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Weihnachtsgeschäft rechtfertigt keine Ausnahmebewilligung für Sonntagsarbeit

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster hat mit Urteil vom 11.12.2019 (Az. 4 A 738/18) entschieden, dass das in der Vorweihnachtszeit erhöhte Auftragsvolumen im Internet-Versandhandel keine Ausnahmebewilligung für Sonntagsarbeit rechtfertigt. Eine von der Bezirksregierung Düsseldorf erteilte Ausnahmebewilligung an einen Logistikdienstleister mit Sitz in Rheinberg (Niederrhein) war damit rechtswidrig.

Sachverhalt

Der Logistikdienstleister gehört der Amazon-Unternehmensgruppe an und ist vornehmlich für das die deutsche Amazon-Webseite betreibende Unternehmen tätig. Das Unternehmen hatte 2015 bei der Bezirksregierung Düsseldorf für zwei Adventssonntage den Einsatz von jeweils 800 Arbeitern im Logistikzentrum Rheinberg beantragt. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass dem Unternehmen ohne die Sonntagsschichten ein unverhältnismäßiger Schaden entstehe, weil die bestellten Waren durch Arbeit nur an den Werktagen nicht zu den versprochenen Lieferfristen ausgeliefert werden könnten. Die zuständige Bezirksregierung Düsseldorf nahm an, dass auf Grund des vorweihnachtlich erheblich erhöhten Bestellvolumens eine Sondersituation vorliege, und entsprach dem Antrag. Die Gewerkschaft Verdi hatte dagegen geklagt. Bundesweit hatte das Unternehmen laut Gericht für seine elf Logistikzentren Ausnahmeregelungen für Sonntagsarbeit beantragt.

Entscheidungsgründe

Der Vorsitzende des 4. Senats des Oberverwaltungsgerichts hat in seiner Urteilsverkündung ausgeführt, aus den Angaben des beigeladenen Logistikdienstleisters ergebe sich nicht, dass die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Sonntagsarbeitsverbot vorgelegen hätten. Eine solche Ausnahme komme nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 lit. b des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) nur in Betracht, wenn besondere Verhältnisse dies zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens erforderten. Unter „besonderen Verhältnissen“ seien nur solche Umstände zu verstehen, die von außen verursacht worden seien und auf die das antragstellende Unternehmen keinen Einfluss nehmen könne.

Die Sondersituation durch erhöhtes Auftragsvolumen habe nach den eigenen Angaben des beigeladenen Unternehmens zumindest auch maßgeblich auf dem Geschäftsmodell des die Webseite betreibenden Unternehmens beruht, dessen Handeln sich der beigeladene Logistikdienstleister zurechnen lassen müsse. Nach diesem Geschäftsmodell seien den Kunden kürzeste Lieferfristen selbst in der Vorweihnachtszeit zugesagt worden. Zwar habe das Logistikunternehmen sein Personal für das Weihnachtsgeschäft 2015 vorübergehend deutlich aufgestockt. Es sei aber nicht ersichtlich, dass auf der Amazon-Webseite darauf hingewiesen worden sei, nur bei möglichst frühzeitiger Bestellung könne eine Lieferung vor Weihnachten garantiert werden, obwohl sich dies angesichts der prognostizierten Lieferengpässe aufgedrängt hätte.

Das Logistikunternehmen und der Webseitenbetreiber hätten somit nicht die bei dieser Sachlage gebotenen und auch zumutbaren Maßnahmen getroffen, um Kunden zu einem frühzeitigen Bestellverhalten anzuhalten und hierdurch auf eine gleichmäßigere Verteilung des Auftragsvolumens hinzuwirken. Stattdessen sei kurz vor der Adventszeit 2015 neben den bestehenden Express-Lieferungen eine Belieferung noch am Tag der Bestellung („Same Day“) eingeführt worden. Dadurch habe der Webseitenbetreiber absehbar dazu beigetragen, dass sich die Lieferengpässe noch verstärkten. Dies geschah, obwohl aus Vorjahren und aus einer Prognose für 2015 bekannt war, dass sich diese Lieferengpässe nicht ohne Sonntagsarbeit würden auffangen lassen.

Das OVG Münster bestätigte damit die erstinstanzliche Entscheidung des VG Düsseldorf (Urt. v. 15.01.2018 – 29 K 8347/15). Der Senat hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung berührt mit dem Verbot der Sonntagsarbeit und den Arbeitsbedingungen in der Logistikbranche zwei aktuelle arbeitsrechtliche Problemkreise.

Das Verbot der Sonntagsarbeit, das gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV verfassungsrechtlichen Schutz genießt, ist zuletzt unter zunehmenden Druck durch Vertreter des Einzelhandels geraten. Diese drängen auf eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten und mehr verkaufsoffene Sonntage. Nach § 13 ArbZG erteilte Ausnahmebewilligungen für Sonntagsarbeit sowie nach den Ladenöffnungs-gesetzen des Bundes und der Länder bestimmbare verkaufsoffene Sonntage werden jedoch häufig von Gewerkschaften angegriffen. Wie auch in diesem Fall, entscheiden die Gerichte dabei zumeist im Sinne der Sonntagsruhe.

Auf die anhaltenden Diskussionen über die Arbeitsbedingungen in der Logistikbranche hat der Bundestag erst kürzlich mit der Verabschiedung des Paketboten-Schutz-Gesetzes reagiert. Danach müssen Logistikdienstleister künftig dafür haften, wenn mit der Beförderung von Paketen beauftragte Nachunternehmer für ihre Arbeitnehmer keine Sozialversicherungsbeiträge abführen. Dem Haftungsrisiko kann u.a. durch Einholung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung durch die zuständige Einzugsstelle des Nachunternehmers begegnet werden. Eine Nachunternehmerhaftung gibt es bereits seit längerer Zeit in der Bau- und in der Fleischwirtschaft.

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