde daraufhin von der Kommission ohne Auflagen genehmigt. Allerdings wählte Canon für den Erwerb der TMSC ein zweistufiges Transaktionsverfahren, das sog. Warehousing:

Im ersten Schritt – und zwar vor der Einreichung der Fusionsanmeldung bei der Kommission – erwarb ein Zwischenkäufer 95 % des Aktienkapitals von TMSC für einen Kaufpreis von umgerechnet EUR 800, während Canon zugleich EUR 5,28 Mrd. für die verbleibenden 5 % sowie Kaufoptionen für das Aktienpaket des Zwischenkäufers zahlte. Nach der Genehmigung der Übernahme durch die Kommission übte Canon dann seine Aktienoptionen aus und verfügte anschließend über 100 % der TMSC-Anteile.

Die Entscheidung der Kommission vom 27. Juni 2019

Die Kommission sah in dem Zwischenerwerb einen Verstoß gegen das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot und verhängte am 27. Juni 2019 gegen Canon ein Bußgeld in Höhe von EUR 28 Mio. Aus Sicht der Kommission stellten beide Transaktionsschritte einen einheitlichen Übernahmevorgang dar. Zwar habe Canon die Kontrolle über TMSC erst im zweiten Schritt endgültig erworben. Dennoch habe bereits der erste Schritt zu dem Kontrollerwerb beigetragen und sei für diesen auch erforderlich gewesen. Deshalb habe Canon den Zusammenschluss bereits vor dem ersten Transaktionsschritt anmelden müssen. Da dieser jedoch vor Anmeldung bei der Kommission und folglich ohne deren Genehmigung erfolgte, habe die Übernahme durch den Zwischenkäufer sowohl gegen die fusionskontrollrechtliche Anmeldepflicht als auch gegen das Vollzugsverbot verstoßen.

Bußgeld bei Gun Jumping trotz Freigabe des Zusammenschlusses

Mit dieser Vorgehensweise handelte sich Canon ein Bußgeld ein, obwohl der Zusammenschluss keine kartellrechtlichen Bedenken aufwarf und von der Kommission freigegeben wurde. Hintergrund ist, dass es für die Frage des Verstoßes gegen das Vollzugsverbot keine Rolle spielt, ob der Zusammenschluss genehmigungsfähig ist.

In den letzten Jahren sind Gun Jumping-Fälle zunehmend in den Fokus der Kartellbehörden und der Gerichte gerückt. Gun Jumping bezeichnet in der Leichtathletik den Frühstart eines Läufers und meint im Rahmen der Fusionskontrolle den Verstoß gegen das Vollzugsverbot. Verstöße gegen das Vollzugsverbot können mit einem Bußgeld von bis zu 10 % des Konzernjahresumsatzes geahndet werden und haben (zumindest aufschiebende) Nichtigkeit der Vollzugsgeschäfte zur Folge. Die Praxis zeigt, dass Verstöße trotz Erteilung der Freigabe zur Abschreckung streng sanktioniert werden.

Praxishinweis

Verstöße gegen das Vollzugsverbot der Fusionskontrolle sind ein erhebliches Risiko bei M&A-Transaktionen. Bei der Strukturierung müssen die Beteiligten deshalb die kartellrechtlichen Schranken beachten. Dies gilt nicht nur für den Informationsaustausch während der Verhandlungen und im Rahmen der Due Diligence (siehe unser Beitrag zum Informationsaustausch), sondern auch für den Einfluss des designierten Erwerbers auf die Zielgesellschaft bis zur Freigabe durch die Kartellbehörden.

Die Kommission betrachtet Warehousing-Strukturen bereits seit einiger Zeit kritisch und geht seit Veröffentlichung ihrer Zuständigkeitsmitteilung von einem einheitlichen Übernahmevorgang aus. Im vorliegenden Fall war insbesondere problematisch, dass der Zwischenkäufer kein unabhängiger Dritter war und dass durch die sofortige Zahlung des Kaufpreises das wirtschaftliche Risiko unmittelbar auf Canon überging. Abzuwarten bleibt, ob diese Bewertung auch für Warehousing-Strukturen gilt, bei denen z.B. ein unabhängiges Finanzinstitut als Zwischenkäufer fungiert und die Zielgesellschaft im Fall einer verweigerten Freigabeentscheidung auch behält.

Während eine Vollzugshandlung bei Übernahme von Anteilen oder der Geschäftsführung eindeutig vorliegt, ist bei anderen Maßnahmen die Grenze zwischen zulässiger Vorbereitungshandlung und unzulässigem Gun Jumping schwieriger zu bestimmen. Während die Kommission einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot dann annimmt, wenn der Erwerber bereits Kontrolle über das Zielunternehmen erlangt und damit ein Zusammenschlusstatbestand wenigstens teilweise verwirklicht wird, wird das Vollzugsverbot z.B. in Deutschland deutlich weiter verstanden. Der BGH entschied 2017 in Sachen Edeka/Kaiser´s Tengelmann, dass auch solche vorbereitenden Maßnahmen unter das Vollzugsverbot fallen, die im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Zusammenschluss erfolgen und geeignet sind, die mit dem Zusammenschluss erstrebte Integration der beteiligten Unternehmen zumindest teilweise vorwegzunehmen.

Das deutsche Vollzugsverbot ist damit deutlich weiter, der Graubereich größer. Bei der Gestaltung der Closing-Bedingungen und bei der Vorbereitung der tatsächlichen Integration des Zielunternehmens ist dem fusionskontrollrechtlichen Vollzugsverbot daher unbedingt Rechnung zu tragen, um empfindliche Bußgelder zu vermeiden.

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