daub dcw3321 2015 01 08 104.jpg

Zugang einer Kündigung durch Einwurf in den Hausbriefkasten

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 22.08.2019 seine langjährige Rechtsprechung bestätigt. Das in einen Hausbriefkasten eingeworfene Kündigungsschreiben geht dem Empfänger in dem Zeitpunkt zu, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Der klagende Arbeitnehmer wohnt in B. (Französische Republik, Département Bas-Rhin) und ist langjährig bei einem Arbeitgeber in einem Werk in R. (Baden-Württemberg) beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.01.2017 (Freitag) außerordentlich fristlos und ließ das Schreiben von Mitarbeitern gegen 13:25 Uhr in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers einwerfen. Die Postzustellung in B. ist bis gegen 11:00 Uhr vormittags beendet.

Der Arbeitnehmer reichte eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Karlsruhe am 20.02.2017 (Montag) ein. Er stellte sich auf den Standpunkt, er habe das Kündigungsschreiben erst am 30.01.2017 (Montag) in seinem Hausbriefkasten vorgefunden, der Zugang sei nicht am 27.01.2017, sondern frühestens am Folgetag erfolgt.

Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen, da sie von einem Zugang der Kündigung noch am 27.01.2019 ausgegangen waren und die Klage damit erst nach Ablauf von drei Wochen verspätet erhoben wurde. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts soll nicht mehr auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abgestellt werden, sondern im Interesse der Rechtssicherheit sei eine generalisierende Betrachtungsweise geboten. Nach den für die Bestimmung des Zeitpunkts des Zugangs einer Willenserklärung unter Abwesenden gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs könne mit einer Kenntnisnahme von Schriftstücken, die in den Briefkasten eines Arbeitnehmers eingeworfen werden, bis 17:00 Uhr gerechnet werden.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg, der Rechtsstreit wurde an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Das Bundesarbeitsgericht hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden zugeht, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen.

Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist dabei nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. Der Einwurf in einen Briefkasten bewirkt den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist insoweit eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert ist.

Das Bundesarbeitsgericht hat festgehalten, dass die Feststellung des Bestehens und der Inhalt einer Verkehrsanschauung eine im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegende Frage ist. Die Fortdauer des Bestehens oder Nichtbestehens einer Verkehrsanschauung wird dabei nicht vermutet. Zu den tatsächlichen Grundlagen einer gewandelten Verkehrsanschauung muss das Landesarbeitsgericht allerdings Feststellungen treffen, was im aufgehobenen Urteil nicht ausreichend geschehen ist.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hatte leider keinen Bestand. Damit bleibt es dabei, dass der genaue Zeitpunkt, bis zu dem gerade noch ein Schreiben in den Hausbriefkasten eingeworfen werden kann, um dieses an diesem Werktag noch wirksam zuzustellen, im Vorfeld oft nur schwer ermittelt werden kann. Die Empfehlung lautet deshalb, das Schreiben so früh wie möglich an einem Werktag zuzustellen. Besser wäre es, das Schreiben nicht erst am letzten Werktag zuzustellen, sollte eine vorherige Zustellung rechtlich schon zulässig sein.

Im entschiedenen Fall war nach den Angaben im Sachverhalt die Zustellung um 11:00 Uhr beendet, so dass nach der Rechtsprechung mit einer Leerung „unmittelbar nach Zustellung“ und damit auch nicht später zu rechnen war. Ein Einwurf im entschiedenen Fall bereits um 11:15 Uhr wäre damit wohl auch nicht mehr rechtzeitig für eine Zustellung an diesem Tag gewesen.

Ob das Landesarbeitsgericht im zurückverwiesenen Rechtsstreit nunmehr evtl. eine gewandelte Verkehrsanschauung feststellt, wonach z.B. eine Zustellung noch bis 13:25 Uhr (oder länger) zu erwarten war, ist wohl eher fraglich, dies bleibt aber abzuwarten.

Kontakt > mehr