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Schutz von Betriebsrenten bei Betriebsübergang

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 22.10.2019 (Az. 3 AZR 429/18) entschieden, dass die Betriebsparteien auch dann bei Eingriffen in Versorgungsrechte an die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gebunden sind, wenn eine Versorgungsordnung infolge eines Betriebsübergangs durch eine beim Betriebserwerber bereits geltende Betriebsvereinbarung abgelöst wird.

Sachverhalt

Bei seinem ursprünglichen Arbeitgeber war dem Kläger mittels Betriebsvereinbarung eine betriebliche Altersversorgung zugesagt worden. Der ursprüngliche Arbeitgeber wurde im Jahr 1998 mit der Betriebserwerberin verschmolzen. Bei der Betriebserwerberin hatte es zum Zeitpunkt der Verschmelzung zwei bereits geschlossene Ruhegeldordnungen (RGO I und II) sowie ein noch nicht geschlossenes Versorgungswerk (BV VO) in Form von Gesamtbetriebsvereinbarungen gegeben.

Nach der Verschmelzung schloss die Betriebserwerberin im Jahr 2000 mit den zuständigen Gewerkschaften einen Tarifvertrag (TV 2000) mit Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung für die ehemaligen Mitarbeiter  des ursprünglichen Arbeitgebers. Nach dem TV 2000 sollten die RGO I und II einmalig geöffnet und die übernommenen Arbeitnehmer so einbezogen werden, als hätten sie ihre gesamte Betriebszugehörigkeit beim Betriebserwerber verbracht. Die Betriebsparteien wurden durch den TV 2000 zur Regelung von Einzelheiten ermächtigt. Der Betriebserwerber schloss anschließend mit dem Gesamtbetriebsrat für die übernommenen Arbeitnehmer eine Gesamtbetriebsvereinbarung (BV Überleitung).

Auf dieser Grundlage erhielt der Kläger Altersruhegeld. Im Juni 2014 teilte die Beklagte dem Kläger und einer Vielzahl weiterer ehemaliger Mitarbeiter des ursprünglichen Arbeitgebers mit, das Ruhegeld sei fehlerhaft berechnet worden. Ab Juli 2014 zahlte die Beklagte ein niedrigeres Ruhegeld.

Der Kläger macht mit seiner Klage die Zahlung von Altersruhegeld in der zuvor gezahlten Höhe geltend und argumentiert, die Ablösung der beim ursprünglichen Arbeitgeber geltenden Versorgungsordnung entfalte keine Wirkung.

Entscheidungsgründe

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Das BAG gab der Revision des Klägers statt und verwies die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück, welches das dem Kläger zustehende Ruhegeld neu zu ermitteln hat.

Das BAG ist der Auffassung, die beim Betriebserwerber bestehende BV VO sei ungeeignet, die bei der ursprünglichen Arbeitgeberin geltende Versorgungsordnung abzulösen. Denn die damit verbundenen Eingriffe hielten den Anforderungen des dreistufigen Prüfungsschemas, das in ständiger Rechtsprechung des BAG entwickelt worden war, nicht stand.

Erst die Verschlechterungen, die später durch den TV 2000 geregelt worden sind, seien gerechtfertigt, da sich diese im Rahmen der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit hielten. Diese Grundsätze führten im Vergleich zu dem bei Betriebsvereinbarungen anzuwendenden dreistufigen Prüfungsschema zu einer eingeschränkten Überprüfung.

Soweit die Betriebsparteien in der BV Überleitung gegenüber dem TV 2000 jedoch weitere Verschlechterungen vorgenommen hätten, die vom TV 2000 nicht gedeckt seien, erklärte das BAG die BV Überleitung wegen des gesetzlich vorgesehenen Tarifvorrangs für unwirksam.

Hinweise für die Praxis

Bei Eingriffen in Versorgungsrechte von (ehemaligen) Arbeitnehmern wendet das BAG in ständiger Rechtsprechung das sog. dreistufige Prüfungsschema an. Danach bedarf ein Eingriff des Arbeitgebers in den Besitzstand der Arbeitnehmer auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung abgestuft unterschiedlich gewichtiger Rechtfertigungsgründe, je nachdem, wie stark der Besitzstand bereits gefestigt ist. Unterschieden wird nach den am stärksten geschützten bereits erdienten Anwartschaften, der etwas weniger geschützten erdienten Anwartschaftsdynamik und – auf der am schwächsten geschützten Stufe – den noch nicht erdienten dienstzeitabhängigen Zuwachsraten.

Das BAG stellt mit der vorliegenden Entscheidung klar, dass dieses dreistufige Prüfungsschema auch dann anzuwenden ist, wenn eine Versorgungsordnung infolge eines Betriebsübergangs durch eine beim Erwerber bereits geltende Betriebsvereinbarung abgelöst wird. Es stärkt damit im Ergebnis den Schutz der Ansprüche von (ehemaligen) Arbeitnehmern auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung.

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