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Verfall von Urlaubsansprüchen

Das BAG hat mit Urteil vom 19.02.2019 (Az. 9 AZR 541/15) entschieden, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Sachverhalt

Der Beklagte beschäftigte den Kläger vom 01.08.2001 bis zum 31.12.2013 als Wissenschaftler. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Kläger die finanzielle Abgeltung des von ihm nicht genommenen Urlaubs im Umfang von 51 Arbeitstagen aus den Jahren 2012 und 2013 mit einem Bruttobetrag in Höhe von EUR 11.979,26. Einen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs hatte er während des Arbeitsverhältnisses nicht gestellt.

Entscheidungsgründe

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision des Beklagten hatte – nach Anrufung des EuGH – hingegen Erfolg und führte zur Zurückweisung der Sache an das LAG.

Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden, andernfalls verfällt er. Dabei ist es gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG dem Arbeitgeber vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Der 9. Senat führte hierzu aus, dass die letztgenannte Vorschrift – entgegen der Annahme des LAG – den Arbeitgeber zwar nicht zwinge, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren. Allerdings obliege ihm unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) die Initiative für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Vorabentscheidung vom 06.11.2018, C-684/16 – Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften) ist der Arbeitgeber gehalten, „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun.“ Der Arbeitgeber habe klar und rechtzeitig mitzuteilen, so das BAG, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen werde, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nehme. Die Aufklärung, ob der Beklagte seinen Obliegenheiten nachgekommen ist, ist nunmehr die Aufgabe des LAG.

Hinweis für die Praxis

Mit dieser Entscheidung entwickelt das BAG seine Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen weiter und setzt die Vorgaben des EuGH um. Es ist schwer vorzustellen, dass dieses Urteil keine unmittelbare Auswirkung auf die tägliche Praxis vieler Arbeitgeber haben wird. Schließlich kann der Verfall von Urlaub nunmehr in der Regel nur dann eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub andernfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt. In allen Betrieben, in denen eine (unbegrenzte) Ansammlung von Urlaubsansprüchen nicht gewollt ist oder die Urlaubswünsche der Arbeitnehmer nicht ohnehin schon zu Beginn eines jeden Jahres mit Verweis auf deren möglichen Verfall erfasst werden, wird mit einer Anpassung der internen Prozesse zu rechnen sein. Einerseits ist es denkbar, eine entsprechende Klausel in den Arbeitsvertrag aufzunehmen und bereits darin über die Folgen von unterbliebener Beantragung von Urlaub aufzuklären. Dies allein wird jedoch wohl die vom BAG geforderte konkrete Aufforderung des Arbeitgebers zum Nehmen von Urlaub nicht entbehrlich machen. Eine zu bestimmten Stichtagen durchzuführende Überprüfung von noch nicht gewährten Urlaubstagen kann bereits Abhilfe schaffen und die Ansprache von betroffenen Arbeitnehmern ermöglichen. Es könnten aber auch in einem regelmäßigen Turnus, entsprechend der hier vertretenen Ansicht grundsätzlich spätestens zum Halbjahr eines jeden Kalenderjahres, standardisierte Schreiben (z.B. per E-Mail) an alle Arbeitnehmer verschickt werden. In diesen Schreiben sollte der dem jeweiligen Arbeitnehmer tatsächlich zustehende Umfang seines Urlaubsanspruchs zum Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens sowie mit Ausblick auf das Ende des Kalenderjahres beziffert, eine Aufforderung zum Nehmen des Urlaubs aufgenommen sowie ein klarer Hinweis auf die Rechtsfolge des Verfalls erteilt werden. Individuelle Konstellationen, interne Abläufe und sonstige Umstände können es sicherlich gebieten, ein wiederum anderes Vorgehen zu bevorzugen. Wichtig ist, dass in diesem Zusammenhang gedanklich hinter die Worte „konkret“, „klar“ und „rechtzeitig“ Häkchen gesetzt werden können. Es ist zu erwarten, dass die Arbeitsgerichte sich in absehbarer Zeit mit der Definition von genau diesen Begriffen werden beschäftigen müssen.

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