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Umfang der Auskunftspflicht des Arbeitgebers im Konsultationsverfahren

Das LAG Hamm hat mit Urteil vom 16.08.2019 (Az.: 18 Sa 232/18) entschieden, dass es offen bleibt, ob der Arbeitgeber im Rahmen des Konsultationsverfahrens verpflichtet ist, Auskünfte über etwaige Beschäftigungsmöglichkeiten bei anderen (Konzern-) Unternehmen zu erteilen. Eine Auskunftspflicht besteht jedenfalls dann nicht, wenn der Betriebsrat bereits Kenntnis von den Beschäftigungsmöglichkeiten besitzt.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilzulieferungsbranche und gehört einer Unternehmensgruppe an, deren Konzernobergesellschaft ihren Sitz in den USA hat. Da die Betriebe der Beklagten seit Jahren defizitär wirtschafteten und verschiedene Restrukturierungsversuche gescheitert waren, traf die Konzernobergesellschaft im April 2018 die Entscheidung, die Betriebe der Beklagten zum 30.04.2019 zu schließen. Die Beklagte führte daraufhin das Konsultationsverfahren i.S.d. § 17 KSchG mit dem Betriebsrat durch und verhandelte mit diesem über einen Interessenausgleich. Nachdem diese gescheitert waren, unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung des Klägers und erstattete Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit.

Anfang Mai 2019 nahm in etwa 15 Kilometer Entfernung ein neuer Betrieb, ein „Technical & Engineering Center“ (TEC) seine Tätigkeit auf, der von einer anderen Gesellschaft der Unternehmensgruppe geführt wird.

Nach Erhalt der Kündigung mit Wirkung zum 30.04.2019 hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben, die das Arbeitsgericht abgewiesen hat. Die Berufung vor dem LAG hatte in der Sache ebenfalls keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Das LAG befand, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sei.

  • Die Kündigung sei „bedingt“ durch die Betriebsstilllegung, da der Kläger nicht weiterbeschäftigt werden könne. Das TEC werde nicht von der Beklagten geführt, sondern von einem anderen Unternehmen. Deshalb liege eine kündigungsrechtlich erhebliche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht vor. Die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung bei anderen Unternehmen könne nur in Ausnahmefällen zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, denn das Kündigungsschutzgesetz richte sich an den Arbeitgeber und ist mithin unternehmensbezogen. Auf einen konzernbezogenen Kündigungsschutz könne sich der Kläger vorliegend nicht berufen. Da sich das Aktiengesetz nicht auf Konzerne erstrecke, deren Obergesellschaft ihren Sitz im Ausland hat, mangele es schon an einem Konzern i.S.d. § 18 Aktiengesetz.
  • Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 134 BGB i.V.m. § 17 Abs. 2 KSchG unwirksam, da die Beklagte das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt habe. Insbesondere gehe der Vorwurf, die Beklagte habe dem Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens Informationen im Zusammenhang mit der Errichtung des TEC vorenthalten, ins Leere.

Die Annahme, der Arbeitgeber sei verpflichtet, im Konsultationsverfahren auf jedwede ihm bekannte Beschäftigungsmöglichkeit bei anderen Unternehmen hinzuweisen, sei jedenfalls bedenklich.

Eine solche Verpflichtung brächte erhebliche Ungewissheiten mit sich. Zum einen sei nicht klar, auf welchen räumlichen Bereich die Beschäftigungsmöglichkeiten zu beschränken seien, auf die der Arbeitgeber hinzuweisen hätte. Zum anderen könnte Streit darüber entstehen, ob der Arbeitgeber von einer bestimmten Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Unternehmen überhaupt Kenntnis hatte.

Auch aus § 17 Abs. 3a KSchG ergebe sich keine entsprechende Auskunftspflicht des Arbeitgebers über Beschäftigungsmöglichkeiten bei anderen (konzernverbundenen) Unternehmen. Die Vorschrift regele nur das „Ob“ der Auskunftspflicht in Konzernsachverhalten, nicht den Umfang dieser Pflicht. Vorliegend fehle es aber bereits an einem Konzern.

Letztlich komme es auf diese Rechtsfragen hier nicht an, weil der Betriebsrat insoweit bereits die notwendigen Kenntnisse besaß. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, in förmlichen Anhörungs- und Beteiligungsverfahren den Betriebsrat nochmals über dasjenige zu unterrichten, was dieser ohnehin bereits weiß. Die Unterrichtung des Betriebsrats sei kein Selbstzweck, sondern ziele vielmehr darauf ab, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, seine Beteiligungsrechte sachgerecht auszuüben.

Hinweise für die Praxis

Vorliegend musste das LAG Hamm die Frage, wie weit die Auskunftspflicht des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz KSchG reicht und ob sie sich auf Beschäftigungsmöglichkeiten bei einem anderen Unternehmen erstreckt, nicht entscheiden, da sie nicht entscheidungserheblich geworden ist. Eine Veranlassung, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zum BAG zuzulassen, bestand daher nicht.

Im Ergebnis ist der Auffassung des LAG Hamm zuzustimmen. Zwar soll die Auskunftspflicht des Arbeitgebers eine sachgerechte Beratung zwischen den Betriebsparteien ermöglichen, jedoch spricht gegen die Annahme einer Auskunftspflicht über Beschäftigungsmöglichkeiten bei anderen (Konzern-)Unternehmen der Umstand, dass der Arbeitgeber auf die Einstellung des Arbeitnehmers bei einem anderen Unternehmen keinen Einfluss nehmen kann. Selbst wenn man eine Auskunftspflicht bejahen würde, hätte deren Verletzung nicht die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Denn insofern wäre die Verletzung der Auskunftspflicht nicht kausal für die Entlassung. Denn das Arbeitsverhältnis müsste auch dann beendet werden, wenn der Arbeitnehmer in einem anderen Unternehmen weiterbeschäftigt wird.

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