sabine schroeter arbeitsrecht 3.jpgnadine kirchner arbeitsrecht p.jpg

Einordnung des Abfindungsanspruchs nach §§ 9, 10 KSchG als Masseverbindlichkeit

Das Bundesarbeitsgericht stellt mit seinem Urteil vom 14.03.2019 (Az.: 6 AZR 4/18) klar, dass sich die insolvenzrechtlichen Grundsätze zur entscheidenden Charakterisierung von Forderungen gegen einen insolventen Schuldner auch auf Prozesshandlungen erstrecken. Dies hat hohe praktische Relevanz, da die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens nicht planbar ist. Außerdem ist der Unterschied für den Gläubiger durchaus bedeutend, da es sich erheblich auf die Höhe der zu erfüllenden Forderung (entweder zu 100% oder nur in Höhe der Insolvenzquote) auswirkt.

Sachverhalt

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2014 kündigte die spätere Insolvenzschuldnerin das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 15. Januar 2015. Während des erstinstanzlichen Kündigungsschutzverfahrens kündigte sie in einem an den Klägeranwalt vom Arbeitsgericht formlos übersandten Anwaltsschriftsatz vom 26. Januar 2015 den Hilfsantrag an, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. April 2015 hat der Kläger das unterbrochene Verfahren gegen den zum Insolvenzverwalter bestellten Beklagten aufgenommen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 9. Juni 2016 hat der Beklagte auch den Auflösungsantrag „vom 26.01.2015“ gestellt.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 1.558,75 Euro aufgelöst, die „zur Insolvenztabelle festgestellt wird“.

Das Landesarbeitsgericht hat die auf die insolvenzrechtliche Einordnung des Abfindungsanspruchs beschränkte Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger weiterhin die Zahlung des Abfindungsanspruchs als Masseverbindlichkeit.

Die Antragstellung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung stelle die maßgebliche Handlung dar, auf der die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und damit der Abfindungsanspruch beruhten. Demgegenüber hat der Beklagte den Standpunkt vertreten, sowohl die Kündigungserklärung als auch die erstmalige Einführung des Auflösungsantrags in den Prozess als maßgebliche Handlungen seien durch die Insolvenzschuldnerin erfolgt.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Mangels Zustellung hat nicht schon der Schriftsatz der späteren Insolvenzschuldnerin vom 26. Januar 2015, in dem der Auflösungsantrag angekündigt war, zu dessen Rechtshängigkeit geführt. Diesbezüglich war auch keine Heilung eingetreten. Den Auflösungsantrag als die für die insolvenzrechtliche Einordnung maßgebliche Handlung hat erstmals der beklagte Insolvenzverwalter in der mündlichen Verhandlung des Arbeitsgerichts vom 9. Juni 2016 rechtshängig gemacht (§ 261 Abs. 2 1. Alt. ZPO).

Hinweise für die Praxis

Das Bundesarbeitsgericht wendet damit die insolvenzrechtlichen Grundsätze der Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit auch hinsichtlich Prozesshandlungen an. Es ist nur konsequent, dass ein angekündigter Hilfsantrag für den insolvenzrechtlich entscheidenden Zeitmoment nicht ausreicht. Bezüglich Prozesshandlungen ist daher ebenso entscheidend, ob diese vor oder bereits nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden. Der Arbeitgeber hat in dem vorliegenden Fall mit dem erstinstanzlich angekündigten Hilfsantrag keinen erheblichen Umstand für das Verfahren gesetzt. Damit konnte sich der Insolvenzverwalter hierauf nicht mehr wirksam berufen. Sobald also ein Insolvenzverfahren in absehbarer Zukunft möglich erscheint, sollte der betroffene Arbeitgeber auch während bereits laufender Gerichtsprozesse vorausschauend und mit Blick auf insolvenzrechtliche Besonderheiten und drohende Folgen agieren. Prozesstaktisch sollte gerade der Grund für einen hohen Zahlungsanspruch bestenfalls noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gesetzt und in das laufende Verfahren eingebracht werden.

Kontakt > mehr